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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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gaben des fränkischen Turners, eines Blattes, das außerhalb der Provinz kaum
dem Namen nach gekannt ist, zählte der ganze fränkische Turnbund im Beginn deS
Herbstes 1849 etwa 1500 Mitglieder, von denen die Mehrzahl auf die angeführ¬
ten Mittel- und die kleineren Städte kommt, welche in einiger Entfernung von den
Garnisonen liegen. Wie aus demselben Blatte hervorgeht, befleißigen sie sich, was
nur als höchst zweckmäßig anerkannt werden muß, uach außen hin einer möglichst
indifferenten politischen Haltung. Davon legt es selbst das beste Zeugniß ab.
Aus persönlichem Verkehr mit den einzelnen ergibt sich natürlich ein ganz ande¬
res Resultat; sie halten sich alle für die rechten auserwählten Pfleger und Bewah¬
rer der Demokratie, sind jedoch der Ansicht, daß für den Augenblick Ruhe die
erste Turnerpflicht sei. Daß sie sich auch während der Mairage nicht besonders her-
vvrdrängten, wo die Versuchung doch nahe genug lag, geht ans der geringen An¬
zahl verhafteter Turner und aus dem ungestörten Fortbestehen der Vereine hervor.

März-Demokratische- und Arbeitervereine sind alle ohne Ausnahme aufge¬
hoben, ihre Schriftführer und Vorsteher in Untersuchung; die Turnvereine besitzen
ihre eigene Zeitung, halten ungefähr alle vier Wochen bald hier bald dort einen
allgemeinen Tnrntag und die Regierung läßt sie ganz ungestört gewähren. -- Der
loyale und reaktionäre Philister, sowie der königl. bairische Krieger ist in diesem
Punkte difficiler als Herr von der Pfordten. In den größeren Städten kann sich
eine grane Turnhose und Tnrnjacke nicht ohne Gefahr von Insulten zeigen, na¬
mentlich stehen fast alle Schlägereien, die zwischen Militär und Civil in diesen Ge¬
genden vorkommen, mit der Turuerei in äußerem Kausalnexus. Der innere
liegt in der Zuchtlosigkeit der Soldate", die in Baiern und besonders in Franken
eine Höhe erreicht hat, wie sie im übrigen Deutschland in diesem Augenblick un¬
bekannt ist. Wo sie sonst noch vorkam, z. B. in Baden, war sie der unmittelbare
Vorläufer des Aufstandes und die Folge radicaler Hetzereien. Hier verhält eS sich
umgekehrt. Im bairischen Heer waren von jeher und auch in den Zeiten der
loyalsten Unterthanentrene einzelne Ausbrüche von brutalem Ungehorsam vorge¬
kommen, die nur ein natürliches Gegengewicht gegen die brutale Strenge bildeten,
welche von oben gegen deu gemeinen Mann geübt wurde. Nach der Märzrevo-
lution hörte jene barbarische Behandlung mit einem Schlage auf, und an ihre
Stelle trat eine alles Maß überschreitende nachsichtige zuckersüße Höflichkeit, deren
Tendenz die Soldaten leicht durchschauten. Wäre der bairische Boden überhaupt
Zur Ausnahme des politischen Radikalismus geeignet gewesen, so hätte damals die
von oben geduldete Auflösung aller Disciplin das ganze bairische Heer eben da¬
hin bringen müssen, wohin das badische und selbst ein Theil des bairischen im
Mai dieses Jahres kam. Die Regimenter in der Rheinpfalz unterlagen nur des¬
halb der Verführung, weil sie sich mitten in einer ganz dcmokratisirten und de¬
mokratisch organisirten Bevölkerung befanden. Der Haupttheil der Armee diesseits
des Rheins schwankte zwar auch einen Augenblick, so z. B. auf dem Lager bei


Grcnzbvte". lo. 1849. 48

gaben des fränkischen Turners, eines Blattes, das außerhalb der Provinz kaum
dem Namen nach gekannt ist, zählte der ganze fränkische Turnbund im Beginn deS
Herbstes 1849 etwa 1500 Mitglieder, von denen die Mehrzahl auf die angeführ¬
ten Mittel- und die kleineren Städte kommt, welche in einiger Entfernung von den
Garnisonen liegen. Wie aus demselben Blatte hervorgeht, befleißigen sie sich, was
nur als höchst zweckmäßig anerkannt werden muß, uach außen hin einer möglichst
indifferenten politischen Haltung. Davon legt es selbst das beste Zeugniß ab.
Aus persönlichem Verkehr mit den einzelnen ergibt sich natürlich ein ganz ande¬
res Resultat; sie halten sich alle für die rechten auserwählten Pfleger und Bewah¬
rer der Demokratie, sind jedoch der Ansicht, daß für den Augenblick Ruhe die
erste Turnerpflicht sei. Daß sie sich auch während der Mairage nicht besonders her-
vvrdrängten, wo die Versuchung doch nahe genug lag, geht ans der geringen An¬
zahl verhafteter Turner und aus dem ungestörten Fortbestehen der Vereine hervor.

