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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Wir theilen eine Probe ans dem letzten Theile deö Buches mit, in welchem
der Verfasser seine Forderungen an die Organisation Oestreichs ausspricht, und
hoffen, daß unsere Leser dadurch für das Buch gewonnen werden:

Der Begriff der Nationalität ist in Oestreich überall - ein unbestimmter.
Halb auf das Ergebniß der Geschichte gebant, und der territorialen Eintheilung
des Staates folgend, halb auf die Verschiedenheit der Sprache begründet, kann
Niemand bestimmen, welche von beiden Auffassungen die allgemeinere ist, welche
man daher mehr zu berücksichtigen hat, höchstens wenn in dieser Hinsicht so viel
gesagt werden kann, daß von beiden Richtungen, in welchen sich das Prinzip der
Nationalität äußert, immer jene mehr in den Vordergrund tritt, welche sich für
den Augenblick am meisten bedroht sieht..

Es folgt daraus, daß bei der Organisation deö östreichischen
Staates beide Richtungen berücksichtigt werden müssen, und sowohl
die historischen Rechte der einzelnen Provinzen, als die Ansprüche, die im Namen
sprachlicher Verschiedenheit erhoben werden, nur insofern verletzt werden dürfen,
als dieses die Einheit des Staates unumgänglich erfordert. Die Aufgabe, welche
mithin in der östreichischen Monarchie gelöst werden muß, ist eine dreifache:

die Begründung eines starken einheitlichen Staates;

die Vermittelung der nationellen, ans historisches Recht begründeten Ansprüche
der einzelnen Theile der Monarchie mit den Bedürfnissen der Einheit;

die Vermittelung der ans die Verschiedenheit der Sprache begründeten An¬
sprüche der einzelnen Nationalitäten mit dem Prinzipe des historischen Rechtes in
den einzelnen Theilen und mit den Erfordernissen der Einheit in der Monarchie.

Wie die Einheit der Monarchie nicht darin besteht, daß die ganze Verwal¬
tung jeder einzelnen Provinz in höchster Instanz durch einen allgemeinen Minister
des Innern geleitet werde, und die öffentliche Erziehung in den einzelnen
Kronländern besondern Behörden übertragen werden kann, ohne daß dadurch sür
die Einheit des Staates eine Gefahr entstünde; ja wie es bei den widersprechen¬
den Ansichten, welche in Hinsicht konfessioneller Verhältnisse zwischen Ungarn und
Kroatien, Siebenbürgen und Tirol bestehe", fast besser scheint, wenn man alle die
Religion betreffenden Angelegenheiten den einzelnen Landesverwaltuugen übergibt,
und die Centralgewalt der Nothwendigkeit überhebt, ihre in dieser Hinsicht aus-
gesprochenen Grundsätze in einer Reihe von Ausnahmen anzuwenden, wodurch sie
zum Kampfplatze religiöser Fragen gemacht werden muß: eben so kann im Namen
des historischen Rechtes der Provinzen nichts in Anspruch genommen werden, als
was dieselben wirklich besessen haben d. h. jenen Kreis freier Thätigkeit,
welchen die absolute Regierung vormärzlicher Tage den einzelnen Provinzen
offen ließ.

Selbst wenn wir die Verhältnisse Ungarns, Siebenbürgens und Kroatiens
betrachten, erstreckte sich dieser Kreis nirgends so weit/ daß er die dnrch die ab-


Wir theilen eine Probe ans dem letzten Theile deö Buches mit, in welchem
der Verfasser seine Forderungen an die Organisation Oestreichs ausspricht, und
hoffen, daß unsere Leser dadurch für das Buch gewonnen werden:

Der Begriff der Nationalität ist in Oestreich überall - ein unbestimmter.
Halb auf das Ergebniß der Geschichte gebant, und der territorialen Eintheilung
des Staates folgend, halb auf die Verschiedenheit der Sprache begründet, kann
Niemand bestimmen, welche von beiden Auffassungen die allgemeinere ist, welche
man daher mehr zu berücksichtigen hat, höchstens wenn in dieser Hinsicht so viel
gesagt werden kann, daß von beiden Richtungen, in welchen sich das Prinzip der
Nationalität äußert, immer jene mehr in den Vordergrund tritt, welche sich für
den Augenblick am meisten bedroht sieht..

Es folgt daraus, daß bei der Organisation deö östreichischen
Staates beide Richtungen berücksichtigt werden müssen, und sowohl
die historischen Rechte der einzelnen Provinzen, als die Ansprüche, die im Namen
sprachlicher Verschiedenheit erhoben werden, nur insofern verletzt werden dürfen,
als dieses die Einheit des Staates unumgänglich erfordert. Die Aufgabe, welche
mithin in der östreichischen Monarchie gelöst werden muß, ist eine dreifache:

die Begründung eines starken einheitlichen Staates;

die Vermittelung der nationellen, ans historisches Recht begründeten Ansprüche
der einzelnen Theile der Monarchie mit den Bedürfnissen der Einheit;

die Vermittelung der ans die Verschiedenheit der Sprache begründeten An¬
sprüche der einzelnen Nationalitäten mit dem Prinzipe des historischen Rechtes in
den einzelnen Theilen und mit den Erfordernissen der Einheit in der Monarchie.

