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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Gefühl, einmal an der Weltbewegung Theil genommen zu haben, ist noch keines¬
wegs ausgelöscht; im Gegentheil es ist daraus in Deutschland ebenso der Geschmack
an der politischen Thätigkeit hervorgegangen, wie bei uns der Wunsch uach einer
Vermittelung und die Sehnsucht uach Ruhe. . . Der Enthusiasmus aus dem Anfang
des' Jahrhunderts, so oft getäuscht und gebrandmarkt, hat sich in Galle verwandelt,
und Deutschland hat den Sarcasmns seines Luther wiedergefunden, seine eigenen
Träume und seiue Jungfräulichkeit zu verspotte". Vou einer naiven Begeisterung,
dem alten Glanben, der Entsagung, der Sammlung, der Sorglosigkeit in politischen
Dingen ist nicht mehr die Rede; die Thatsachen haben es zu rauh in seinen Ein¬
bildungen verwundet, und es ist nichts geblieben als eine Bitterkeit ohne Grenzen.
-- Diese Betrachtungen gelten vor Allem für Preußen. Dort hat die alte, cos-
mopolitische Unparteilichkeit einem reizbaren Patriotismus Platz gemacht, die alten
Demagogen haben mit der Staatsgewalt Frieden geschlossen. In der That gibt
diese Negierung, das wonach Deutschland am meisten strebt: Action, wirkliches Leben,
sociale Initiative. . . Beim ersten Anblick wundert man sich, wie die einzige popu¬
läre Regierung in Deutschland die einzige ist, welche die despotische Form bei¬
behalten hat; aber dieser Despotismus ist intelligent, ehrgeizig, unternehmend:
es fehlt ihm nur ein Mann von klarem Blick, der seinen Stern im
Tageslicht erkennt. Zwischen dein Volk und der Regierung besteht ein gehei¬
mes Einverständnis^, die Sache der Freiheit zu vertagen, und gemeinsam an: Wachs¬
thum der Macht Friedrich des Großen zu arbeiten. Für das übrige Deutschland
ist dieser Despotismus bedrohlicher als der östreichische, denn er ist nicht blos in
der Regierung, er ist im Land, im Volk, in den Sitten, in dem herausfordernden
Ton des preußischen Bewußtseins. Oestreich hat sich seit der Reformation von
dem Band der Nation getrennt, es hat sich eine eigne Bestimmung bereitet und
sucht sein Glück in der Fremde. Auch die neue philosophische Bewegung des
Nordens hat es nicht berührt. Mitten in dem Kampf der Ideen hat es ruhig
und maschinenmäßig fortgefahren, wie eine Wölfin der Donan, den Pfad nach
Italien und der Türkei zu graben. Was es für seine Nachbarn bequem macht,
ist, daß sein unbedingter Glaube an die äußere Gewalt es von jedem Eifer des
sittlichen Proselytismnö bewahrt, vou jedem Versuch, die Geister zu gewinnen.
Ganz im Gegentheil verliert der preußische Despotiöuius keinen Augenblick die Bestim¬
mung Deutschlands aus den Angen; er will es geistig umstricken, ehe er es mit Gewalt
an sich nimmt. Ganz im Gegentheil zu dein Wiener, liebt er das Geräusch und
kann es auch machen, denn er hat Ideen, Systeme, eine Philosophie, eine Wissen¬
schaft und Secten, die ihm ganz eigen angehören; er vereinigt, man kann es
nicht leugne", die sicherste Praxis mit dem höchsten Idealismus, und beweist voll¬
kommen, daß die materiellen Interessen sich sehr wohl mit dem Glanz der Theorie
und der Beschäftigung mit dem Unendlichen vertragen, deren Deutschland zu seiner
Ehre, sich nie entäußern wird.---Während der ganzen Restaurationszeit


Gefühl, einmal an der Weltbewegung Theil genommen zu haben, ist noch keines¬
wegs ausgelöscht; im Gegentheil es ist daraus in Deutschland ebenso der Geschmack
an der politischen Thätigkeit hervorgegangen, wie bei uns der Wunsch uach einer
Vermittelung und die Sehnsucht uach Ruhe. . . Der Enthusiasmus aus dem Anfang
des' Jahrhunderts, so oft getäuscht und gebrandmarkt, hat sich in Galle verwandelt,
und Deutschland hat den Sarcasmns seines Luther wiedergefunden, seine eigenen
Träume und seiue Jungfräulichkeit zu verspotte». Vou einer naiven Begeisterung,
dem alten Glanben, der Entsagung, der Sammlung, der Sorglosigkeit in politischen
Dingen ist nicht mehr die Rede; die Thatsachen haben es zu rauh in seinen Ein¬
bildungen verwundet, und es ist nichts geblieben als eine Bitterkeit ohne Grenzen.
