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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Magyar, gewöhnlich Slave; er fand in der Heimath ein armes, verwahrlostes,
aus einer sehr niedrigen Stufe der Kultur stehendes Völkchen, das von Arpad
und seinen Söhnen in die unfruchtbaren Grenzmarken der Karpathen gedrängt
war; sein Idiom hatte fast noch gar keine Literatur, und war kaum härtlich''und
reich genug eine hervorzurufen; selbst die Geister seines Stammes waren dem
hochstrebenden Magyaren dienstbar. Das Reich seiner Wünsche war also ein
unendliches, das practische Leben bot seinem Idealismus keine Sphäre, in die er
sich versenken kounte, aber seiner Phantasie stand der freiste Spielraum, alles
Schöne, aber auch alle Wege der Verirrung dein Fluge seiner Träume offen.
Die Stützen der künftigen Größe, welche im Vaterlande nicht wohl zu finden
waren, wurden unter den slavischen Stämmen des Auslandes gesucht, und die
verschiedenartige", oft sich kreuzende" Te"de"ze" des russische", polnischen und
czechischeu Panslavismus fanden unter den Nordslaven Ungarns ihre eifrigsten
Verfechter. Die Mittelpunkte dieser centrifugalen Bestrebungen wurden: das
evangelische Lyceum zu Preßburg, die Gymnasien zu Rosenberg in der Liptauer
und zu Schemnitz in der Honter Gespanuschaft. Unter den vielen Professoren
und Geistlichen, welche dem Panslavismus zugethan waren, sind in neuester Zeit
hauptsächlich vier bekannt geworden: Kollür, evangelischer Prediger an der
lutherischen Kirche zu Pesth, ein Mann von großer Gelehrsamkeit und dichterischer
Begabung, der als das Haupt der literarisch-slavische" Propaganda in Ungarn
betrachtet werden kann. Kvllür ist zu sehr Dichter, um zu politische" Agitationen
geeignet zu sein, und ein zu edler Mensch, um sich bei den Umtrieben eines Pöbel¬
führers gebrauchen zu lassen. Es ging dem Mann während der Revolution,
no er sich ganz neutral verhielt und ruhig in. Pesth lebte, wie dem König im
Schauspiel, ein Auge lachte ihm über den Sieg der unterdrückten Stämme, wäh¬
rend das andere Thräne" vergoß über die vermeinte Vereitelung seines vieljährigen
literarischen Strebens. -- Seur war Professor am Lyceum z" Preßburg und
Redacteur der daselbst erschienenen "81ovenslii novino," die sich die Aufgabe stellte,
die vermeinten oder wirkliche" Uebergriffe des Magyarenthums -- meist ans Kosten
des Liberalismus, deu die jüngern Magyaren vertraten -- zu bekämpfen. Neben
diesen Apostel" der slavischen Liebe arbeitete" zwei Verfündiger des Hasses mit
schlechtem Herzen und halb gebildetem Geist. Hodzsa, Prediger der lutherischen
Gemeinde zu Szene Miklös in der Liptauer Gcspauuschast spielte den slavischen
Pater Matthew mit der Hetzpeitsche, er wollte seinen Landsleuten den Brand-
weinransch abgewöhne", um sie mit Magyaren- und Judenhaß berauschen zu könne".
H urbau aber war früher liltherischer Prediger in Szvbotist, einem kleinen Städt¬
chen unweit Miava, und eifriger Maimscriptlieferant der Slovenski Novine; da
aber seine Artikel wie seine Predigten in bedenklicher Weise die Grundsätze eines
Strauchdiebes und Raubritters, was er später auch wurde, verriethe", so wurde
er auf Antrag des kirchlichen Obcrprocnratvrs aller ungarischen Lutheraner, des


Magyar, gewöhnlich Slave; er fand in der Heimath ein armes, verwahrlostes,
aus einer sehr niedrigen Stufe der Kultur stehendes Völkchen, das von Arpad
und seinen Söhnen in die unfruchtbaren Grenzmarken der Karpathen gedrängt
war; sein Idiom hatte fast noch gar keine Literatur, und war kaum härtlich''und
reich genug eine hervorzurufen; selbst die Geister seines Stammes waren dem
hochstrebenden Magyaren dienstbar. Das Reich seiner Wünsche war also ein
unendliches, das practische Leben bot seinem Idealismus keine Sphäre, in die er
sich versenken kounte, aber seiner Phantasie stand der freiste Spielraum, alles
Schöne, aber auch alle Wege der Verirrung dein Fluge seiner Träume offen.
