Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aufgehört hat, die eine urgermanische Einrichtung gewesen: wurden wir unserer
Geschichte untreu, als wir sie abschafften?

Die Aufklärung ist in Europa von "Oben" ausgegangen, wir müssen das
nun einmal anerkennen, so sehr sich auch unser demokratisches Gewissen dagegen
sträuben mag, und das Licht, welches von dort ausströmte, war es, was dem
Volke geleuchtet hat, um weiter fortzuschreiten, als der "aufgeklärte Despotismus"
zu vertragen vermochte. Nicht anders verhielt es sich mit der Gründung der
Staaten. Was aber den Königen in Frankreich und Spanien gelungen, das
glückte nicht den deutschen Kaisern; denn gestrebt haben diese nicht rund?r nach
der Gründung des deutschen Staates, vor Friedrich von Hohenstaufen und nach
ihm, mehr oder weniger, je nach ihrer Kraft und nach ihrer Begabung, bis nach
Entstehung der östreichischen Monarchie, die östreichische Politik gerade aus Deutsch¬
lands Trennung Nutzen zu ziehen verstand. Daß die Absichten der deutschen Kaiser
mißglückter, darauf haben wir gar nicht Ursache stolz zu sein. Denn nicht der
Geist der Nation hat jene, allerdings absolutistischen, Bestrebungen vereitelt, son¬
dern der Despotismus der Fürsten, und das, was sie germanische Libcrtät nannten,
war genau Dasselbe, was wir heutzutage den Souvcränitätsschwindel nennen und
verwünschen; es haben diese kleinen Despoten unendlich mehr an unserem Volke
gesündigt, als ein einziger je vermocht hätte. Wir würden uns hente des deutschen
Staates freuen, wenn die Kaiser gesiegt hätten, so wie unsere Nachkommen sicher¬
lich nicht danach fragen würden, ob der deutsche Staat, falls er geschaffen würde,
eine unmittelbare Schöpfung der Volksvertreter oder des mächtigsten der deutschen
Fürsten sei, d. h. ob ein paar hundert Volksmänner oder ein Fürst das letzte
Wort gesprochen.

Schwer wiegende Gründe zur Centralisation sind aber an uns ergangen durch
die neueste Gestaltung der Dinge im Südosten.

Der Jubel der Unwissenheit über den bevorstehenden Umsturz Oestreichs ist
zu schauten geworden, so entsetzlich sich anch dessen Schwäche offenbart hat; trotz
dieser Schwäche wird es höchst wahrscheinlich eine ziemliche Zeit noch dauern.
Denn ganz abgesehen davon, daß Staaten, welche seit einer Reihe von Jahrhun¬
derten bestehen, eine Kraft des Widerstandes -- oder, wenn man will, der Träg¬
heit, der Zähigkeit -- besitzen, welche bei Stürmen mehr Dienste thut, als die
Weisheit der weisesten Staatslenker -- man denke an die Türkei --; ganz abge¬
sehen davon, ist'Oestreich, so wie es dermalen ist, ein Natürliches, ein von
den Umständen und der Lage der Dinge Gebotenes, Gegebenes. Im Südosten,
zwischen dem Böhmerwald und den Südkarpathen, sitzt eine Anzahl von Völkern,
von den jedes für sich allein nicht fähig war, der von Osten und von Süden
herandringenden Fluch Widerstand zu thun, nicht fähig war, selbst nach dem
Aufhören der Stürme, einen selbstständigen Staat zu bilden; jene Völker sind
hierzu nicht nnr zu klein, sondern sie sind in Folge jener, durch Jahrhunderte


aufgehört hat, die eine urgermanische Einrichtung gewesen: wurden wir unserer
Geschichte untreu, als wir sie abschafften?

Die Aufklärung ist in Europa von „Oben" ausgegangen, wir müssen das
nun einmal anerkennen, so sehr sich auch unser demokratisches Gewissen dagegen
sträuben mag, und das Licht, welches von dort ausströmte, war es, was dem
Volke geleuchtet hat, um weiter fortzuschreiten, als der „aufgeklärte Despotismus"
zu vertragen vermochte. Nicht anders verhielt es sich mit der Gründung der
Staaten. Was aber den Königen in Frankreich und Spanien gelungen, das
glückte nicht den deutschen Kaisern; denn gestrebt haben diese nicht rund?r nach
der Gründung des deutschen Staates, vor Friedrich von Hohenstaufen und nach
ihm, mehr oder weniger, je nach ihrer Kraft und nach ihrer Begabung, bis nach
Entstehung der östreichischen Monarchie, die östreichische Politik gerade aus Deutsch¬
lands Trennung Nutzen zu ziehen verstand. Daß die Absichten der deutschen Kaiser
mißglückter, darauf haben wir gar nicht Ursache stolz zu sein. Denn nicht der
Geist der Nation hat jene, allerdings absolutistischen, Bestrebungen vereitelt, son¬
dern der Despotismus der Fürsten, und das, was sie germanische Libcrtät nannten,
war genau Dasselbe, was wir heutzutage den Souvcränitätsschwindel nennen und
verwünschen; es haben diese kleinen Despoten unendlich mehr an unserem Volke
gesündigt, als ein einziger je vermocht hätte. Wir würden uns hente des deutschen
Staates freuen, wenn die Kaiser gesiegt hätten, so wie unsere Nachkommen sicher¬
lich nicht danach fragen würden, ob der deutsche Staat, falls er geschaffen würde,
eine unmittelbare Schöpfung der Volksvertreter oder des mächtigsten der deutschen
Fürsten sei, d. h. ob ein paar hundert Volksmänner oder ein Fürst das letzte
Wort gesprochen.

