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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Königthum, die ehrwürdige, silberhaarige Tochter grauer Jahrhunderte! Den Adler
unterwirst sie deu Schwänen, den Geier den Tauben. Auf dem Altar weiht sie
das Schwert, mit dem sie sich umgürtet. Die Strahlen der heiligen Aureole ver¬
klären die Blumen ihrer königlichen Stirnbinde. Wenn ihr starker Arm eine rebel¬
lische Horde niederwirft, erhebt sie über das Scepter das Kreuz. Ein eherner
Coloß streckt sie mit ihren jahrhuudertalteu Armen in die Wolken der Völker
einen glänzenden Leuchtthurm, und die Zukunft mit der Vergangenheit verbindend,
seht sie die Füße, an denen umsonst die Woge sich bricht, auf beide Ufer der Zeit.
-- Alle Völker, welche Gott begnadigt, fliehen, wenn die Hydra der Anarchie
ihren Dreizack gegen sie richtet, an den Altar des Königthums, und erheben das
Krenz als gemeinsame Standarte. -- Die stolzen Spanier liegen jetzt mit der
Stiru im Staube, und umfassen flehend die heiligen Kniee des Bourbon, welcher
den Blitzstrahl in seinen Händen schwingt!" -- Zuweilen donnert er eine Bu߬
predigt gegen die Franzosen, die noch immer deu Dienst des Herrn vernachlässi¬
gen. -- Das Begräbniß Ludwigs XVlll. wird zu einer neuen Philippika gegen
die Jacobiner benutzt. "Der Dämon des Königsmordcs, der, gierig nach dem
Blut der Bourbons, mit Mord ihre Wohlthaten (!) bezahlte, der die Stadt dnrch
Verbrechen entvölkert und sie mit Freveln anfüllte, möge er wissen, daß der Kö¬
nig nicht stirbt!" -- Karl X. wird gekrönt; Victor Hugo wetteifert mit Lamar¬
tine, ihn zu preisen. "Der Fürst ist ans dem Throne, er ist groß und heilig;
über die wogende Menge erhebt er sich wie ein Leuchtthurm über die Fluthen des
empörten Meeres. -- O Gott, erhalte uns diesen König, den das Volk anbetet!
vernichte seine Feinde! leis seiner königlichen Stirn zwei Strahlen deines Haup¬
tes, setze zwei Engel an seine Seite!" -- Endlich im Jahr 1827, als Oestreich
mit Frankreich in Conflict kommt, regt sich der Franzose. "Was denkt sich dieser
Ausländer, uus zu trotzen? War nicht noch gestern Europa unser Sclave? O wir
wissen noch das Schwert zu führen! Man hat uns verstümmelt, aber unsere Lö-
wenklauen sind wieder gewachsen. Zwar haben wir nicht mehr den Adler, der in
seinem Schnabel Blitze trug, die übermüthige Stirnen treffen sollten, aber wir
haben noch die Oriflamme und die Lilie, wir haben noch den Gallischen Hahn,
der die Welt aufweckt und die Morgenröthe einer neuen Sonne von Austerlitz
ankündigt." Wenn die. Nationaleitelkeit in's Spiel kommt, ist der Parteihaß
vergessen.

Dieser überspannte Royalismus, den wir bei Lamartine noch einmal verfolgen
werden, hielt nicht Stand. An sich ist nichts dagegen zu sagen, denn jene Phra¬
sen, die das Königthum verklären sollen, zeigen dnrch ihre Hohlheit hinlänglich,
daß der junge Dichter sich zum Champion einer politischen Partei hergab, ehe er
auch nur im Geringsten über ihren Inhalt nachgedacht hatte. Freilich macht es
keinen guten Eindruck, daß er erst uach der Julirevolution zur liberalen Partei
überging, oder vielmehr übersprang, daß er, als die Gebeine Napoleons aus


Königthum, die ehrwürdige, silberhaarige Tochter grauer Jahrhunderte! Den Adler
unterwirst sie deu Schwänen, den Geier den Tauben. Auf dem Altar weiht sie
das Schwert, mit dem sie sich umgürtet. Die Strahlen der heiligen Aureole ver¬
klären die Blumen ihrer königlichen Stirnbinde. Wenn ihr starker Arm eine rebel¬
lische Horde niederwirft, erhebt sie über das Scepter das Kreuz. Ein eherner
Coloß streckt sie mit ihren jahrhuudertalteu Armen in die Wolken der Völker
einen glänzenden Leuchtthurm, und die Zukunft mit der Vergangenheit verbindend,
seht sie die Füße, an denen umsonst die Woge sich bricht, auf beide Ufer der Zeit.
— Alle Völker, welche Gott begnadigt, fliehen, wenn die Hydra der Anarchie
ihren Dreizack gegen sie richtet, an den Altar des Königthums, und erheben das
Krenz als gemeinsame Standarte. — Die stolzen Spanier liegen jetzt mit der
Stiru im Staube, und umfassen flehend die heiligen Kniee des Bourbon, welcher
den Blitzstrahl in seinen Händen schwingt!" — Zuweilen donnert er eine Bu߬
predigt gegen die Franzosen, die noch immer deu Dienst des Herrn vernachlässi¬
gen. — Das Begräbniß Ludwigs XVlll. wird zu einer neuen Philippika gegen
die Jacobiner benutzt. „Der Dämon des Königsmordcs, der, gierig nach dem
Blut der Bourbons, mit Mord ihre Wohlthaten (!) bezahlte, der die Stadt dnrch
Verbrechen entvölkert und sie mit Freveln anfüllte, möge er wissen, daß der Kö¬
nig nicht stirbt!" — Karl X. wird gekrönt; Victor Hugo wetteifert mit Lamar¬
tine, ihn zu preisen. „Der Fürst ist ans dem Throne, er ist groß und heilig;
über die wogende Menge erhebt er sich wie ein Leuchtthurm über die Fluthen des
empörten Meeres. — O Gott, erhalte uns diesen König, den das Volk anbetet!
vernichte seine Feinde! leis seiner königlichen Stirn zwei Strahlen deines Haup¬
tes, setze zwei Engel an seine Seite!" — Endlich im Jahr 1827, als Oestreich
mit Frankreich in Conflict kommt, regt sich der Franzose. „Was denkt sich dieser
Ausländer, uus zu trotzen? War nicht noch gestern Europa unser Sclave? O wir
wissen noch das Schwert zu führen! Man hat uns verstümmelt, aber unsere Lö-
wenklauen sind wieder gewachsen. Zwar haben wir nicht mehr den Adler, der in
seinem Schnabel Blitze trug, die übermüthige Stirnen treffen sollten, aber wir
haben noch die Oriflamme und die Lilie, wir haben noch den Gallischen Hahn,
der die Welt aufweckt und die Morgenröthe einer neuen Sonne von Austerlitz
ankündigt." Wenn die. Nationaleitelkeit in's Spiel kommt, ist der Parteihaß
vergessen.