— Diese Betrachtungen gelten vor Allem für Preußen. Dort hat die alte, cos-
mopolitische Unparteilichkeit einem reizbaren Patriotismus Platz gemacht, die alten
Demagogen haben mit der Staatsgewalt Frieden geschlossen. In der That gibt
diese Negierung, das wonach Deutschland am meisten strebt: Action, wirkliches Leben,
sociale Initiative. . . Beim ersten Anblick wundert man sich, wie die einzige popu¬
läre Regierung in Deutschland die einzige ist, welche die despotische Form bei¬
behalten hat; aber dieser Despotismus ist intelligent, ehrgeizig, unternehmend:
es fehlt ihm nur ein Mann von klarem Blick, der seinen Stern im
Tageslicht erkennt. Zwischen dein Volk und der Regierung besteht ein gehei¬
mes Einverständnis^, die Sache der Freiheit zu vertagen, und gemeinsam an: Wachs¬
thum der Macht Friedrich des Großen zu arbeiten. Für das übrige Deutschland
ist dieser Despotismus bedrohlicher als der östreichische, denn er ist nicht blos in
der Regierung, er ist im Land, im Volk, in den Sitten, in dem herausfordernden
Ton des preußischen Bewußtseins. Oestreich hat sich seit der Reformation von
dem Band der Nation getrennt, es hat sich eine eigne Bestimmung bereitet und
sucht sein Glück in der Fremde. Auch die neue philosophische Bewegung des
Nordens hat es nicht berührt. Mitten in dem Kampf der Ideen hat es ruhig
und maschinenmäßig fortgefahren, wie eine Wölfin der Donan, den Pfad nach
Italien und der Türkei zu graben. Was es für seine Nachbarn bequem macht,
ist, daß sein unbedingter Glaube an die äußere Gewalt es von jedem Eifer des
sittlichen Proselytismnö bewahrt, vou jedem Versuch, die Geister zu gewinnen.
Ganz im Gegentheil verliert der preußische Despotiöuius keinen Augenblick die Bestim¬
mung Deutschlands aus den Angen; er will es geistig umstricken, ehe er es mit Gewalt
an sich nimmt. Ganz im Gegentheil zu dein Wiener, liebt er das Geräusch und
kann es auch machen, denn er hat Ideen, Systeme, eine Philosophie, eine Wissen¬
schaft und Secten, die ihm ganz eigen angehören; er vereinigt, man kann es
nicht leugne», die sicherste Praxis mit dem höchsten Idealismus, und beweist voll¬
kommen, daß die materiellen Interessen sich sehr wohl mit dem Glanz der Theorie
und der Beschäftigung mit dem Unendlichen vertragen, deren Deutschland zu seiner
Ehre, sich nie entäußern wird.---Während der ganzen Restaurationszeit


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[0104] Gefühl, einmal an der Weltbewegung Theil genommen zu haben, ist noch keines¬ wegs ausgelöscht; im Gegentheil es ist daraus in Deutschland ebenso der Geschmack an der politischen Thätigkeit hervorgegangen, wie bei uns der Wunsch uach einer Vermittelung und die Sehnsucht uach Ruhe. . . Der Enthusiasmus aus dem Anfang des' Jahrhunderts, so oft getäuscht und gebrandmarkt, hat sich in Galle verwandelt, und Deutschland hat den Sarcasmns seines Luther wiedergefunden, seine eigenen Träume und seiue Jungfräulichkeit zu verspotte». Vou einer naiven Begeisterung, dem alten Glanben, der Entsagung, der Sammlung, der Sorglosigkeit in politischen Dingen ist nicht mehr die Rede; die Thatsachen haben es zu rauh in seinen Ein¬ bildungen verwundet, und es ist nichts geblieben als eine Bitterkeit ohne Grenzen. — Diese Betrachtungen gelten vor Allem für Preußen. Dort hat die alte, cos- mopolitische Unparteilichkeit einem reizbaren Patriotismus Platz gemacht, die alten Demagogen haben mit der Staatsgewalt Frieden geschlossen. In der That gibt diese Negierung, das wonach Deutschland am meisten strebt: Action, wirkliches Leben, sociale Initiative. . . Beim ersten Anblick wundert man sich, wie die einzige popu¬ läre Regierung in Deutschland die einzige ist, welche die despotische Form bei¬ behalten hat; aber dieser Despotismus ist intelligent, ehrgeizig, unternehmend: es fehlt ihm nur ein Mann von klarem Blick, der seinen Stern im Tageslicht erkennt. Zwischen dein Volk und der Regierung besteht ein gehei¬ mes Einverständnis^, die Sache der Freiheit zu vertagen, und gemeinsam an: Wachs¬ thum der Macht Friedrich des Großen zu arbeiten. Für das übrige Deutschland ist dieser Despotismus bedrohlicher als der östreichische, denn er ist nicht blos in der Regierung, er ist im Land, im Volk, in den Sitten, in dem herausfordernden Ton des preußischen Bewußtseins. Oestreich hat sich seit der Reformation von dem Band der Nation getrennt, es hat sich eine eigne Bestimmung bereitet und sucht sein Glück in der Fremde. Auch die neue philosophische Bewegung des Nordens hat es nicht berührt. Mitten in dem Kampf der Ideen hat es ruhig und maschinenmäßig fortgefahren, wie eine Wölfin der Donan, den Pfad nach Italien und der Türkei zu graben. Was es für seine Nachbarn bequem macht, ist, daß sein unbedingter Glaube an die äußere Gewalt es von jedem Eifer des sittlichen Proselytismnö bewahrt, vou jedem Versuch, die Geister zu gewinnen. Ganz im Gegentheil verliert der preußische Despotiöuius keinen Augenblick die Bestim¬ mung Deutschlands aus den Angen; er will es geistig umstricken, ehe er es mit Gewalt an sich nimmt. Ganz im Gegentheil zu dein Wiener, liebt er das Geräusch und kann es auch machen, denn er hat Ideen, Systeme, eine Philosophie, eine Wissen¬ schaft und Secten, die ihm ganz eigen angehören; er vereinigt, man kann es nicht leugne», die sicherste Praxis mit dem höchsten Idealismus, und beweist voll¬ kommen, daß die materiellen Interessen sich sehr wohl mit dem Glanz der Theorie und der Beschäftigung mit dem Unendlichen vertragen, deren Deutschland zu seiner Ehre, sich nie entäußern wird.---Während der ganzen Restaurationszeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/104>, abgerufen am 22.07.2024.