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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Seiten die Reiterregimenter. Es herrschte Todtenstille unter'all den Tausenden.
Ihr Blick war zur Erde gesenkt. Der Boden war heilig. Er war der Friedhof
ihrer Ehre.

Mitten durch die Stille knallte zuweilen ein Schuß. Das war ein Husar,
der die letzte Ladung des Karabiners seinem treuen Pferde durch den Hals jagte;
es sollte die Schmach des Freundes, das Unglück Ungarns nicht überlebe". An¬
dere Kameraden hatten Sattel und Riemzeug im Walde abgeschnallt, den Chako
und den Dolmauy daneben als Dinge, die sie nicht mehr ihr eigen nennen durf¬
ten, hingelegt und waren dann fortgesprengt ins Weite, bngelloö, hoffnungslos,
um zu werden , was sie früher gewesen: wilde sreie Csikose der Haide. Auch die
Husaren in Reih' und Glied schnallten schweigend die Sättel vom Rücken ihrer Pferde,
legten sie in großen Haufen mit den Waffen und Fahne" zusammen und traten
zurück zu ihre" Rossen. Hier stand das Regiment Ferdinand, seinen tapfern
Obristen, ein Bild verzweiflungsvollen Kummers, an der Spitze. Sein Säbel
fehlte. Er hatte ihn mit einem Fluche Görgey vor die Füße geworfen, als die¬
ser im letzten Kriegörathe mit den Uebergabsvorschlägen durchgedrungen war.
Daneben standen Hannover-Husaren; Graf Batthyanyi, Rittmeisters ohne Pferd.
Er hatte sein Schlachtroß, das schönste der ganzen Armee, mit eigener Hand
getödtet, damit es keinen Kosaken aus dem Rücken trage. Weiter oben Nikolaus
und Alexander, Görgey's Schutzengel in den Karpathen, Ungarns Racheengel
in der Aprilwvchmschlacht, Schatten früherer Größe, Trümmer der alten Regi¬
menter, von denen nnr Wenige übrig geblieben waren, um den neu eingetheilten
Rekruten als Cadres zu diene"; daneben Kaiser-Husaren, Koburg und Würtem-
berg. Die jüngeren Reiterregimenter waren mit an den Flanken vertheilt: Lchel-
Husareu, die "och nicht Zeit gehabt hatten, mit den alten Regimentern zu wett¬
eifern, Huuyady, welches bereits anfing, von den Veteranen respektirt zu werden.

Die Generale standen im Knäul zusammen oder ritten langsam zwischen den
Bataillonen aus und ab. Földvary ging mit thränenvollen Augen zum 9. Ba¬
taillon, welches damals, als es mit dem 3. vereint zuerst die Wälle Ofens er¬
stürmte, das seinige gewesen war. Sie liebten ihn wie einen Vater, und hatten
ihn aus mancher Gefahr gerettet, denn Földvary, unter deu Bravsten einer, war
kurzsichtig, und raunte mit seinem Pferde oft mitten in die Gefahr hinein, bis
ihn seine Leute zurückzogen. Jetzt, als ihr früherer Obrist herankommt, um ihnen
das letzte Lebewohl zu sagen, schließen sie ohne Conlmando, voll Einem Gedan¬
ken elektrisch durchzuckt, eine großes Carro; der Fahnenträger reicht die Stand¬
arte seinem Nachbar, und so geht sie vou Hand zu Hand bis zum Obersten.
Jeder küßt sie, dann legen sie dieselbe ans einen Reisigstoß in der Mitte des
Kreises und sehen schweigend zu, wie sie zu Asche verbrennt.



*) Jetzt gemeiner Soldat.
20*

Seiten die Reiterregimenter. Es herrschte Todtenstille unter'all den Tausenden.
Ihr Blick war zur Erde gesenkt. Der Boden war heilig. Er war der Friedhof
ihrer Ehre.

Mitten durch die Stille knallte zuweilen ein Schuß. Das war ein Husar,
der die letzte Ladung des Karabiners seinem treuen Pferde durch den Hals jagte;
es sollte die Schmach des Freundes, das Unglück Ungarns nicht überlebe». An¬
dere Kameraden hatten Sattel und Riemzeug im Walde abgeschnallt, den Chako
und den Dolmauy daneben als Dinge, die sie nicht mehr ihr eigen nennen durf¬
ten, hingelegt und waren dann fortgesprengt ins Weite, bngelloö, hoffnungslos,
um zu werden , was sie früher gewesen: wilde sreie Csikose der Haide. Auch die
Husaren in Reih' und Glied schnallten schweigend die Sättel vom Rücken ihrer Pferde,
legten sie in großen Haufen mit den Waffen und Fahne» zusammen und traten
zurück zu ihre» Rossen. Hier stand das Regiment Ferdinand, seinen tapfern
Obristen, ein Bild verzweiflungsvollen Kummers, an der Spitze. Sein Säbel
fehlte. Er hatte ihn mit einem Fluche Görgey vor die Füße geworfen, als die¬
ser im letzten Kriegörathe mit den Uebergabsvorschlägen durchgedrungen war.
Daneben standen Hannover-Husaren; Graf Batthyanyi, Rittmeisters ohne Pferd.
Er hatte sein Schlachtroß, das schönste der ganzen Armee, mit eigener Hand
getödtet, damit es keinen Kosaken aus dem Rücken trage. Weiter oben Nikolaus
und Alexander, Görgey's Schutzengel in den Karpathen, Ungarns Racheengel
in der Aprilwvchmschlacht, Schatten früherer Größe, Trümmer der alten Regi¬
menter, von denen nnr Wenige übrig geblieben waren, um den neu eingetheilten
Rekruten als Cadres zu diene»; daneben Kaiser-Husaren, Koburg und Würtem-
berg. Die jüngeren Reiterregimenter waren mit an den Flanken vertheilt: Lchel-
Husareu, die »och nicht Zeit gehabt hatten, mit den alten Regimentern zu wett¬
eifern, Huuyady, welches bereits anfing, von den Veteranen respektirt zu werden.