Dieser überspannte Royalismus, den wir bei Lamartine noch einmal verfolgen
werden, hielt nicht Stand. An sich ist nichts dagegen zu sagen, denn jene Phra¬
sen, die das Königthum verklären sollen, zeigen dnrch ihre Hohlheit hinlänglich,
daß der junge Dichter sich zum Champion einer politischen Partei hergab, ehe er
auch nur im Geringsten über ihren Inhalt nachgedacht hatte. Freilich macht es
keinen guten Eindruck, daß er erst uach der Julirevolution zur liberalen Partei
überging, oder vielmehr übersprang, daß er, als die Gebeine Napoleons aus


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[0417] Königthum, die ehrwürdige, silberhaarige Tochter grauer Jahrhunderte! Den Adler unterwirst sie deu Schwänen, den Geier den Tauben. Auf dem Altar weiht sie das Schwert, mit dem sie sich umgürtet. Die Strahlen der heiligen Aureole ver¬ klären die Blumen ihrer königlichen Stirnbinde. Wenn ihr starker Arm eine rebel¬ lische Horde niederwirft, erhebt sie über das Scepter das Kreuz. Ein eherner Coloß streckt sie mit ihren jahrhuudertalteu Armen in die Wolken der Völker einen glänzenden Leuchtthurm, und die Zukunft mit der Vergangenheit verbindend, seht sie die Füße, an denen umsonst die Woge sich bricht, auf beide Ufer der Zeit. — Alle Völker, welche Gott begnadigt, fliehen, wenn die Hydra der Anarchie ihren Dreizack gegen sie richtet, an den Altar des Königthums, und erheben das Krenz als gemeinsame Standarte. — Die stolzen Spanier liegen jetzt mit der Stiru im Staube, und umfassen flehend die heiligen Kniee des Bourbon, welcher den Blitzstrahl in seinen Händen schwingt!" — Zuweilen donnert er eine Bu߬ predigt gegen die Franzosen, die noch immer deu Dienst des Herrn vernachlässi¬ gen. — Das Begräbniß Ludwigs XVlll. wird zu einer neuen Philippika gegen die Jacobiner benutzt. „Der Dämon des Königsmordcs, der, gierig nach dem Blut der Bourbons, mit Mord ihre Wohlthaten (!) bezahlte, der die Stadt dnrch Verbrechen entvölkert und sie mit Freveln anfüllte, möge er wissen, daß der Kö¬ nig nicht stirbt!" — Karl X. wird gekrönt; Victor Hugo wetteifert mit Lamar¬ tine, ihn zu preisen. „Der Fürst ist ans dem Throne, er ist groß und heilig; über die wogende Menge erhebt er sich wie ein Leuchtthurm über die Fluthen des empörten Meeres. — O Gott, erhalte uns diesen König, den das Volk anbetet! vernichte seine Feinde! leis seiner königlichen Stirn zwei Strahlen deines Haup¬ tes, setze zwei Engel an seine Seite!" — Endlich im Jahr 1827, als Oestreich mit Frankreich in Conflict kommt, regt sich der Franzose. „Was denkt sich dieser Ausländer, uus zu trotzen? War nicht noch gestern Europa unser Sclave? O wir wissen noch das Schwert zu führen! Man hat uns verstümmelt, aber unsere Lö- wenklauen sind wieder gewachsen. Zwar haben wir nicht mehr den Adler, der in seinem Schnabel Blitze trug, die übermüthige Stirnen treffen sollten, aber wir haben noch die Oriflamme und die Lilie, wir haben noch den Gallischen Hahn, der die Welt aufweckt und die Morgenröthe einer neuen Sonne von Austerlitz ankündigt." Wenn die. Nationaleitelkeit in's Spiel kommt, ist der Parteihaß vergessen. Dieser überspannte Royalismus, den wir bei Lamartine noch einmal verfolgen werden, hielt nicht Stand. An sich ist nichts dagegen zu sagen, denn jene Phra¬ sen, die das Königthum verklären sollen, zeigen dnrch ihre Hohlheit hinlänglich, daß der junge Dichter sich zum Champion einer politischen Partei hergab, ehe er auch nur im Geringsten über ihren Inhalt nachgedacht hatte. Freilich macht es keinen guten Eindruck, daß er erst uach der Julirevolution zur liberalen Partei überging, oder vielmehr übersprang, daß er, als die Gebeine Napoleons aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/417>, abgerufen am 15.01.2025.