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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Fensterscheiben und trieb ungeduldig allerhand Possen; allein der Hausherr blieb
in seinem Zimmer und der Koch oder Kammerdiener in der Küche.

Auch auf Säbel und Pistolen müsse" Erlaubnißscheine vom Fürsten gelöst
werden; diese zu gewinnen ist noch viel schwerer. Ein gewisser G. in Warschau,
der auf der Reise unfern Grochow von einer Tscherkcssenpatrouille überfallen, ge¬
plündert und fast todtgeschlagen worden war, erhielt selbst nach dieser Affaire
nicht einmal die Erlaubniß, bei seinen Reisen ein Paar Pistolen bei sich
führen zu .dürfen. Er ließ sich daher einen Spazierstock von Eisen machen,
dem eine scharfe Spitze eingeschraubt werden konnte. Wie sein Unfall stadtkundig
war, so wurde es auch seine echt bürgerliche Nothwehr, und bald waren eiserne
Spazierstöcke bei den jungen Warschauern ein Modeartikel. Allein kaum war diese
Mode zur Kenntniß der Behörde gelangt, so wurden die eisernen Spazierstöcke
in das Gewehrverbot -- unter dem einigermaßen Achtung gebietenden Namen
"Kriegsleuten" -- aufgenommen und die Polizei war beeifert, auf offener Straße
dos Gewicht der Stöcke und Krücken zu prüfen, an denen die jugendlichen Bürger
dahinwcmdelten.

Selbst fremden Reisenden ist es im Westen des russischen Reichs nicht ge¬
stattet, Waffen, welcher Art sie auch sein mögen, bei sich zu führen. Das Grenz¬
amt nimmt ihnen ohne Umstände die Waffen weg; es fragt, an welchem Grenzorte
der Reisende das Land wieder verlassen wolle, und versichert, daß er daselbst seine
Waffen finden und wieder erhalten werde. Der Reisende darf es nie versäumen,
sich über die Ablieferung der Waffen eine Quittung ausstellen zu lassen.

Die Nothwendigkeit sich anfNeiscn zu vertheidigen hat auf mancherlei Erfindungen
geführt. So hat man in jenen Theilen Rußlands, in denen das ausgedehnte Waffen¬
verbot so streng gehandhabt wird, an den Kutschen geschärfte, schwertartige Bügel,
welche sich leicht hervorziehen und frei gebrauchen, eben so in den Leitern der
leichten kleinen Reisewagen, der Brytschki und Kibitki, geschärfte eiserne Sprossen,
welche sich im Drang der Noth als Waffe gebrauchen lassen. Bis jetzt scheint
die russische Behörde davon nichts erfahren zu haben.

Wie ausgedehnt und furchtbar in seinen Strafen das russische Waffen¬
verbot und wie streng die Ausübung desselben von Seiten der Aemter auch ist,
so würde sich doch die Regierung täuschen, wenn sie meinte, dadurch das Volk
völlig entwaffnet zu haben. Gewiß ist, daß im Königreich Polen noch große
Wasservorräthe verborgen liegen.




Fensterscheiben und trieb ungeduldig allerhand Possen; allein der Hausherr blieb
in seinem Zimmer und der Koch oder Kammerdiener in der Küche.

Auch auf Säbel und Pistolen müsse» Erlaubnißscheine vom Fürsten gelöst
werden; diese zu gewinnen ist noch viel schwerer. Ein gewisser G. in Warschau,
der auf der Reise unfern Grochow von einer Tscherkcssenpatrouille überfallen, ge¬
plündert und fast todtgeschlagen worden war, erhielt selbst nach dieser Affaire
nicht einmal die Erlaubniß, bei seinen Reisen ein Paar Pistolen bei sich
führen zu .dürfen. Er ließ sich daher einen Spazierstock von Eisen machen,
dem eine scharfe Spitze eingeschraubt werden konnte. Wie sein Unfall stadtkundig
war, so wurde es auch seine echt bürgerliche Nothwehr, und bald waren eiserne
Spazierstöcke bei den jungen Warschauern ein Modeartikel. Allein kaum war diese
Mode zur Kenntniß der Behörde gelangt, so wurden die eisernen Spazierstöcke
in das Gewehrverbot — unter dem einigermaßen Achtung gebietenden Namen
„Kriegsleuten" — aufgenommen und die Polizei war beeifert, auf offener Straße
dos Gewicht der Stöcke und Krücken zu prüfen, an denen die jugendlichen Bürger
dahinwcmdelten.