Schwer wiegende Gründe zur Centralisation sind aber an uns ergangen durch
die neueste Gestaltung der Dinge im Südosten.

Der Jubel der Unwissenheit über den bevorstehenden Umsturz Oestreichs ist
zu schauten geworden, so entsetzlich sich anch dessen Schwäche offenbart hat; trotz
dieser Schwäche wird es höchst wahrscheinlich eine ziemliche Zeit noch dauern.
Denn ganz abgesehen davon, daß Staaten, welche seit einer Reihe von Jahrhun¬
derten bestehen, eine Kraft des Widerstandes — oder, wenn man will, der Träg¬
heit, der Zähigkeit — besitzen, welche bei Stürmen mehr Dienste thut, als die
Weisheit der weisesten Staatslenker — man denke an die Türkei —; ganz abge¬
sehen davon, ist'Oestreich, so wie es dermalen ist, ein Natürliches, ein von
den Umständen und der Lage der Dinge Gebotenes, Gegebenes. Im Südosten,
zwischen dem Böhmerwald und den Südkarpathen, sitzt eine Anzahl von Völkern,
von den jedes für sich allein nicht fähig war, der von Osten und von Süden
herandringenden Fluch Widerstand zu thun, nicht fähig war, selbst nach dem
Aufhören der Stürme, einen selbstständigen Staat zu bilden; jene Völker sind
hierzu nicht nnr zu klein, sondern sie sind in Folge jener, durch Jahrhunderte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0008" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279556"/>
          <p xml:id="ID_10" prev="#ID_9"> aufgehört hat, die eine urgermanische Einrichtung gewesen: wurden wir unserer<lb/>
Geschichte untreu, als wir sie abschafften?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_11"> Die Aufklärung ist in Europa von &#x201E;Oben" ausgegangen, wir müssen das<lb/>
nun einmal anerkennen, so sehr sich auch unser demokratisches Gewissen dagegen<lb/>
sträuben mag, und das Licht, welches von dort ausströmte, war es, was dem<lb/>
Volke geleuchtet hat, um weiter fortzuschreiten, als der &#x201E;aufgeklärte Despotismus"<lb/>
zu vertragen vermochte. Nicht anders verhielt es sich mit der Gründung der<lb/>
Staaten. Was aber den Königen in Frankreich und Spanien gelungen, das<lb/>
glückte nicht den deutschen Kaisern; denn gestrebt haben diese nicht rund?r nach<lb/>
der Gründung des deutschen Staates, vor Friedrich von Hohenstaufen und nach<lb/>
ihm, mehr oder weniger, je nach ihrer Kraft und nach ihrer Begabung, bis nach<lb/>
Entstehung der östreichischen Monarchie, die östreichische Politik gerade aus Deutsch¬<lb/>
lands Trennung Nutzen zu ziehen verstand. Daß die Absichten der deutschen Kaiser<lb/>
mißglückter, darauf haben wir gar nicht Ursache stolz zu sein. Denn nicht der<lb/>
Geist der Nation hat jene, allerdings absolutistischen, Bestrebungen vereitelt, son¬<lb/>
dern der Despotismus der Fürsten, und das, was sie germanische Libcrtät nannten,<lb/>
war genau Dasselbe, was wir heutzutage den Souvcränitätsschwindel nennen und<lb/>
verwünschen; es haben diese kleinen Despoten unendlich mehr an unserem Volke<lb/>
gesündigt, als ein einziger je vermocht hätte. Wir würden uns hente des deutschen<lb/>
Staates freuen, wenn die Kaiser gesiegt hätten, so wie unsere Nachkommen sicher¬<lb/>
lich nicht danach fragen würden, ob der deutsche Staat, falls er geschaffen würde,<lb/>
eine unmittelbare Schöpfung der Volksvertreter oder des mächtigsten der deutschen<lb/>
Fürsten sei, d. h. ob ein paar hundert Volksmänner oder ein Fürst das letzte<lb/>
Wort gesprochen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_12"> Schwer wiegende Gründe zur Centralisation sind aber an uns ergangen durch<lb/>
die neueste Gestaltung der Dinge im Südosten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_13" next="#ID_14"> Der Jubel der Unwissenheit über den bevorstehenden Umsturz Oestreichs ist<lb/>
zu schauten geworden, so entsetzlich sich anch dessen Schwäche offenbart hat; trotz<lb/>
dieser Schwäche wird es höchst wahrscheinlich eine ziemliche Zeit noch dauern.<lb/>
Denn ganz abgesehen davon, daß Staaten, welche seit einer Reihe von Jahrhun¬<lb/>
derten bestehen, eine Kraft des Widerstandes &#x2014; oder, wenn man will, der Träg¬<lb/>
