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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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ihn geschaffen. Er blieb nicht bei leeren Anspielungen, sondern deutete auf das
räudige Schaf, welches, vom Hochmuthstenfel verblendet, sich seiner Geschwister
und Eltern und Voreltern und der ganzen Herde schäme, in der es aufgewachsen.
Marie wurde ohnmächtig aus der Kirche getragen, Sterzing rannte nach Haus
und schmiß alle Apparate und botanischen Sammlungen des Doctors zum Fenster
hinaus. Seine Frau wollte ihn halten und meinte: Laß die Leut schwatzen und
den Pfarrer heulen, wenn der Doctor sie heiralh'. -- Was? brüllte er und schlug
auf den Tisch; meine Tochter den "Langhals!?" Meine Tochter soll ihren Kropf
behalten, so wahr ich Sterzing heiß und ehrlich getauft bin, und einen Mann
heirathen, der einen rechtschaffenen Kropf hat wie ich und mein Vater und Gro߬
vater gehabt hat!

Den Doctor hatten indeß, als er von einem Spaziergang heimkehrte, die
Bauerburschen überfallen und halb todt gedroschen vor Sterzing's Schwelle liegen
lassen. Er mußte eine Woche lang das Bett hüten und der Maler tröstete ihn,
indem er bemerkte, es sei besser Arm und Beine zu brechen als das Herz. Letzteres
werde wohl gesund bleiben, wenn er sehe, daß der Hals seiner Patientin sich gar
nicht verändert, vielmehr dicker geworden sei. Er als Zeichner müsse das besser
erkennen als das Aug' eines Verliebten. Uebrigens habe Marie sich Knall und
Fall mit dem kropfeteu Jokei verloben lassen und sei nicht in's Wasser gesp>un-
gen. -- Um die guten Leute im Thal zu versöhnen, hatte der schlaue Künstler
vor der Abreise rasch ein Bild in die Kirche gemalt. Als Marie zur Trauung
ging, erkannte sie über dem Altar ihr eigenes Ebenbild und vergoß eine Thräne.
Jeder Reisende aber kann seitdem in der Pfarrkirche von Ganderfeldten die
heilige Jungfrau mit einem Kropf abgemalt sehen, und das gläubige Volk betet
vor keinem Bilde lieber als vor diesem.




Der k. k. Staatsminister Gdler v. Thienfeld.



Mit Heiterkeit erinnern wir uns des allgemeinen Verwunderns, das in den
Tagen jenes verhängnißvollen Novembers die neue Ministerliste hervorrief, in wel¬
cher der Edle Herr von Thienfeld als Minister des Ackerbaues, ja sogar auch des
Montanwesens figurirte. Herr von Thienfeld war im Wiener Reichstage im Cen¬
trum des Centrums gesessen, hatte einigemale in schlichter Weise, in östreicdisch-
steyerschem Dialekte vom Platze aus gesprochen, niemals albern oder ungeschickt,
wie so viele seiner Kollegen im Centrum, aber auch niemals scharfsinnig oder präg¬
nant, wiewohl die Mundart eben mancher plausibler Aeußerung die hausbackne


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ihn geschaffen. Er blieb nicht bei leeren Anspielungen, sondern deutete auf das
räudige Schaf, welches, vom Hochmuthstenfel verblendet, sich seiner Geschwister
und Eltern und Voreltern und der ganzen Herde schäme, in der es aufgewachsen.
Marie wurde ohnmächtig aus der Kirche getragen, Sterzing rannte nach Haus
und schmiß alle Apparate und botanischen Sammlungen des Doctors zum Fenster
hinaus. Seine Frau wollte ihn halten und meinte: Laß die Leut schwatzen und
den Pfarrer heulen, wenn der Doctor sie heiralh'. — Was? brüllte er und schlug
auf den Tisch; meine Tochter den „Langhals!?" Meine Tochter soll ihren Kropf
behalten, so wahr ich Sterzing heiß und ehrlich getauft bin, und einen Mann
heirathen, der einen rechtschaffenen Kropf hat wie ich und mein Vater und Gro߬
vater gehabt hat!

Den Doctor hatten indeß, als er von einem Spaziergang heimkehrte, die
Bauerburschen überfallen und halb todt gedroschen vor Sterzing's Schwelle liegen
lassen. Er mußte eine Woche lang das Bett hüten und der Maler tröstete ihn,
indem er bemerkte, es sei besser Arm und Beine zu brechen als das Herz. Letzteres
werde wohl gesund bleiben, wenn er sehe, daß der Hals seiner Patientin sich gar
nicht verändert, vielmehr dicker geworden sei. Er als Zeichner müsse das besser
erkennen als das Aug' eines Verliebten. Uebrigens habe Marie sich Knall und
Fall mit dem kropfeteu Jokei verloben lassen und sei nicht in's Wasser gesp>un-
gen. — Um die guten Leute im Thal zu versöhnen, hatte der schlaue Künstler
vor der Abreise rasch ein Bild in die Kirche gemalt. Als Marie zur Trauung
ging, erkannte sie über dem Altar ihr eigenes Ebenbild und vergoß eine Thräne.
Jeder Reisende aber kann seitdem in der Pfarrkirche von Ganderfeldten die
heilige Jungfrau mit einem Kropf abgemalt sehen, und das gläubige Volk betet
vor keinem Bilde lieber als vor diesem.




Der k. k. Staatsminister Gdler v. Thienfeld.



Mit Heiterkeit erinnern wir uns des allgemeinen Verwunderns, das in den
Tagen jenes verhängnißvollen Novembers die neue Ministerliste hervorrief, in wel¬
cher der Edle Herr von Thienfeld als Minister des Ackerbaues, ja sogar auch des
Montanwesens figurirte. Herr von Thienfeld war im Wiener Reichstage im Cen¬
trum des Centrums gesessen, hatte einigemale in schlichter Weise, in östreicdisch-
steyerschem Dialekte vom Platze aus gesprochen, niemals albern oder ungeschickt,
wie so viele seiner Kollegen im Centrum, aber auch niemals scharfsinnig oder präg¬
nant, wiewohl die Mundart eben mancher plausibler Aeußerung die hausbackne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/390>, abgerufen am 15.01.2025.