Selbst fremden Reisenden ist es im Westen des russischen Reichs nicht ge¬
stattet, Waffen, welcher Art sie auch sein mögen, bei sich zu führen. Das Grenz¬
amt nimmt ihnen ohne Umstände die Waffen weg; es fragt, an welchem Grenzorte
der Reisende das Land wieder verlassen wolle, und versichert, daß er daselbst seine
Waffen finden und wieder erhalten werde. Der Reisende darf es nie versäumen,
sich über die Ablieferung der Waffen eine Quittung ausstellen zu lassen.

Die Nothwendigkeit sich anfNeiscn zu vertheidigen hat auf mancherlei Erfindungen
geführt. So hat man in jenen Theilen Rußlands, in denen das ausgedehnte Waffen¬
verbot so streng gehandhabt wird, an den Kutschen geschärfte, schwertartige Bügel,
welche sich leicht hervorziehen und frei gebrauchen, eben so in den Leitern der
leichten kleinen Reisewagen, der Brytschki und Kibitki, geschärfte eiserne Sprossen,
welche sich im Drang der Noth als Waffe gebrauchen lassen. Bis jetzt scheint
die russische Behörde davon nichts erfahren zu haben.

Wie ausgedehnt und furchtbar in seinen Strafen das russische Waffen¬
verbot und wie streng die Ausübung desselben von Seiten der Aemter auch ist,
so würde sich doch die Regierung täuschen, wenn sie meinte, dadurch das Volk
völlig entwaffnet zu haben. Gewiß ist, daß im Königreich Polen noch große
Wasservorräthe verborgen liegen.




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[0371] Fensterscheiben und trieb ungeduldig allerhand Possen; allein der Hausherr blieb in seinem Zimmer und der Koch oder Kammerdiener in der Küche. Auch auf Säbel und Pistolen müsse» Erlaubnißscheine vom Fürsten gelöst werden; diese zu gewinnen ist noch viel schwerer. Ein gewisser G. in Warschau, der auf der Reise unfern Grochow von einer Tscherkcssenpatrouille überfallen, ge¬ plündert und fast todtgeschlagen worden war, erhielt selbst nach dieser Affaire nicht einmal die Erlaubniß, bei seinen Reisen ein Paar Pistolen bei sich führen zu .dürfen. Er ließ sich daher einen Spazierstock von Eisen machen, dem eine scharfe Spitze eingeschraubt werden konnte. Wie sein Unfall stadtkundig war, so wurde es auch seine echt bürgerliche Nothwehr, und bald waren eiserne Spazierstöcke bei den jungen Warschauern ein Modeartikel. Allein kaum war diese Mode zur Kenntniß der Behörde gelangt, so wurden die eisernen Spazierstöcke in das Gewehrverbot — unter dem einigermaßen Achtung gebietenden Namen „Kriegsleuten" — aufgenommen und die Polizei war beeifert, auf offener Straße dos Gewicht der Stöcke und Krücken zu prüfen, an denen die jugendlichen Bürger dahinwcmdelten. Selbst fremden Reisenden ist es im Westen des russischen Reichs nicht ge¬ stattet, Waffen, welcher Art sie auch sein mögen, bei sich zu führen. Das Grenz¬ amt nimmt ihnen ohne Umstände die Waffen weg; es fragt, an welchem Grenzorte der Reisende das Land wieder verlassen wolle, und versichert, daß er daselbst seine Waffen finden und wieder erhalten werde. Der Reisende darf es nie versäumen, sich über die Ablieferung der Waffen eine Quittung ausstellen zu lassen. Die Nothwendigkeit sich anfNeiscn zu vertheidigen hat auf mancherlei Erfindungen geführt. So hat man in jenen Theilen Rußlands, in denen das ausgedehnte Waffen¬ verbot so streng gehandhabt wird, an den Kutschen geschärfte, schwertartige Bügel, welche sich leicht hervorziehen und frei gebrauchen, eben so in den Leitern der leichten kleinen Reisewagen, der Brytschki und Kibitki, geschärfte eiserne Sprossen, welche sich im Drang der Noth als Waffe gebrauchen lassen. Bis jetzt scheint die russische Behörde davon nichts erfahren zu haben. Wie ausgedehnt und furchtbar in seinen Strafen das russische Waffen¬ verbot und wie streng die Ausübung desselben von Seiten der Aemter auch ist, so würde sich doch die Regierung täuschen, wenn sie meinte, dadurch das Volk völlig entwaffnet zu haben. Gewiß ist, daß im Königreich Polen noch große Wasservorräthe verborgen liegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/371>, abgerufen am 15.01.2025.