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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Heiligenkreuzkirche 147 und in dem langen Eingange der unterirdischen Heiligen¬
kreuzkirche, in welcher die Leichen eines Buchdruckers und eines andern Bürgers
zur Schau aufgestellt waren, 3". Die Zahl der Kirche" beträgt aber 40, und
man kann so leicht berechnen, daß Warschau in Betreff des niedrigsten Proleta¬
riats mit jeder europäischen Stadt wetteifern kann. Die Bettler geben den
Straßen freilich kein reizendes Ansehn, allein sie gehören doch zur Wahrheit
Warschaus. -- Deshalb wurde aus die unglücklichen Bettelleute von den
Kosaken in allen Straßen eine förmliche Jagd gemacht. Hier und dort flüch¬
teten sie in die Hausdnrchgänge und wurden gewaltsam heraufgeschleppt, selbst
das Asylrecht der Kirchenthüren wurde unbeachtet gelassen, und in den Vorstädten
wurden sie ans ihren düstern Höhlen herausgeholt und in Haufen von zwei bis
dreihundert Personen, umringt von reitenden Kosaken, ans der Stadt trans-
Portirt. --

Ueber Tag und Stunde der Ankunft des Kaisers wußte im ganzen Lande
außer den höchsten Beamten Niemand etwas, und frug mau einen von diesen:
wann wird die Majestät kommen? so erhielt man regelmäßig die Antwort: "gar
nicht, gar nicht! es ist ein albernes Gerücht, welches ausgesprengt worden ist."
Doch straften sich die Beamten durch ihre eigenen Maßregeln Lügen. Denn Jeder¬
mann wußte, daß die Verordnung an die Thorcontrvleurs, keinen Menschen ohne
einen Paß in Warschau einzulassen, eine zuverlässige Ankündigung des Kaisers
war. Die Reisen des Kaisers in seinem Reiche haben eine Methode, welche sie
dem Publikum nie eher recht bekannt werden läßt, bevor sie vollbracht sind, und
die Methode hat einen Zweck, über welchen man nicht lange nachzusinnen braucht.

Am Donnerstag bemerkte man plötzlich, daß die russischen Soldaten ans ihren
langen knhhärenen Kitteln herausgeschält und in farbige Uniformen eingeknöpft
worden waren. Zugleich sah mau an allen Ecken der Hauptstraßen, an welchen
sich kein Budniksposten befand, einzelne Soldaten als Wächter aufgestellt. Die
Zahl der Kosaken und Gensdarmcnpatronillcn war mindestens verdreifacht, denn
auf Tritt und Schritt begegnete man ihnen. Allgemein wurde behauptet, ent¬
weder sei die Majestät schon eingetroffen, oder werde heute eintreffen. Endlich,
am andern Tage verkündete ein mächtig langer Freudcnartikel des "Warschauer
Kurier," verkündeten Anschlagzettel und Ausrufer, welche mit helltönenden Klin¬
geln dnrch alle Straßen eilten: "Der Kaiser ist da!" Der "Kurier" und die
"Russische Zeitung" jauchzten und versicherten, daß die ganze Einwohnerschaft in
Entzücken und Seligkeit schwimme. Ich habe nichts davon wahrnehmen können,
"is daß die Bürger mit ziemlich mürrischen Gesichtern hinter den Fenstergardinen
vvrgnckten, die Restaurationen viel leerer als sonst wäre", und viele arme Teufel,
die durch die Revolution um Posten oder Pensionen gekommen waren, mit Peti¬
tionen durch' die Straßen eilten, was bei einer jeden Anwesenheit des Kaisers


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Heiligenkreuzkirche 147 und in dem langen Eingange der unterirdischen Heiligen¬
kreuzkirche, in welcher die Leichen eines Buchdruckers und eines andern Bürgers
zur Schau aufgestellt waren, 3». Die Zahl der Kirche» beträgt aber 40, und
man kann so leicht berechnen, daß Warschau in Betreff des niedrigsten Proleta¬
riats mit jeder europäischen Stadt wetteifern kann. Die Bettler geben den
Straßen freilich kein reizendes Ansehn, allein sie gehören doch zur Wahrheit
Warschaus. — Deshalb wurde aus die unglücklichen Bettelleute von den
Kosaken in allen Straßen eine förmliche Jagd gemacht. Hier und dort flüch¬
teten sie in die Hausdnrchgänge und wurden gewaltsam heraufgeschleppt, selbst
das Asylrecht der Kirchenthüren wurde unbeachtet gelassen, und in den Vorstädten
wurden sie ans ihren düstern Höhlen herausgeholt und in Haufen von zwei bis
dreihundert Personen, umringt von reitenden Kosaken, ans der Stadt trans-
Portirt. —

Ueber Tag und Stunde der Ankunft des Kaisers wußte im ganzen Lande
außer den höchsten Beamten Niemand etwas, und frug mau einen von diesen:
wann wird die Majestät kommen? so erhielt man regelmäßig die Antwort: „gar
nicht, gar nicht! es ist ein albernes Gerücht, welches ausgesprengt worden ist."
Doch straften sich die Beamten durch ihre eigenen Maßregeln Lügen. Denn Jeder¬
mann wußte, daß die Verordnung an die Thorcontrvleurs, keinen Menschen ohne
einen Paß in Warschau einzulassen, eine zuverlässige Ankündigung des Kaisers
war. Die Reisen des Kaisers in seinem Reiche haben eine Methode, welche sie
dem Publikum nie eher recht bekannt werden läßt, bevor sie vollbracht sind, und
die Methode hat einen Zweck, über welchen man nicht lange nachzusinnen braucht.

