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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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eigen das Wort abgenommen, daß er nicht heimkehren wolle, ohne ans dem Schaf-
berge einen klaren, reinen Sonnenaufgang gesehen zu haben. Fünfmal stieg er
hinaus und wachte mit betrübtem Sinn die Nacht durch und stets stellte sich beim
Morgengrauen "grobes Wetter" ein. Aber Muck hielt sein Wort mit deutscher
Treue; auch deu Gamskahvvgel bei Gastein und den Untersberg bei Salzburg
hatte er, im Austrage seiner Braut, während eines gelinden Sprühregens erstie¬
gen, und vielleicht sitzt er noch jetzt im December auf der Alm bei der riesigen
Sennerin aus dem Heerde; denn der Schafberg ist ein launischer Gott und ent¬
hüllt seinen Scheitel lieber im Winterfrost als im Sommer.

Uebrigens schilderte Muck seine selbstauferlegten Leiden mit einem allerliebsten
trockenen Humor, und ließen ihn die Naturschönheiten, welche er für seine Braut
gewissenhaft in's Tagebuch eintrug, kälter als uus der Schmarrn, so machte er
dafür über Land und Leute manche treffende Bemerkung. So verbreitete er sich
über die


9. Gedenktafeln,

die im Oberlande viel häufiger sind als Meilenzeiger und Wegweiser. Wo irgend
Jemand in's Wasser fiel, in den Abgrund stürzte, von einer Lawine erstickt oder
beim Holzfällen von einem ungeschickten Baumstamm erschlagen wurde, ragt eine
Tafel zu seinem Gedächtniß mit möglichst lakonischer Beschreibung des Unglücks¬
falls , mit einer Aufforderung zum Gebet und einer Malerei, die gleich Dante's
göttlicher Komödie Himmel, HM und Fegefeuer zugleich umfaßt. -- In der Um¬
gegend von Ischl, hub Muck zu erzählen an, gefielen mir die Erinnerungstafeln
weniger; die Schulmeister haben dort zu viel Einfluß darauf und verderben durch
ihr schlechtes Hochdeutsch die edle Naivetät in der Orthographie und Illustration
dieser Monumente. Hart am Eingang des Städtchens erzählt eine Inschrift, daß
die Jungfrau Barbara "durch Uebersteigung des Zaunes" ihren Geist aufgab; das
soll heißen, sie sei in den Abgrund gestürzt, der einige Schritte hinter dem be¬
wußten Zaune gähnt. Je weiter ich mich von Ischl entfernte, desto inniger ging
mir die Poesie des Volks- und Pfaffenstyls aus. Zwei Bemerkungen, meine Herren,
muß ich zum Verständniß dieser Denkmale vorausschicken. Sie sind erstens aristo¬
kratisch. Nicht jedem Knecht oder Tagelöhner, der den Hals bricht, widmet man
eine Tafel, sondern nur wohlhabenden, respectabeln Leuten. Drei Ochsen, glaub
ich, muß Einer wenigstens besitzen, um ans ein illustrirtes Andenken rechnen zu
können. Dies beweist die nie oder selten fehlende Bezeichnung: "der geachte"
N N., oder "der hierortige angesehene Bauersohn." Zweitens hat der fromme
Brauch durchaus keinen gemeinen Militärischen Zweck. Ich sah am Rande eines
steilen Felsweges, von wo ein "geachter Fuhrmann" in der Dunkelheit mit Roß
und Wagen in den See stürzte, eine kleine Gedenktafel an einem dünnen Pfahl
hängen; der Mangel eines schützenden Geländers hatte das Unglück veranlaßt.


eigen das Wort abgenommen, daß er nicht heimkehren wolle, ohne ans dem Schaf-
berge einen klaren, reinen Sonnenaufgang gesehen zu haben. Fünfmal stieg er
hinaus und wachte mit betrübtem Sinn die Nacht durch und stets stellte sich beim
Morgengrauen „grobes Wetter" ein. Aber Muck hielt sein Wort mit deutscher
Treue; auch deu Gamskahvvgel bei Gastein und den Untersberg bei Salzburg
hatte er, im Austrage seiner Braut, während eines gelinden Sprühregens erstie¬
gen, und vielleicht sitzt er noch jetzt im December auf der Alm bei der riesigen
Sennerin aus dem Heerde; denn der Schafberg ist ein launischer Gott und ent¬
hüllt seinen Scheitel lieber im Winterfrost als im Sommer.

Uebrigens schilderte Muck seine selbstauferlegten Leiden mit einem allerliebsten
trockenen Humor, und ließen ihn die Naturschönheiten, welche er für seine Braut
gewissenhaft in's Tagebuch eintrug, kälter als uus der Schmarrn, so machte er
dafür über Land und Leute manche treffende Bemerkung. So verbreitete er sich
über die


9. Gedenktafeln,

die im Oberlande viel häufiger sind als Meilenzeiger und Wegweiser. Wo irgend
Jemand in's Wasser fiel, in den Abgrund stürzte, von einer Lawine erstickt oder
beim Holzfällen von einem ungeschickten Baumstamm erschlagen wurde, ragt eine
Tafel zu seinem Gedächtniß mit möglichst lakonischer Beschreibung des Unglücks¬
falls , mit einer Aufforderung zum Gebet und einer Malerei, die gleich Dante's
göttlicher Komödie Himmel, HM und Fegefeuer zugleich umfaßt. — In der Um¬
gegend von Ischl, hub Muck zu erzählen an, gefielen mir die Erinnerungstafeln
weniger; die Schulmeister haben dort zu viel Einfluß darauf und verderben durch
ihr schlechtes Hochdeutsch die edle Naivetät in der Orthographie und Illustration
dieser Monumente. Hart am Eingang des Städtchens erzählt eine Inschrift, daß
die Jungfrau Barbara „durch Uebersteigung des Zaunes" ihren Geist aufgab; das
soll heißen, sie sei in den Abgrund gestürzt, der einige Schritte hinter dem be¬
wußten Zaune gähnt. Je weiter ich mich von Ischl entfernte, desto inniger ging
mir die Poesie des Volks- und Pfaffenstyls aus. Zwei Bemerkungen, meine Herren,
muß ich zum Verständniß dieser Denkmale vorausschicken. Sie sind erstens aristo¬
kratisch. Nicht jedem Knecht oder Tagelöhner, der den Hals bricht, widmet man
eine Tafel, sondern nur wohlhabenden, respectabeln Leuten. Drei Ochsen, glaub
ich, muß Einer wenigstens besitzen, um ans ein illustrirtes Andenken rechnen zu
können. Dies beweist die nie oder selten fehlende Bezeichnung: „der geachte"
N N., oder „der hierortige angesehene Bauersohn." Zweitens hat der fromme
Brauch durchaus keinen gemeinen Militärischen Zweck. Ich sah am Rande eines
steilen Felsweges, von wo ein „geachter Fuhrmann" in der Dunkelheit mit Roß
und Wagen in den See stürzte, eine kleine Gedenktafel an einem dünnen Pfahl
hängen; der Mangel eines schützenden Geländers hatte das Unglück veranlaßt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/520>, abgerufen am 15.01.2025.