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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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dadurch über eine mit täuschenden Reisig bedeckte Grube, die uus einen Sturz be¬
reiten kann, der fürchterlich ist, bei welchem wir hoffentlich aber weder unser na¬
tionales Blut, auf welches die Negierung es abzusehen scheint, verlieren, noch uns
zu Tode stürzen werden.

Es zeigt sich in dieser Mittheilung, daß der galizische Adel das Verfahren
der Negierung wohl zu beurtheilen verstanden und Das vorausgesehen, was wir
mit Schaudern erlebt haben. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, daß er in
den Jahren 1830 und 18!! l die polnische Revolution uur durch Geldsendungen
unterstützte.

Wir genießen hier, fuhr mein Wirth fort, eine Behandlung, die die prote¬
stantischen Deutschen eine jesuitische nennen würden. Um uns desto sicherer die
Füße wegzuziehen, umarmt man uns freundschaftlichst bei den Schultern. Mau
huldigt, um uns zu täuschen, unserem Nationalwesen, und bringt dabei die Ge¬
sellschaft, von welcher es getragen werden muß, in Mißverständniß, Mißverhältniß
und gefährliche Verwirrung. Bei Gott, das ist keine gute Handlungsweise. Lie¬
ber mit offener Stirn eine Tyrannei wie im Königreich, lieber eine feste und ehr¬
liche, aber offene Anmaßung wie in Posen!

Die Regierung fürchtet natürlich von beiden Theilen der galizischen Urein-
wohnersehaft vorzüglich den adeligen, der dnrch Polens Schicksale am meisten ver¬
loren hat, und am meisten natürlichen Sinn für das polnische Nationalwcsen be¬
sitzt. Der Bauernstand ist das Heer des Adels, sowohl durch seinen Sitz ans dem
Grundeigenthum des Adels, als auch dnrch die gleiche nationale Abstammung mit
diesem verknüpft. Ich halte es für ein ganz natürliches Bestreben der Negierung,
dem Adel sein Heer, seine Macht, zu entziehen; aber warum täuschend? Warum
nicht offen, damit er doch wisse, ob er seine Macht noch habe oder nicht, und ob
er ferner politische Wünsche Pflegen dürfe oder verbannen müsse?

Ja das Schlimmste ist, daß die Regierung geflissentlich die Täuschung gefähr¬
lich macht, indem sie mit dem Anschein eigener Theilnahme das Interesse des Adels
an dem Nativnalwesen erhöhet. In keinem der unter fremde Zepter gefallenen pol¬
nischen Landestheile dürfte dem Beobachter das alte Polenthum so sorglich erhalten
zu sein scheinen als bei uns in Galizien. Aber es ist auch eben nnr Schein
und zwar ein gefährlicher Schein, Grund dessen mehrere gedankenlose Historiker die
östreichische Regierung eine huldreiche genannt haben. Die Huld ist nicht gntmei-
nend, welche hier auf unserer kleinen polnischen Scholle das ganze altpolnische
StaatShaus miniem-"! errichtet hat. Wir haben einen Thron; wir haben auch
noch alle die alten Würden, welche einst den Thron unserer frei gewählten repu¬
blikanischen Könige umstanden. Es gibt bei uus Szablane, Kastellaue, Panner-
Herren, Landcsmarschälle, und wäre das Heer nicht deutsch und der Widerspruch
zu arg, so würde der Gaukel noch durch Kongreßfeldherren und Kronuuterfeld-
herren vergrößert worden sein.


dadurch über eine mit täuschenden Reisig bedeckte Grube, die uus einen Sturz be¬
reiten kann, der fürchterlich ist, bei welchem wir hoffentlich aber weder unser na¬
tionales Blut, auf welches die Negierung es abzusehen scheint, verlieren, noch uns
zu Tode stürzen werden.

Es zeigt sich in dieser Mittheilung, daß der galizische Adel das Verfahren
der Negierung wohl zu beurtheilen verstanden und Das vorausgesehen, was wir
mit Schaudern erlebt haben. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, daß er in
den Jahren 1830 und 18!! l die polnische Revolution uur durch Geldsendungen
unterstützte.

Wir genießen hier, fuhr mein Wirth fort, eine Behandlung, die die prote¬
stantischen Deutschen eine jesuitische nennen würden. Um uns desto sicherer die
Füße wegzuziehen, umarmt man uns freundschaftlichst bei den Schultern. Mau
huldigt, um uns zu täuschen, unserem Nationalwesen, und bringt dabei die Ge¬
sellschaft, von welcher es getragen werden muß, in Mißverständniß, Mißverhältniß
und gefährliche Verwirrung. Bei Gott, das ist keine gute Handlungsweise. Lie¬
ber mit offener Stirn eine Tyrannei wie im Königreich, lieber eine feste und ehr¬
liche, aber offene Anmaßung wie in Posen!

Die Regierung fürchtet natürlich von beiden Theilen der galizischen Urein-
wohnersehaft vorzüglich den adeligen, der dnrch Polens Schicksale am meisten ver¬
loren hat, und am meisten natürlichen Sinn für das polnische Nationalwcsen be¬
sitzt. Der Bauernstand ist das Heer des Adels, sowohl durch seinen Sitz ans dem
Grundeigenthum des Adels, als auch dnrch die gleiche nationale Abstammung mit
diesem verknüpft. Ich halte es für ein ganz natürliches Bestreben der Negierung,
dem Adel sein Heer, seine Macht, zu entziehen; aber warum täuschend? Warum
nicht offen, damit er doch wisse, ob er seine Macht noch habe oder nicht, und ob
er ferner politische Wünsche Pflegen dürfe oder verbannen müsse?

Ja das Schlimmste ist, daß die Regierung geflissentlich die Täuschung gefähr¬
lich macht, indem sie mit dem Anschein eigener Theilnahme das Interesse des Adels
an dem Nativnalwesen erhöhet. In keinem der unter fremde Zepter gefallenen pol¬
nischen Landestheile dürfte dem Beobachter das alte Polenthum so sorglich erhalten
zu sein scheinen als bei uns in Galizien. Aber es ist auch eben nnr Schein
und zwar ein gefährlicher Schein, Grund dessen mehrere gedankenlose Historiker die
östreichische Regierung eine huldreiche genannt haben. Die Huld ist nicht gntmei-
nend, welche hier auf unserer kleinen polnischen Scholle das ganze altpolnische
StaatShaus miniem-«! errichtet hat. Wir haben einen Thron; wir haben auch
noch alle die alten Würden, welche einst den Thron unserer frei gewählten repu¬
blikanischen Könige umstanden. Es gibt bei uus Szablane, Kastellaue, Panner-
Herren, Landcsmarschälle, und wäre das Heer nicht deutsch und der Widerspruch
zu arg, so würde der Gaukel noch durch Kongreßfeldherren und Kronuuterfeld-
herren vergrößert worden sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/62>, abgerufen am 15.01.2025.