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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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unsere Sitze auf dem Dach der Brightoner stage-Coach einnahmen, um den
Kriegshafen von Portsmouth und von dort ans die liebliche Insel Wight zu be¬
suchen. Wir rollten über eine Stunde lang und hatten uoch immer nicht die
Landstraße erreicht, sondern steuerten ihr auf einem Umweg durch reizende Park - und
Gartenanlagen zu. In sanften Windungen, zwischen duftenden Hecken, durch hohe
Akazien-, schattige Kastanien- und andere Baumgruppen befestigt, führte ein blank
gehaltener, aber breiter und festgestampfter Garteuweg an lauter Kuustpflauzuugeu
vorüber. Besonders anmuthig war eine Gegend des Parks; rechts ans tiefem
Thalgrund, am Fuße eines waldigen Hügels, ragten die abgeplatteten Thürme eines
gothisch gebauten Herzogsschlosses -- der Name ist mir entfalten --, links bargen
sich unter Buchen- und Ulmeulaub saubere Sommervilleu, im einfachsten Dorfftil,
mit moosbedeckten Dächern, kleinen Rasenflecken Md Blumenbeetchen in symmetri¬
scher Anordnung vor deu niedrigen Thüren, wahrend die geschnitzten Holzsäulen
der Altan und die Fenstersimse Winde und Geisblatte umrankten. Ein Ziehbrunnen
mit hoch in der Luft schwebendem Eimer mitten in einem Kreis alter Linden, ein
kleiner Ententeich und einige hochaufgeschichtete Heuschober, dann ein Paar Vier¬
ecke gelber Stoppelfelder, umzäunt und an den Enden von jungen Pappeln be¬
wacht, dies Alles, zwischen die Villen verstreut, vollendete die Täuschung und ließ
vergessen, daß mau in einem Park war.

Auf der ersten Station, als wir vor dem Wirthshause zur gelben Seeschlange
Pferde wechselten, wurde ich enttäuscht. Die Sommervillen waren wirkliche Dörfer,
und der glatte, tenueuartig gefestete Garteuweg Nichts als eine gewöhnliche maea-
damisirte Landstraße. Ich erholte mich von meinem Entzücken erst hinter Chi-
chester, wo der Weg, hart am Meere zwischen Sandnnen hinführend, von der
üppigen Landschaft Nichts als einen bläulichen Streif zur Rechten gewahren ließ.
ES ist also keine Fabel, was mau vou der Schönheit des Landes ans dieser Insel
erzählt; die meisten Grafschaften, namentlich Devonshire, Kent und Sussex, sind
lediglich durch Menschenhand in schmnckvolle Gärten verwandelt. Wenn die Eng¬
länder in Musik, Malerei und Bildhauerei nicht das Ang und Ohr der Deutschen
und Italiener besitzen, so zeigen sie sich in der Behandlung der Mutter Erde als
geborene Künstler'). Der ärmste Hamster pflegt jeden Schuhbrcit freien Raumes
vor und hinter seiner Hütte zur Anlage eines Diminutiv-Gärtchens zu benutzen;
das milde, ewig thanfenchte Klima, welches den Boden in unsterbliches Grün klei¬
det, unterstützt diese Liebhaberei des Armen, dem sein reiches Mutterland oft keinen
andern Lurus bietet als den schwellenden Rasen vor seiner Thüre.

Meine Feder ist keine Nadirnadel, die es wagen konnte, den eigenthümlichen
Zauber englischer Landschaften zeichnen zu wollen; überdies haben das tausendmal



*) Die Leidenschaft für den Gartenbau ist eine nationale; kein Buch ist seit langer
Zeit so populär und verbreitet gewesen, wie "Eveix man Iiis o>v" xaiitvner" (Jedermann sein
eigener Gärtner.)

unsere Sitze auf dem Dach der Brightoner stage-Coach einnahmen, um den
Kriegshafen von Portsmouth und von dort ans die liebliche Insel Wight zu be¬
suchen. Wir rollten über eine Stunde lang und hatten uoch immer nicht die
Landstraße erreicht, sondern steuerten ihr auf einem Umweg durch reizende Park - und
Gartenanlagen zu. In sanften Windungen, zwischen duftenden Hecken, durch hohe
Akazien-, schattige Kastanien- und andere Baumgruppen befestigt, führte ein blank
gehaltener, aber breiter und festgestampfter Garteuweg an lauter Kuustpflauzuugeu
vorüber. Besonders anmuthig war eine Gegend des Parks; rechts ans tiefem
Thalgrund, am Fuße eines waldigen Hügels, ragten die abgeplatteten Thürme eines
gothisch gebauten Herzogsschlosses — der Name ist mir entfalten —, links bargen
sich unter Buchen- und Ulmeulaub saubere Sommervilleu, im einfachsten Dorfftil,
mit moosbedeckten Dächern, kleinen Rasenflecken Md Blumenbeetchen in symmetri¬
scher Anordnung vor deu niedrigen Thüren, wahrend die geschnitzten Holzsäulen
der Altan und die Fenstersimse Winde und Geisblatte umrankten. Ein Ziehbrunnen
mit hoch in der Luft schwebendem Eimer mitten in einem Kreis alter Linden, ein
kleiner Ententeich und einige hochaufgeschichtete Heuschober, dann ein Paar Vier¬
ecke gelber Stoppelfelder, umzäunt und an den Enden von jungen Pappeln be¬
wacht, dies Alles, zwischen die Villen verstreut, vollendete die Täuschung und ließ
vergessen, daß mau in einem Park war.