März-Demokratische- und Arbeitervereine sind alle ohne Ausnahme aufge¬
hoben, ihre Schriftführer und Vorsteher in Untersuchung; die Turnvereine besitzen
ihre eigene Zeitung, halten ungefähr alle vier Wochen bald hier bald dort einen
allgemeinen Tnrntag und die Regierung läßt sie ganz ungestört gewähren. — Der
loyale und reaktionäre Philister, sowie der königl. bairische Krieger ist in diesem
Punkte difficiler als Herr von der Pfordten. In den größeren Städten kann sich
eine grane Turnhose und Tnrnjacke nicht ohne Gefahr von Insulten zeigen, na¬
mentlich stehen fast alle Schlägereien, die zwischen Militär und Civil in diesen Ge¬
genden vorkommen, mit der Turuerei in äußerem Kausalnexus. Der innere
liegt in der Zuchtlosigkeit der Soldate», die in Baiern und besonders in Franken
eine Höhe erreicht hat, wie sie im übrigen Deutschland in diesem Augenblick un¬
bekannt ist. Wo sie sonst noch vorkam, z. B. in Baden, war sie der unmittelbare
Vorläufer des Aufstandes und die Folge radicaler Hetzereien. Hier verhält eS sich
umgekehrt. Im bairischen Heer waren von jeher und auch in den Zeiten der
loyalsten Unterthanentrene einzelne Ausbrüche von brutalem Ungehorsam vorge¬
kommen, die nur ein natürliches Gegengewicht gegen die brutale Strenge bildeten,
welche von oben gegen deu gemeinen Mann geübt wurde. Nach der Märzrevo-
lution hörte jene barbarische Behandlung mit einem Schlage auf, und an ihre
Stelle trat eine alles Maß überschreitende nachsichtige zuckersüße Höflichkeit, deren
Tendenz die Soldaten leicht durchschauten. Wäre der bairische Boden überhaupt
Zur Ausnahme des politischen Radikalismus geeignet gewesen, so hätte damals die
von oben geduldete Auflösung aller Disciplin das ganze bairische Heer eben da¬
hin bringen müssen, wohin das badische und selbst ein Theil des bairischen im
Mai dieses Jahres kam. Die Regimenter in der Rheinpfalz unterlagen nur des¬
halb der Verführung, weil sie sich mitten in einer ganz dcmokratisirten und de¬
mokratisch organisirten Bevölkerung befanden. Der Haupttheil der Armee diesseits
des Rheins schwankte zwar auch einen Augenblick, so z. B. auf dem Lager bei


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[0380] gaben des fränkischen Turners, eines Blattes, das außerhalb der Provinz kaum dem Namen nach gekannt ist, zählte der ganze fränkische Turnbund im Beginn deS Herbstes 1849 etwa 1500 Mitglieder, von denen die Mehrzahl auf die angeführ¬ ten Mittel- und die kleineren Städte kommt, welche in einiger Entfernung von den Garnisonen liegen. Wie aus demselben Blatte hervorgeht, befleißigen sie sich, was nur als höchst zweckmäßig anerkannt werden muß, uach außen hin einer möglichst indifferenten politischen Haltung. Davon legt es selbst das beste Zeugniß ab. Aus persönlichem Verkehr mit den einzelnen ergibt sich natürlich ein ganz ande¬ res Resultat; sie halten sich alle für die rechten auserwählten Pfleger und Bewah¬ rer der Demokratie, sind jedoch der Ansicht, daß für den Augenblick Ruhe die erste Turnerpflicht sei. Daß sie sich auch während der Mairage nicht besonders her- vvrdrängten, wo die Versuchung doch nahe genug lag, geht ans der geringen An¬ zahl verhafteter Turner und aus dem ungestörten Fortbestehen der Vereine hervor. März-Demokratische- und Arbeitervereine sind alle ohne Ausnahme aufge¬ hoben, ihre Schriftführer und Vorsteher in Untersuchung; die Turnvereine besitzen ihre eigene Zeitung, halten ungefähr alle vier Wochen bald hier bald dort einen allgemeinen Tnrntag und die Regierung läßt sie ganz ungestört gewähren. — Der loyale und reaktionäre Philister, sowie der königl. bairische Krieger ist in diesem Punkte difficiler als Herr von der Pfordten. In den größeren Städten kann sich eine grane Turnhose und Tnrnjacke nicht ohne Gefahr von Insulten zeigen, na¬ mentlich stehen fast alle Schlägereien, die zwischen Militär und Civil in diesen Ge¬ genden vorkommen, mit der Turuerei in äußerem Kausalnexus. Der innere liegt in der Zuchtlosigkeit der Soldate», die in Baiern und besonders in Franken eine Höhe erreicht hat, wie sie im übrigen Deutschland in diesem Augenblick un¬ bekannt ist. Wo sie sonst noch vorkam, z. B. in Baden, war sie der unmittelbare Vorläufer des Aufstandes und die Folge radicaler Hetzereien. Hier verhält eS sich umgekehrt. Im bairischen Heer waren von jeher und auch in den Zeiten der loyalsten Unterthanentrene einzelne Ausbrüche von brutalem Ungehorsam vorge¬ kommen, die nur ein natürliches Gegengewicht gegen die brutale Strenge bildeten, welche von oben gegen deu gemeinen Mann geübt wurde. Nach der Märzrevo- lution hörte jene barbarische Behandlung mit einem Schlage auf, und an ihre Stelle trat eine alles Maß überschreitende nachsichtige zuckersüße Höflichkeit, deren Tendenz die Soldaten leicht durchschauten. Wäre der bairische Boden überhaupt Zur Ausnahme des politischen Radikalismus geeignet gewesen, so hätte damals die von oben geduldete Auflösung aller Disciplin das ganze bairische Heer eben da¬ hin bringen müssen, wohin das badische und selbst ein Theil des bairischen im Mai dieses Jahres kam. Die Regimenter in der Rheinpfalz unterlagen nur des¬ halb der Verführung, weil sie sich mitten in einer ganz dcmokratisirten und de¬ mokratisch organisirten Bevölkerung befanden. Der Haupttheil der Armee diesseits des Rheins schwankte zwar auch einen Augenblick, so z. B. auf dem Lager bei Grcnzbvte». lo. 1849. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/380>, abgerufen am 15.01.2025.