Die Stützen der künftigen Größe, welche im Vaterlande nicht wohl zu finden
waren, wurden unter den slavischen Stämmen des Auslandes gesucht, und die
verschiedenartige», oft sich kreuzende» Te»de»ze» des russische», polnischen und
czechischeu Panslavismus fanden unter den Nordslaven Ungarns ihre eifrigsten
Verfechter. Die Mittelpunkte dieser centrifugalen Bestrebungen wurden: das
evangelische Lyceum zu Preßburg, die Gymnasien zu Rosenberg in der Liptauer
und zu Schemnitz in der Honter Gespanuschaft. Unter den vielen Professoren
und Geistlichen, welche dem Panslavismus zugethan waren, sind in neuester Zeit
hauptsächlich vier bekannt geworden: Kollür, evangelischer Prediger an der
lutherischen Kirche zu Pesth, ein Mann von großer Gelehrsamkeit und dichterischer
Begabung, der als das Haupt der literarisch-slavische» Propaganda in Ungarn
betrachtet werden kann. Kvllür ist zu sehr Dichter, um zu politische» Agitationen
geeignet zu sein, und ein zu edler Mensch, um sich bei den Umtrieben eines Pöbel¬
führers gebrauchen zu lassen. Es ging dem Mann während der Revolution,
no er sich ganz neutral verhielt und ruhig in. Pesth lebte, wie dem König im
Schauspiel, ein Auge lachte ihm über den Sieg der unterdrückten Stämme, wäh¬
rend das andere Thräne» vergoß über die vermeinte Vereitelung seines vieljährigen
literarischen Strebens. — Seur war Professor am Lyceum z» Preßburg und
Redacteur der daselbst erschienenen „81ovenslii novino," die sich die Aufgabe stellte,
die vermeinten oder wirkliche» Uebergriffe des Magyarenthums — meist ans Kosten
des Liberalismus, deu die jüngern Magyaren vertraten — zu bekämpfen. Neben
diesen Apostel» der slavischen Liebe arbeitete» zwei Verfündiger des Hasses mit
schlechtem Herzen und halb gebildetem Geist. Hodzsa, Prediger der lutherischen
Gemeinde zu Szene Miklös in der Liptauer Gcspauuschast spielte den slavischen
Pater Matthew mit der Hetzpeitsche, er wollte seinen Landsleuten den Brand-
weinransch abgewöhne», um sie mit Magyaren- und Judenhaß berauschen zu könne».
H urbau aber war früher liltherischer Prediger in Szvbotist, einem kleinen Städt¬
chen unweit Miava, und eifriger Maimscriptlieferant der Slovenski Novine; da
aber seine Artikel wie seine Predigten in bedenklicher Weise die Grundsätze eines
Strauchdiebes und Raubritters, was er später auch wurde, verriethe», so wurde
er auf Antrag des kirchlichen Obcrprocnratvrs aller ungarischen Lutheraner, des


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[0114] Magyar, gewöhnlich Slave; er fand in der Heimath ein armes, verwahrlostes, aus einer sehr niedrigen Stufe der Kultur stehendes Völkchen, das von Arpad und seinen Söhnen in die unfruchtbaren Grenzmarken der Karpathen gedrängt war; sein Idiom hatte fast noch gar keine Literatur, und war kaum härtlich''und reich genug eine hervorzurufen; selbst die Geister seines Stammes waren dem hochstrebenden Magyaren dienstbar. Das Reich seiner Wünsche war also ein unendliches, das practische Leben bot seinem Idealismus keine Sphäre, in die er sich versenken kounte, aber seiner Phantasie stand der freiste Spielraum, alles Schöne, aber auch alle Wege der Verirrung dein Fluge seiner Träume offen. Die Stützen der künftigen Größe, welche im Vaterlande nicht wohl zu finden waren, wurden unter den slavischen Stämmen des Auslandes gesucht, und die verschiedenartige», oft sich kreuzende» Te»de»ze» des russische», polnischen und czechischeu Panslavismus fanden unter den Nordslaven Ungarns ihre eifrigsten Verfechter. Die Mittelpunkte dieser centrifugalen Bestrebungen wurden: das evangelische Lyceum zu Preßburg, die Gymnasien zu Rosenberg in der Liptauer und zu Schemnitz in der Honter Gespanuschaft. Unter den vielen Professoren und Geistlichen, welche dem Panslavismus zugethan waren, sind in neuester Zeit hauptsächlich vier bekannt geworden: Kollür, evangelischer Prediger an der lutherischen Kirche zu Pesth, ein Mann von großer Gelehrsamkeit und dichterischer Begabung, der als das Haupt der literarisch-slavische» Propaganda in Ungarn betrachtet werden kann. Kvllür ist zu sehr Dichter, um zu politische» Agitationen geeignet zu sein, und ein zu edler Mensch, um sich bei den Umtrieben eines Pöbel¬ führers gebrauchen zu lassen. Es ging dem Mann während der Revolution, no er sich ganz neutral verhielt und ruhig in. Pesth lebte, wie dem König im Schauspiel, ein Auge lachte ihm über den Sieg der unterdrückten Stämme, wäh¬ rend das andere Thräne» vergoß über die vermeinte Vereitelung seines vieljährigen literarischen Strebens. — Seur war Professor am Lyceum z» Preßburg und Redacteur der daselbst erschienenen „81ovenslii novino," die sich die Aufgabe stellte, die vermeinten oder wirkliche» Uebergriffe des Magyarenthums — meist ans Kosten des Liberalismus, deu die jüngern Magyaren vertraten — zu bekämpfen. Neben diesen Apostel» der slavischen Liebe arbeitete» zwei Verfündiger des Hasses mit schlechtem Herzen und halb gebildetem Geist. Hodzsa, Prediger der lutherischen Gemeinde zu Szene Miklös in der Liptauer Gcspauuschast spielte den slavischen Pater Matthew mit der Hetzpeitsche, er wollte seinen Landsleuten den Brand- weinransch abgewöhne», um sie mit Magyaren- und Judenhaß berauschen zu könne». H urbau aber war früher liltherischer Prediger in Szvbotist, einem kleinen Städt¬ chen unweit Miava, und eifriger Maimscriptlieferant der Slovenski Novine; da aber seine Artikel wie seine Predigten in bedenklicher Weise die Grundsätze eines Strauchdiebes und Raubritters, was er später auch wurde, verriethe», so wurde er auf Antrag des kirchlichen Obcrprocnratvrs aller ungarischen Lutheraner, des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/114>, abgerufen am 22.07.2024.