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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Herr von Manteuffel ist kein großer Redner. Die Grenzboten haben vor
längerer Zeit das Schema seiner Reden darzustellen gesucht, welche regelmäßig
mit der Versicherung anfangen, daß der Sprecher keine studirte Rede halten
wolle, aber ein ehrlicher Mann sei, in der Mitte seinen Wunsch ausdrücken etwas
zu wolle", mit der leisen Beschränkung, daß er aber allerdings noch nicht wisse,
ob er es werde wollen können, woraus die erwähnte Berufung aus deu Vogel
Phönix, welcher das ans seiner Asche gehobene Preußen bedeutet, dem Schlüsse
Schwung zu geben Pflegte.

Diesmal sprach derselbe Redner: "Meine Herren, Sie werden keine studirte
Rede von mir hören, ich will mich frei und offen aussprechen. Ich nehme dabei
ein Recht in Anspruch, welches wohl keinem Mitgliede des hohen Hauses versagt
werden dürste, nämlich das Recht, daß ich hier in meiner Eigenschaft als Abge¬
ordneter und lediglich in dieser Eigenschaft spreche. Ich gehöre zwar zu den
Dienern des Königs, meines Herrn, von denen er Rath zu fordern pflegt und
ich werde diesen Rath ihm zu jeder Zeit, deu Umständen gemäß, wie es mein
Gewissen erfordert, ertheile". Ich nehme nicht an, daß Jemand ein doppeltes
Gewissen haben kann. Ein doppeltes Gewissen ist kein Gewissen. (Bravo!) Aber
ich kaun mich durch das, was meine Person als Abgeordneter hier
äußert, nicht binden für die Rathschläge, welche ich in künftigen
Zeiten Sr. Majestät zu ertheilen haben möchte, konnte dies auch'
dazu führe", daß ich auf deu Vorzug, diesen Rath zu ertheilen,
verzichtete. --

Darauf geht es in derselben Weise fort, ganz nach seiner Schablone.
Se. Ercellenz sagt mit enthusiastischer Biederkeit, sie wolle den Bundesstaat, wor¬
auf sogleich die Beschränkung kommt: aber nur keine schnelle Annahme unserer
Verfassung des Bundesstaats, nnr keine schnelle Entscheidung, wir wolle" vor
Allem revidire", wir wollen überlegen, keine Uebereilung, meine Herren. Sie
wollen durch schnelle Annahme unserer Verfassung die Regierungen wie in ihrem
eigenen Netz festhalte". Ach! aber wer deu bösen Willen und die Kraft hätte,
der würde das Netz doch zersprenge". Keine Uebereilung ,". H. Mei" Vor¬
redner meinte, es gelte hier einen Scheideweg, rückwärts oder vorwärts. M. H.~
das Rückwärts wollen'wir hinter uus liegen lassen! -- Zum Schluß folgt die
Versicherung, daß er es sehr ehrlich meine, und eine schöne Hinweisung ans die
Nothwendigkeit im Menschenleben das Wahre und Gute fest zu halten und im
vereinten Streben dafür zu wirken. Diese letzte unzweifelhafte Wahrheit vertrat,
wie schon bemerkt, die Stelle des Vogels Phönix.

Mail lese die Rede des Ministers in Ur. 102 des preußischen Staatsau¬
zeigers nach. Ist es erlaubt, daß im Jahre 18Se1 ein preußischer Minister vor
einer Versammlung voll politischen Notabilitäten so spricht, lind gerade in der
Stunde, wo mau berechtigt war, vou ihm ein männliches Aussprechen über die
Absichten Preußens zu erwarten, lind ferner in der größten Angelegenheit, in
welcher er jede Verpflichtung hatte, die Initiative zu ergreifen?




Herr von Manteuffel ist kein großer Redner. Die Grenzboten haben vor
längerer Zeit das Schema seiner Reden darzustellen gesucht, welche regelmäßig
mit der Versicherung anfangen, daß der Sprecher keine studirte Rede halten
wolle, aber ein ehrlicher Mann sei, in der Mitte seinen Wunsch ausdrücken etwas
zu wolle», mit der leisen Beschränkung, daß er aber allerdings noch nicht wisse,
ob er es werde wollen können, woraus die erwähnte Berufung aus deu Vogel
Phönix, welcher das ans seiner Asche gehobene Preußen bedeutet, dem Schlüsse
Schwung zu geben Pflegte.

Diesmal sprach derselbe Redner: „Meine Herren, Sie werden keine studirte
Rede von mir hören, ich will mich frei und offen aussprechen. Ich nehme dabei
ein Recht in Anspruch, welches wohl keinem Mitgliede des hohen Hauses versagt
werden dürste, nämlich das Recht, daß ich hier in meiner Eigenschaft als Abge¬
ordneter und lediglich in dieser Eigenschaft spreche. Ich gehöre zwar zu den
Dienern des Königs, meines Herrn, von denen er Rath zu fordern pflegt und
ich werde diesen Rath ihm zu jeder Zeit, deu Umständen gemäß, wie es mein
Gewissen erfordert, ertheile». Ich nehme nicht an, daß Jemand ein doppeltes
Gewissen haben kann. Ein doppeltes Gewissen ist kein Gewissen. (Bravo!) Aber
ich kaun mich durch das, was meine Person als Abgeordneter hier
äußert, nicht binden für die Rathschläge, welche ich in künftigen
Zeiten Sr. Majestät zu ertheilen haben möchte, konnte dies auch'
dazu führe», daß ich auf deu Vorzug, diesen Rath zu ertheilen,
verzichtete. —

Darauf geht es in derselben Weise fort, ganz nach seiner Schablone.
Se. Ercellenz sagt mit enthusiastischer Biederkeit, sie wolle den Bundesstaat, wor¬
auf sogleich die Beschränkung kommt: aber nur keine schnelle Annahme unserer
Verfassung des Bundesstaats, nnr keine schnelle Entscheidung, wir wolle» vor
Allem revidire», wir wollen überlegen, keine Uebereilung, meine Herren. Sie
wollen durch schnelle Annahme unserer Verfassung die Regierungen wie in ihrem
eigenen Netz festhalte». Ach! aber wer deu bösen Willen und die Kraft hätte,
der würde das Netz doch zersprenge». Keine Uebereilung ,». H. Mei» Vor¬
redner meinte, es gelte hier einen Scheideweg, rückwärts oder vorwärts. M. H.~
das Rückwärts wollen'wir hinter uus liegen lassen! — Zum Schluß folgt die
Versicherung, daß er es sehr ehrlich meine, und eine schöne Hinweisung ans die
Nothwendigkeit im Menschenleben das Wahre und Gute fest zu halten und im
vereinten Streben dafür zu wirken. Diese letzte unzweifelhafte Wahrheit vertrat,
wie schon bemerkt, die Stelle des Vogels Phönix.

Mail lese die Rede des Ministers in Ur. 102 des preußischen Staatsau¬
zeigers nach. Ist es erlaubt, daß im Jahre 18Se1 ein preußischer Minister vor
einer Versammlung voll politischen Notabilitäten so spricht, lind gerade in der
Stunde, wo mau berechtigt war, vou ihm ein männliches Aussprechen über die
Absichten Preußens zu erwarten, lind ferner in der größten Angelegenheit, in
welcher er jede Verpflichtung hatte, die Initiative zu ergreifen?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/144>, abgerufen am 25.08.2024.