Die Generale standen im Knäul zusammen oder ritten langsam zwischen den
Bataillonen aus und ab. Földvary ging mit thränenvollen Augen zum 9. Ba¬
taillon, welches damals, als es mit dem 3. vereint zuerst die Wälle Ofens er¬
stürmte, das seinige gewesen war. Sie liebten ihn wie einen Vater, und hatten
ihn aus mancher Gefahr gerettet, denn Földvary, unter deu Bravsten einer, war
kurzsichtig, und raunte mit seinem Pferde oft mitten in die Gefahr hinein, bis
ihn seine Leute zurückzogen. Jetzt, als ihr früherer Obrist herankommt, um ihnen
das letzte Lebewohl zu sagen, schließen sie ohne Conlmando, voll Einem Gedan¬
ken elektrisch durchzuckt, eine großes Carro; der Fahnenträger reicht die Stand¬
arte seinem Nachbar, und so geht sie vou Hand zu Hand bis zum Obersten.
Jeder küßt sie, dann legen sie dieselbe ans einen Reisigstoß in der Mitte des
Kreises und sehen schweigend zu, wie sie zu Asche verbrennt.



*) Jetzt gemeiner Soldat.
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[0163] Seiten die Reiterregimenter. Es herrschte Todtenstille unter'all den Tausenden. Ihr Blick war zur Erde gesenkt. Der Boden war heilig. Er war der Friedhof ihrer Ehre. Mitten durch die Stille knallte zuweilen ein Schuß. Das war ein Husar, der die letzte Ladung des Karabiners seinem treuen Pferde durch den Hals jagte; es sollte die Schmach des Freundes, das Unglück Ungarns nicht überlebe». An¬ dere Kameraden hatten Sattel und Riemzeug im Walde abgeschnallt, den Chako und den Dolmauy daneben als Dinge, die sie nicht mehr ihr eigen nennen durf¬ ten, hingelegt und waren dann fortgesprengt ins Weite, bngelloö, hoffnungslos, um zu werden , was sie früher gewesen: wilde sreie Csikose der Haide. Auch die Husaren in Reih' und Glied schnallten schweigend die Sättel vom Rücken ihrer Pferde, legten sie in großen Haufen mit den Waffen und Fahne» zusammen und traten zurück zu ihre» Rossen. Hier stand das Regiment Ferdinand, seinen tapfern Obristen, ein Bild verzweiflungsvollen Kummers, an der Spitze. Sein Säbel fehlte. Er hatte ihn mit einem Fluche Görgey vor die Füße geworfen, als die¬ ser im letzten Kriegörathe mit den Uebergabsvorschlägen durchgedrungen war. Daneben standen Hannover-Husaren; Graf Batthyanyi, Rittmeisters ohne Pferd. Er hatte sein Schlachtroß, das schönste der ganzen Armee, mit eigener Hand getödtet, damit es keinen Kosaken aus dem Rücken trage. Weiter oben Nikolaus und Alexander, Görgey's Schutzengel in den Karpathen, Ungarns Racheengel in der Aprilwvchmschlacht, Schatten früherer Größe, Trümmer der alten Regi¬ menter, von denen nnr Wenige übrig geblieben waren, um den neu eingetheilten Rekruten als Cadres zu diene»; daneben Kaiser-Husaren, Koburg und Würtem- berg. Die jüngeren Reiterregimenter waren mit an den Flanken vertheilt: Lchel- Husareu, die »och nicht Zeit gehabt hatten, mit den alten Regimentern zu wett¬ eifern, Huuyady, welches bereits anfing, von den Veteranen respektirt zu werden. Die Generale standen im Knäul zusammen oder ritten langsam zwischen den Bataillonen aus und ab. Földvary ging mit thränenvollen Augen zum 9. Ba¬ taillon, welches damals, als es mit dem 3. vereint zuerst die Wälle Ofens er¬ stürmte, das seinige gewesen war. Sie liebten ihn wie einen Vater, und hatten ihn aus mancher Gefahr gerettet, denn Földvary, unter deu Bravsten einer, war kurzsichtig, und raunte mit seinem Pferde oft mitten in die Gefahr hinein, bis ihn seine Leute zurückzogen. Jetzt, als ihr früherer Obrist herankommt, um ihnen das letzte Lebewohl zu sagen, schließen sie ohne Conlmando, voll Einem Gedan¬ ken elektrisch durchzuckt, eine großes Carro; der Fahnenträger reicht die Stand¬ arte seinem Nachbar, und so geht sie vou Hand zu Hand bis zum Obersten. Jeder küßt sie, dann legen sie dieselbe ans einen Reisigstoß in der Mitte des Kreises und sehen schweigend zu, wie sie zu Asche verbrennt. *) Jetzt gemeiner Soldat. 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/163>, abgerufen am 01.07.2024.