Auf der ersten Station, als wir vor dem Wirthshause zur gelben Seeschlange
Pferde wechselten, wurde ich enttäuscht. Die Sommervillen waren wirkliche Dörfer,
und der glatte, tenueuartig gefestete Garteuweg Nichts als eine gewöhnliche maea-
damisirte Landstraße. Ich erholte mich von meinem Entzücken erst hinter Chi-
chester, wo der Weg, hart am Meere zwischen Sandnnen hinführend, von der
üppigen Landschaft Nichts als einen bläulichen Streif zur Rechten gewahren ließ.
ES ist also keine Fabel, was mau vou der Schönheit des Landes ans dieser Insel
erzählt; die meisten Grafschaften, namentlich Devonshire, Kent und Sussex, sind
lediglich durch Menschenhand in schmnckvolle Gärten verwandelt. Wenn die Eng¬
länder in Musik, Malerei und Bildhauerei nicht das Ang und Ohr der Deutschen
und Italiener besitzen, so zeigen sie sich in der Behandlung der Mutter Erde als
geborene Künstler'). Der ärmste Hamster pflegt jeden Schuhbrcit freien Raumes
vor und hinter seiner Hütte zur Anlage eines Diminutiv-Gärtchens zu benutzen;
das milde, ewig thanfenchte Klima, welches den Boden in unsterbliches Grün klei¬
det, unterstützt diese Liebhaberei des Armen, dem sein reiches Mutterland oft keinen
andern Lurus bietet als den schwellenden Rasen vor seiner Thüre.

Meine Feder ist keine Nadirnadel, die es wagen konnte, den eigenthümlichen
Zauber englischer Landschaften zeichnen zu wollen; überdies haben das tausendmal



*) Die Leidenschaft für den Gartenbau ist eine nationale; kein Buch ist seit langer
Zeit so populär und verbreitet gewesen, wie „Eveix man Iiis o>v» xaiitvner" (Jedermann sein
eigener Gärtner.)
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[0165] unsere Sitze auf dem Dach der Brightoner stage-Coach einnahmen, um den Kriegshafen von Portsmouth und von dort ans die liebliche Insel Wight zu be¬ suchen. Wir rollten über eine Stunde lang und hatten uoch immer nicht die Landstraße erreicht, sondern steuerten ihr auf einem Umweg durch reizende Park - und Gartenanlagen zu. In sanften Windungen, zwischen duftenden Hecken, durch hohe Akazien-, schattige Kastanien- und andere Baumgruppen befestigt, führte ein blank gehaltener, aber breiter und festgestampfter Garteuweg an lauter Kuustpflauzuugeu vorüber. Besonders anmuthig war eine Gegend des Parks; rechts ans tiefem Thalgrund, am Fuße eines waldigen Hügels, ragten die abgeplatteten Thürme eines gothisch gebauten Herzogsschlosses — der Name ist mir entfalten —, links bargen sich unter Buchen- und Ulmeulaub saubere Sommervilleu, im einfachsten Dorfftil, mit moosbedeckten Dächern, kleinen Rasenflecken Md Blumenbeetchen in symmetri¬ scher Anordnung vor deu niedrigen Thüren, wahrend die geschnitzten Holzsäulen der Altan und die Fenstersimse Winde und Geisblatte umrankten. Ein Ziehbrunnen mit hoch in der Luft schwebendem Eimer mitten in einem Kreis alter Linden, ein kleiner Ententeich und einige hochaufgeschichtete Heuschober, dann ein Paar Vier¬ ecke gelber Stoppelfelder, umzäunt und an den Enden von jungen Pappeln be¬ wacht, dies Alles, zwischen die Villen verstreut, vollendete die Täuschung und ließ vergessen, daß mau in einem Park war. Auf der ersten Station, als wir vor dem Wirthshause zur gelben Seeschlange Pferde wechselten, wurde ich enttäuscht. Die Sommervillen waren wirkliche Dörfer, und der glatte, tenueuartig gefestete Garteuweg Nichts als eine gewöhnliche maea- damisirte Landstraße. Ich erholte mich von meinem Entzücken erst hinter Chi- chester, wo der Weg, hart am Meere zwischen Sandnnen hinführend, von der üppigen Landschaft Nichts als einen bläulichen Streif zur Rechten gewahren ließ. ES ist also keine Fabel, was mau vou der Schönheit des Landes ans dieser Insel erzählt; die meisten Grafschaften, namentlich Devonshire, Kent und Sussex, sind lediglich durch Menschenhand in schmnckvolle Gärten verwandelt. Wenn die Eng¬ länder in Musik, Malerei und Bildhauerei nicht das Ang und Ohr der Deutschen und Italiener besitzen, so zeigen sie sich in der Behandlung der Mutter Erde als geborene Künstler'). Der ärmste Hamster pflegt jeden Schuhbrcit freien Raumes vor und hinter seiner Hütte zur Anlage eines Diminutiv-Gärtchens zu benutzen; das milde, ewig thanfenchte Klima, welches den Boden in unsterbliches Grün klei¬ det, unterstützt diese Liebhaberei des Armen, dem sein reiches Mutterland oft keinen andern Lurus bietet als den schwellenden Rasen vor seiner Thüre. Meine Feder ist keine Nadirnadel, die es wagen konnte, den eigenthümlichen Zauber englischer Landschaften zeichnen zu wollen; überdies haben das tausendmal *) Die Leidenschaft für den Gartenbau ist eine nationale; kein Buch ist seit langer Zeit so populär und verbreitet gewesen, wie „Eveix man Iiis o>v» xaiitvner" (Jedermann sein eigener Gärtner.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/165>, abgerufen am 01.07.2024.