Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.fängt in der Regel damit ein, absolut häßliche, verrenkte Charaktere zu entwerfen, Es beginnen seit jener Zeit die Criminalgeschichten, in denen nicht mehr, wie Victor Hugo hat den Ruhm, mit eiuer gewissen Konsequenz dies Princip Um diese Doctrin uoch mit Einem Wort zu kritisiren: die Romantik hat Aber sie hat Unrecht, die Dissonanz (die Caprice, das Häßliche, die bloße Grenzbote". IV. 1849. 52
fängt in der Regel damit ein, absolut häßliche, verrenkte Charaktere zu entwerfen, Es beginnen seit jener Zeit die Criminalgeschichten, in denen nicht mehr, wie Victor Hugo hat den Ruhm, mit eiuer gewissen Konsequenz dies Princip Um diese Doctrin uoch mit Einem Wort zu kritisiren: die Romantik hat Aber sie hat Unrecht, die Dissonanz (die Caprice, das Häßliche, die bloße Grenzbote». IV. 1849. 52
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fängt in der Regel damit ein, absolut häßliche, verrenkte Charaktere zu entwerfen,
wie sämmtliche Mitspieler in den Pickwickiern, aber einmal idealisirt er sie sofort
durch eine unvergleichliche Kraft des Humors, und dann ist er zu gutmüthig, um
die Häßlichkeit auf die Läuge festzuhalten. So gewinnt Pickwick, der im Anfang
als ein reiner Narr, eine rein satyrische Abstraction entworfen ist, zuletzt soviel
Fleisch, Leben und Gemüthlichkeit, daß man ihn am Ende als eine Art Tugend-
Helden betrachten kann.
Es beginnen seit jener Zeit die Criminalgeschichten, in denen nicht mehr, wie
früher, der Verbrecher als schwarzer Schatten benutzt ist, sondern sich in den
Mittelpunkt des Gemäldes drängt. Bulwer macht in seinem Paul Clifford (1830)
einen Dieb und Straßenräuber, in seinem Eugen Aram (1831) eine» Raubmörder
zum Helden; die Ehebrecher und Duellmördcr der französischen Novelle gar nicht
anzuführen. Der Roman schlägt seinen Lieblingssitz im Lazareth, in der Folter¬
kammer, im Bordell und im Tollhaus auf, und macht die Dissonanz nicht zum
Mittel einer künstlich erweiterten Harmonie, sondern zum Selbstzweck. Gutzkow
schreibt einen Roman, (1833) der die Empfindung eines Dalai Lama secirt, wo
die Kritik freilich aufhört, weil man keinen Maßstab mehr finden kann; derselbe
macht eine unbedeutende Person die als solche scharf accentnirt wird, zum Gegen¬
stand der psychologischen Entwickelung (Seraphine). Gleichzeitig beutet Heine und
seine Schule die sogenannte Poesie des Contrastes ans, d. h. er combinirt die
sieche Seutimentalirät, die tragisch sein soll, mit dem leeren Cynismus, der be¬
stimmt ist, ihr ein komisches Relief zu geben, beides gleich werthlos und daher
auch nichtig in seinem Contrast. Man liebt es, Zwerge oder Ungeheuer als ver¬
liebt darzustellen, und durch diesen Gegensatz nicht belustigen, sondern rühre» zu
wollen. Man liebt es, einem Nero, Heliogabal, Mcssaline, nachzuempfinden,
Opiumtriuker, Spieler, hysterische Weiber, die aus Mangel geschlechtlicher Be¬
friedigung auf allerlei Tollheiten gerathen, (Judith), Knaben, die beim Anbrechen
der Pubertät in wüste Träume verfallen (Golo). Zuletzt stürzt man sich mit dem
Wahnsinn eines Vampyrs in frische Gräber, um sich an dem Leichengeruch zu
weiden.
Victor Hugo hat den Ruhm, mit eiuer gewissen Konsequenz dies Princip
znerst ausgeführt zu haben. Er hat es nicht zu den ärgsten Extremen getrieben,
weil seine Mißgeburten nicht aus einer wirklichen Wahnsinnsader, sondern aus einer
falsche» Doctrin entsprangen.
Um diese Doctrin uoch mit Einem Wort zu kritisiren: die Romantik hat
Recht gegen den Canon der pedantischen Klassicität, der die erlaubten Dissonanzen
auf ein willkürliches Maß beschränkt, der die Gegenstände der Kunst als abgeschlossen
betrachtet, und die Eigenthümlichkeit dem Maß des Hergebrachten beugt.
Aber sie hat Unrecht, die Dissonanz (die Caprice, das Häßliche, die bloße
Grenzbote». IV. 1849. 52
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