Wie die Einheit der Monarchie nicht darin besteht, daß die ganze Verwal¬
tung jeder einzelnen Provinz in höchster Instanz durch einen allgemeinen Minister
des Innern geleitet werde, und die öffentliche Erziehung in den einzelnen
Kronländern besondern Behörden übertragen werden kann, ohne daß dadurch sür
die Einheit des Staates eine Gefahr entstünde; ja wie es bei den widersprechen¬
den Ansichten, welche in Hinsicht konfessioneller Verhältnisse zwischen Ungarn und
Kroatien, Siebenbürgen und Tirol bestehe«, fast besser scheint, wenn man alle die
Religion betreffenden Angelegenheiten den einzelnen Landesverwaltuugen übergibt,
und die Centralgewalt der Nothwendigkeit überhebt, ihre in dieser Hinsicht aus-
gesprochenen Grundsätze in einer Reihe von Ausnahmen anzuwenden, wodurch sie
zum Kampfplatze religiöser Fragen gemacht werden muß: eben so kann im Namen
des historischen Rechtes der Provinzen nichts in Anspruch genommen werden, als
was dieselben wirklich besessen haben d. h. jenen Kreis freier Thätigkeit,
welchen die absolute Regierung vormärzlicher Tage den einzelnen Provinzen
offen ließ.

Selbst wenn wir die Verhältnisse Ungarns, Siebenbürgens und Kroatiens
betrachten, erstreckte sich dieser Kreis nirgends so weit/ daß er die dnrch die ab-


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[0110] Wir theilen eine Probe ans dem letzten Theile deö Buches mit, in welchem der Verfasser seine Forderungen an die Organisation Oestreichs ausspricht, und hoffen, daß unsere Leser dadurch für das Buch gewonnen werden: Der Begriff der Nationalität ist in Oestreich überall - ein unbestimmter. Halb auf das Ergebniß der Geschichte gebant, und der territorialen Eintheilung des Staates folgend, halb auf die Verschiedenheit der Sprache begründet, kann Niemand bestimmen, welche von beiden Auffassungen die allgemeinere ist, welche man daher mehr zu berücksichtigen hat, höchstens wenn in dieser Hinsicht so viel gesagt werden kann, daß von beiden Richtungen, in welchen sich das Prinzip der Nationalität äußert, immer jene mehr in den Vordergrund tritt, welche sich für den Augenblick am meisten bedroht sieht.. Es folgt daraus, daß bei der Organisation deö östreichischen Staates beide Richtungen berücksichtigt werden müssen, und sowohl die historischen Rechte der einzelnen Provinzen, als die Ansprüche, die im Namen sprachlicher Verschiedenheit erhoben werden, nur insofern verletzt werden dürfen, als dieses die Einheit des Staates unumgänglich erfordert. Die Aufgabe, welche mithin in der östreichischen Monarchie gelöst werden muß, ist eine dreifache: die Begründung eines starken einheitlichen Staates; die Vermittelung der nationellen, ans historisches Recht begründeten Ansprüche der einzelnen Theile der Monarchie mit den Bedürfnissen der Einheit; die Vermittelung der ans die Verschiedenheit der Sprache begründeten An¬ sprüche der einzelnen Nationalitäten mit dem Prinzipe des historischen Rechtes in den einzelnen Theilen und mit den Erfordernissen der Einheit in der Monarchie. Wie die Einheit der Monarchie nicht darin besteht, daß die ganze Verwal¬ tung jeder einzelnen Provinz in höchster Instanz durch einen allgemeinen Minister des Innern geleitet werde, und die öffentliche Erziehung in den einzelnen Kronländern besondern Behörden übertragen werden kann, ohne daß dadurch sür die Einheit des Staates eine Gefahr entstünde; ja wie es bei den widersprechen¬ den Ansichten, welche in Hinsicht konfessioneller Verhältnisse zwischen Ungarn und Kroatien, Siebenbürgen und Tirol bestehe«, fast besser scheint, wenn man alle die Religion betreffenden Angelegenheiten den einzelnen Landesverwaltuugen übergibt, und die Centralgewalt der Nothwendigkeit überhebt, ihre in dieser Hinsicht aus- gesprochenen Grundsätze in einer Reihe von Ausnahmen anzuwenden, wodurch sie zum Kampfplatze religiöser Fragen gemacht werden muß: eben so kann im Namen des historischen Rechtes der Provinzen nichts in Anspruch genommen werden, als was dieselben wirklich besessen haben d. h. jenen Kreis freier Thätigkeit, welchen die absolute Regierung vormärzlicher Tage den einzelnen Provinzen offen ließ. Selbst wenn wir die Verhältnisse Ungarns, Siebenbürgens und Kroatiens betrachten, erstreckte sich dieser Kreis nirgends so weit/ daß er die dnrch die ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/110>, abgerufen am 26.06.2024.