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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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gesprochenen Vorsatze -- erinnert man sich denn nicht mehr in Baiern, was man
dem Schutze Friedrichs des Großen zu danken hat? Es scheint nicht über¬
flüssig zu sei", Baiern darau zu erinnern, daß dieser Gründer des preußischen
Staates den baierschen gerettet hat; ihm hat Baiern zu danken, daß es nicht
Böhmen oder Ungarn geworden. Wie? Baiern bedarf des Schutzes nicht?
Allerdings ist ein volles Jahrhundert verflossen, seitdem jener traurige Maun den
Kammerdienern Ludwigs XV. förmlich den Hof machte, damit sie für ihn ein gu¬
tes Wort sprechen möchten bei ihrem Herrn, dessen Schutzes und dessen Gön¬
nerschaft er bedürfte -- man weiß warum; allein was ist denn im Laufe dieses
Jahrhunderts Ungeheures in Baiern geschehen, welche tiefe eingreifende Reforma¬
tion oder Revolution hat denn dort in dieser Zeit stattgefunden, um dem Staate
ein anderes Fundament zu geben, um ihn umzugestalten? "Baiern bedarf des
Schutzes nicht," hat Wrede ans dem Wiener Kongresse gesagt, als Baiern so¬
eben erst aus dem französischen "Schutze" entlassen war, weil des Niesen
Wucht gebrochen war durch deutsche Kraft; "Baiern bedarf des Schutzes
nicht, sagt Herr v. d. Pfordten, wenige Monate, nachdem der pfälzische Aufstand,
dessen Baiern nicht Herr zu werden sich getrauete, unterdrückt worden war durch preu¬
ßische Waffen, welche es angerufen. -- Selbst das schei'it Baiern vergessen zu ha¬
ben, daß es dem französischen Schutze mindestens ein Drittel seines Gebietes
zu danken habe. Doch vielleicht hat man dieses am wenigsten vergessen, vielleicht
erinnert man sich nur bei passender Gelegenheit daran.

Nirgends als in diesem gegenwärtigen Falle gilt in so hohem Grade das
Wort: "Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns." Von einem völlig selbst-
ständigen, für sich bestehenden Baiern kann nnn einmal nicht die Rede sein; tVin
Mensch, der irgend etwas von Geschichte versteht, der nur einen ungefähren
Begriff hat von den Verhältnissen des gegenwärtigen europäischen Staatensystems,
keiner selbst, der nur einmal aus seinem engen Kreise herausgetreten ist auf den
Markt, wird ein selbstständiges Baiern auf die Dauer für möglich halten ^
sei denn, er wäre ein geborner Baier. Glaubt doch selbst die baiersche Regierung
nicht fest daran und hat niemals fest daran geglaubt, wie Frankreich und Oest¬
reich bezeugen können. -- Noch weniger aber als ein selbstständiges Baiern läßt
sich natürlich ein selbstständiges Würtemberg, Hannover, Sachsen denken.
dem nächsten Kriege, den wir zu bestehen haben werden, können diese Staa¬
ten nicht neutral bleiben. Dann aber kann man nicht mehr fragen, ob deutsch,
ob französisch, oder russisch oder türkisch, dann kann man nur noch sein Interesse
befragen. Im Kriege hört die Brüderschaft auf, da denkt Jeder an sich s^^'
Was in unserem Falle stattfinden wird, das wissen wir nicht, aber eben weil
es nicht wissen, gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung, an deu schlimmsten Fall
zu denken, sich möglichst auf ihn vorzubereiten, oder doch wenigstens aus ihn
saßt zu sein. Das Gemüth , das wir Deutschen nun einmal auch in die PollU


gesprochenen Vorsatze — erinnert man sich denn nicht mehr in Baiern, was man
dem Schutze Friedrichs des Großen zu danken hat? Es scheint nicht über¬
flüssig zu sei», Baiern darau zu erinnern, daß dieser Gründer des preußischen
Staates den baierschen gerettet hat; ihm hat Baiern zu danken, daß es nicht
Böhmen oder Ungarn geworden. Wie? Baiern bedarf des Schutzes nicht?
Allerdings ist ein volles Jahrhundert verflossen, seitdem jener traurige Maun den
Kammerdienern Ludwigs XV. förmlich den Hof machte, damit sie für ihn ein gu¬
tes Wort sprechen möchten bei ihrem Herrn, dessen Schutzes und dessen Gön¬
nerschaft er bedürfte — man weiß warum; allein was ist denn im Laufe dieses
Jahrhunderts Ungeheures in Baiern geschehen, welche tiefe eingreifende Reforma¬
tion oder Revolution hat denn dort in dieser Zeit stattgefunden, um dem Staate
ein anderes Fundament zu geben, um ihn umzugestalten? „Baiern bedarf des
Schutzes nicht," hat Wrede ans dem Wiener Kongresse gesagt, als Baiern so¬
eben erst aus dem französischen „Schutze" entlassen war, weil des Niesen
Wucht gebrochen war durch deutsche Kraft; „Baiern bedarf des Schutzes
nicht, sagt Herr v. d. Pfordten, wenige Monate, nachdem der pfälzische Aufstand,
dessen Baiern nicht Herr zu werden sich getrauete, unterdrückt worden war durch preu¬
ßische Waffen, welche es angerufen. — Selbst das schei'it Baiern vergessen zu ha¬
ben, daß es dem französischen Schutze mindestens ein Drittel seines Gebietes
zu danken habe. Doch vielleicht hat man dieses am wenigsten vergessen, vielleicht
erinnert man sich nur bei passender Gelegenheit daran.

