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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Landsleute! Groß waren daher die Seufzer und allgemein die Klage »in ihn in
Oestreich.

Dieses Mal ist die Todesbotschaft echt. Der kleine Mann, ohne Galle, der über
eigenen Unstern so herzlich zu lachen verstand und bei jedem Elend, das ihm geklagt
wurde, mit wehmüthigem Lächeln das Haupt auf die linke Schulter neigte und einen
trostreichen Tropfen im hellblauen Auge trug, ist wirklich am 1V. December d. I. hin-
übergegangen, wo es keine insolventen Buchhändler gibt und keine quälenden Printer'«
<1l;vit5. Im Stillen wird Mancher ihm ein betrübtes Fahrwohl nachrufen, aber die
Bewegung wird nicht bedeutend sein. Die Oestreicher sind an ein Trauern in großem
Maßstabe zu sehr gewöhnt worden, um dem Verlust eines einstigen Lieblings mehr als
gewöhnliche Aufmerksamkeit zu schenken.

Carl Herloßsohn verließ bereits in den zwanziger Jahren sein czcchisches Vater-
Hans in Prag, seinen kleinen Praktikantenpostcn und die schwarzgelbe Monarchie über¬
haupt; er fand ein Asyl in Leipzig, wo er zur Zeit des sogenannten ersten Vvlkcr-
srühliugs (18^0) den „Kometen" gründete, dessen burschikos-revolutionärer Flammen-
schweif das gcsammtdcntsche Philisterthum in Schrecken versetzte. Herlvßsvhn selbst
stand unter den Sängern der Julisonne voran, er feierte Polen und verwünschte Niko¬
laus, Don Carlos, Metternich und Don Miguel mich Gebühr. In „Hahn und Henne"
und in „Mephistopheles" nahm er einen energischen Anlauf zur Sathre und zur politi¬
schen Lyrik in Prosa.

Als nach dem Frankfurter Attentat der kurze Völkerfrühling sich in eine lange
'Hundstagcsaison verwandelte, sing wie viele Andere anch Herloßsohn zu erschlaffen an.
Seine von Natur friedliche Seele konnte Streit und Kampf nicht lang ertragen und
sprang aus dem Pathos leicht über zum Sentimentalen oder Bnrlcsken. Seine Ro¬
mane, in flüchtiger Hast und offenbar aus äußern Bedürfnissen geschrieben, verrathen
doch immer stellenweise ursprünglichen poetischen Fonds. Unter dem Wust kleiner Genrebilder
und Capriccios, die er wöchentlich anf's Papier warf, findet sich manche Perle, wie
„die Geschichte zweier Deutschen, die auf einer wüsten Insel Schiffbruch litten." Er ver¬
tiefte sich immer mehr in's kleinbürgerliche Leben, dessen pedantische Seiten er drollig per-
sifflirtc und dessen Gemüthlichkeit er mit selbstmörderischer Rührung feierte. Auf das
große Nationallcidcn und Streben blinzelte er nebcnbcimit schlauenSpvtterblickcn undwarf
seinen leichten Witz den Wcltschmerzlern wie den Tentschthümlcrn, den Diplomaten wie
den Demagogen in's Gesicht; in's Herz traf er seine Gegner niemals. Bezeichnend ist
für Herloßsohn. daß er eine Zeit lang für das Leipziger Tageblatt Theaterkritiken schrieb,
wobei seine fabelhafte Gutmüthigkeit ihn in die peinlichsten Verlegenheiten brachte; er
hatte nicht das Herz, den gelindesten Tadel ans der Feder zu bringen, entwertete da¬
durch sein Lob und machte es Niemandem recht. Dagegen wird man diesmal seine
WcihnachtSbildcr vermissen, die den Augen der hiesigen Frauenwelt tausend und aber
tausend Thräncnbäche zu entlocken pflegten.— Herloßsohn lebte wie die poetische Grille,
nicht wie die industrielle Ameise; er war mit seinen Silberstücken eben so freigebig wie
mit seinen gemüthlichen Versen. Der Reactivnswintcr, der aus die Revolution von
1848 folgte, fand seinen Kometen ausgebrannt, seine Kraft erschöpft. Dieser harten,
trockenen Zeit war sein weiches Naturell nicht mehr gewachsen und er hieß die Krank¬
heit willkommen, mit deren Hilft er von einem Leben Abschied nahm, das ihm nur
noch die Dornen der Kränkung und die Eisblumen eines sehr trüben Alters zu bieten
hatte. Friede seiner Asche! —




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/525>, abgerufen am 23.01.2025.