Am Donnerstag bemerkte man plötzlich, daß die russischen Soldaten ans ihren
langen knhhärenen Kitteln herausgeschält und in farbige Uniformen eingeknöpft
worden waren. Zugleich sah mau an allen Ecken der Hauptstraßen, an welchen
sich kein Budniksposten befand, einzelne Soldaten als Wächter aufgestellt. Die
Zahl der Kosaken und Gensdarmcnpatronillcn war mindestens verdreifacht, denn
auf Tritt und Schritt begegnete man ihnen. Allgemein wurde behauptet, ent¬
weder sei die Majestät schon eingetroffen, oder werde heute eintreffen. Endlich,
am andern Tage verkündete ein mächtig langer Freudcnartikel des „Warschauer
Kurier," verkündeten Anschlagzettel und Ausrufer, welche mit helltönenden Klin¬
geln dnrch alle Straßen eilten: „Der Kaiser ist da!" Der „Kurier" und die
"Russische Zeitung" jauchzten und versicherten, daß die ganze Einwohnerschaft in
Entzücken und Seligkeit schwimme. Ich habe nichts davon wahrnehmen können,
"is daß die Bürger mit ziemlich mürrischen Gesichtern hinter den Fenstergardinen
vvrgnckten, die Restaurationen viel leerer als sonst wäre», und viele arme Teufel,
die durch die Revolution um Posten oder Pensionen gekommen waren, mit Peti¬
tionen durch' die Straßen eilten, was bei einer jeden Anwesenheit des Kaisers


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[0326] Heiligenkreuzkirche 147 und in dem langen Eingange der unterirdischen Heiligen¬ kreuzkirche, in welcher die Leichen eines Buchdruckers und eines andern Bürgers zur Schau aufgestellt waren, 3». Die Zahl der Kirche» beträgt aber 40, und man kann so leicht berechnen, daß Warschau in Betreff des niedrigsten Proleta¬ riats mit jeder europäischen Stadt wetteifern kann. Die Bettler geben den Straßen freilich kein reizendes Ansehn, allein sie gehören doch zur Wahrheit Warschaus. — Deshalb wurde aus die unglücklichen Bettelleute von den Kosaken in allen Straßen eine förmliche Jagd gemacht. Hier und dort flüch¬ teten sie in die Hausdnrchgänge und wurden gewaltsam heraufgeschleppt, selbst das Asylrecht der Kirchenthüren wurde unbeachtet gelassen, und in den Vorstädten wurden sie ans ihren düstern Höhlen herausgeholt und in Haufen von zwei bis dreihundert Personen, umringt von reitenden Kosaken, ans der Stadt trans- Portirt. — Ueber Tag und Stunde der Ankunft des Kaisers wußte im ganzen Lande außer den höchsten Beamten Niemand etwas, und frug mau einen von diesen: wann wird die Majestät kommen? so erhielt man regelmäßig die Antwort: „gar nicht, gar nicht! es ist ein albernes Gerücht, welches ausgesprengt worden ist." Doch straften sich die Beamten durch ihre eigenen Maßregeln Lügen. Denn Jeder¬ mann wußte, daß die Verordnung an die Thorcontrvleurs, keinen Menschen ohne einen Paß in Warschau einzulassen, eine zuverlässige Ankündigung des Kaisers war. Die Reisen des Kaisers in seinem Reiche haben eine Methode, welche sie dem Publikum nie eher recht bekannt werden läßt, bevor sie vollbracht sind, und die Methode hat einen Zweck, über welchen man nicht lange nachzusinnen braucht. Am Donnerstag bemerkte man plötzlich, daß die russischen Soldaten ans ihren langen knhhärenen Kitteln herausgeschält und in farbige Uniformen eingeknöpft worden waren. Zugleich sah mau an allen Ecken der Hauptstraßen, an welchen sich kein Budniksposten befand, einzelne Soldaten als Wächter aufgestellt. Die Zahl der Kosaken und Gensdarmcnpatronillcn war mindestens verdreifacht, denn auf Tritt und Schritt begegnete man ihnen. Allgemein wurde behauptet, ent¬ weder sei die Majestät schon eingetroffen, oder werde heute eintreffen. Endlich, am andern Tage verkündete ein mächtig langer Freudcnartikel des „Warschauer Kurier," verkündeten Anschlagzettel und Ausrufer, welche mit helltönenden Klin¬ geln dnrch alle Straßen eilten: „Der Kaiser ist da!" Der „Kurier" und die "Russische Zeitung" jauchzten und versicherten, daß die ganze Einwohnerschaft in Entzücken und Seligkeit schwimme. Ich habe nichts davon wahrnehmen können, "is daß die Bürger mit ziemlich mürrischen Gesichtern hinter den Fenstergardinen vvrgnckten, die Restaurationen viel leerer als sonst wäre», und viele arme Teufel, die durch die Revolution um Posten oder Pensionen gekommen waren, mit Peti¬ tionen durch' die Straßen eilten, was bei einer jeden Anwesenheit des Kaisers 4l*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/326>, abgerufen am 15.01.2025.