Nirgends als in diesem gegenwärtigen Falle gilt in so hohem Grade das
Wort: „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns." Von einem völlig selbst-
ständigen, für sich bestehenden Baiern kann nnn einmal nicht die Rede sein; tVin
Mensch, der irgend etwas von Geschichte versteht, der nur einen ungefähren
Begriff hat von den Verhältnissen des gegenwärtigen europäischen Staatensystems,
keiner selbst, der nur einmal aus seinem engen Kreise herausgetreten ist auf den
Markt, wird ein selbstständiges Baiern auf die Dauer für möglich halten ^
sei denn, er wäre ein geborner Baier. Glaubt doch selbst die baiersche Regierung
nicht fest daran und hat niemals fest daran geglaubt, wie Frankreich und Oest¬
reich bezeugen können. — Noch weniger aber als ein selbstständiges Baiern läßt
sich natürlich ein selbstständiges Würtemberg, Hannover, Sachsen denken.
dem nächsten Kriege, den wir zu bestehen haben werden, können diese Staa¬
ten nicht neutral bleiben. Dann aber kann man nicht mehr fragen, ob deutsch,
ob französisch, oder russisch oder türkisch, dann kann man nur noch sein Interesse
befragen. Im Kriege hört die Brüderschaft auf, da denkt Jeder an sich s^^'
Was in unserem Falle stattfinden wird, das wissen wir nicht, aber eben weil
es nicht wissen, gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung, an deu schlimmsten Fall
zu denken, sich möglichst auf ihn vorzubereiten, oder doch wenigstens aus ihn
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[0339] gesprochenen Vorsatze — erinnert man sich denn nicht mehr in Baiern, was man dem Schutze Friedrichs des Großen zu danken hat? Es scheint nicht über¬ flüssig zu sei», Baiern darau zu erinnern, daß dieser Gründer des preußischen Staates den baierschen gerettet hat; ihm hat Baiern zu danken, daß es nicht Böhmen oder Ungarn geworden. Wie? Baiern bedarf des Schutzes nicht? Allerdings ist ein volles Jahrhundert verflossen, seitdem jener traurige Maun den Kammerdienern Ludwigs XV. förmlich den Hof machte, damit sie für ihn ein gu¬ tes Wort sprechen möchten bei ihrem Herrn, dessen Schutzes und dessen Gön¬ nerschaft er bedürfte — man weiß warum; allein was ist denn im Laufe dieses Jahrhunderts Ungeheures in Baiern geschehen, welche tiefe eingreifende Reforma¬ tion oder Revolution hat denn dort in dieser Zeit stattgefunden, um dem Staate ein anderes Fundament zu geben, um ihn umzugestalten? „Baiern bedarf des Schutzes nicht," hat Wrede ans dem Wiener Kongresse gesagt, als Baiern so¬ eben erst aus dem französischen „Schutze" entlassen war, weil des Niesen Wucht gebrochen war durch deutsche Kraft; „Baiern bedarf des Schutzes nicht, sagt Herr v. d. Pfordten, wenige Monate, nachdem der pfälzische Aufstand, dessen Baiern nicht Herr zu werden sich getrauete, unterdrückt worden war durch preu¬ ßische Waffen, welche es angerufen. — Selbst das schei'it Baiern vergessen zu ha¬ ben, daß es dem französischen Schutze mindestens ein Drittel seines Gebietes zu danken habe. Doch vielleicht hat man dieses am wenigsten vergessen, vielleicht erinnert man sich nur bei passender Gelegenheit daran. Nirgends als in diesem gegenwärtigen Falle gilt in so hohem Grade das Wort: „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns." Von einem völlig selbst- ständigen, für sich bestehenden Baiern kann nnn einmal nicht die Rede sein; tVin Mensch, der irgend etwas von Geschichte versteht, der nur einen ungefähren Begriff hat von den Verhältnissen des gegenwärtigen europäischen Staatensystems, keiner selbst, der nur einmal aus seinem engen Kreise herausgetreten ist auf den Markt, wird ein selbstständiges Baiern auf die Dauer für möglich halten ^ sei denn, er wäre ein geborner Baier. Glaubt doch selbst die baiersche Regierung nicht fest daran und hat niemals fest daran geglaubt, wie Frankreich und Oest¬ reich bezeugen können. — Noch weniger aber als ein selbstständiges Baiern läßt sich natürlich ein selbstständiges Würtemberg, Hannover, Sachsen denken. dem nächsten Kriege, den wir zu bestehen haben werden, können diese Staa¬ ten nicht neutral bleiben. Dann aber kann man nicht mehr fragen, ob deutsch, ob französisch, oder russisch oder türkisch, dann kann man nur noch sein Interesse befragen. Im Kriege hört die Brüderschaft auf, da denkt Jeder an sich s^^' Was in unserem Falle stattfinden wird, das wissen wir nicht, aber eben weil es nicht wissen, gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung, an deu schlimmsten Fall zu denken, sich möglichst auf ihn vorzubereiten, oder doch wenigstens aus ihn saßt zu sein. Das Gemüth , das wir Deutschen nun einmal auch in die PollU

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/339>, abgerufen am 15.01.2025.