heit, der Zähigkeit &#x2014; besitzen, welche bei Stürmen mehr Dienste thut, als die<lb/>
Weisheit der weisesten Staatslenker &#x2014; man denke an die Türkei &#x2014;; ganz abge¬<lb/>
sehen davon, ist'Oestreich, so wie es dermalen ist, ein Natürliches, ein von<lb/>
den Umständen und der Lage der Dinge Gebotenes, Gegebenes. Im Südosten,<lb/>
zwischen dem Böhmerwald und den Südkarpathen, sitzt eine Anzahl von Völkern,<lb/>
von den jedes für sich allein nicht fähig war, der von Osten und von Süden<lb/>
herandringenden Fluch Widerstand zu thun, nicht fähig war, selbst nach dem<lb/>
Aufhören der Stürme, einen selbstständigen Staat zu bilden; jene Völker sind<lb/>
hierzu nicht nnr zu klein, sondern sie sind in Folge jener, durch Jahrhunderte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0008] aufgehört hat, die eine urgermanische Einrichtung gewesen: wurden wir unserer Geschichte untreu, als wir sie abschafften? Die Aufklärung ist in Europa von „Oben" ausgegangen, wir müssen das nun einmal anerkennen, so sehr sich auch unser demokratisches Gewissen dagegen sträuben mag, und das Licht, welches von dort ausströmte, war es, was dem Volke geleuchtet hat, um weiter fortzuschreiten, als der „aufgeklärte Despotismus" zu vertragen vermochte. Nicht anders verhielt es sich mit der Gründung der Staaten. Was aber den Königen in Frankreich und Spanien gelungen, das glückte nicht den deutschen Kaisern; denn gestrebt haben diese nicht rund?r nach der Gründung des deutschen Staates, vor Friedrich von Hohenstaufen und nach ihm, mehr oder weniger, je nach ihrer Kraft und nach ihrer Begabung, bis nach Entstehung der östreichischen Monarchie, die östreichische Politik gerade aus Deutsch¬ lands Trennung Nutzen zu ziehen verstand. Daß die Absichten der deutschen Kaiser mißglückter, darauf haben wir gar nicht Ursache stolz zu sein. Denn nicht der Geist der Nation hat jene, allerdings absolutistischen, Bestrebungen vereitelt, son¬ dern der Despotismus der Fürsten, und das, was sie germanische Libcrtät nannten, war genau Dasselbe, was wir heutzutage den Souvcränitätsschwindel nennen und verwünschen; es haben diese kleinen Despoten unendlich mehr an unserem Volke gesündigt, als ein einziger je vermocht hätte. Wir würden uns hente des deutschen Staates freuen, wenn die Kaiser gesiegt hätten, so wie unsere Nachkommen sicher¬ lich nicht danach fragen würden, ob der deutsche Staat, falls er geschaffen würde, eine unmittelbare Schöpfung der Volksvertreter oder des mächtigsten der deutschen Fürsten sei, d. h. ob ein paar hundert Volksmänner oder ein Fürst das letzte Wort gesprochen. Schwer wiegende Gründe zur Centralisation sind aber an uns ergangen durch die neueste Gestaltung der Dinge im Südosten. Der Jubel der Unwissenheit über den bevorstehenden Umsturz Oestreichs ist zu schauten geworden, so entsetzlich sich anch dessen Schwäche offenbart hat; trotz dieser Schwäche wird es höchst wahrscheinlich eine ziemliche Zeit noch dauern. Denn ganz abgesehen davon, daß Staaten, welche seit einer Reihe von Jahrhun¬ derten bestehen, eine Kraft des Widerstandes — oder, wenn man will, der Träg¬ heit, der Zähigkeit — besitzen, welche bei Stürmen mehr Dienste thut, als die Weisheit der weisesten Staatslenker — man denke an die Türkei —; ganz abge¬ sehen davon, ist'Oestreich, so wie es dermalen ist, ein Natürliches, ein von den Umständen und der Lage der Dinge Gebotenes, Gegebenes. Im Südosten, zwischen dem Böhmerwald und den Südkarpathen, sitzt eine Anzahl von Völkern, von den jedes für sich allein nicht fähig war, der von Osten und von Süden herandringenden Fluch Widerstand zu thun, nicht fähig war, selbst nach dem Aufhören der Stürme, einen selbstständigen Staat zu bilden; jene Völker sind hierzu nicht nnr zu klein, sondern sie sind in Folge jener, durch Jahrhunderte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/8
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/8>, abgerufen am 15.01.2025.