Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.ludion an sich hatten; auch ist der Band vor dem Frühjahr 48 geschrieben. Der Leser ludion an sich hatten; auch ist der Band vor dem Frühjahr 48 geschrieben. Der Leser <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279869"/> <p xml:id="ID_1138" prev="#ID_1137" next="#ID_1139"> ludion an sich hatten; auch ist der Band vor dem Frühjahr 48 geschrieben. Der Leser<lb/> wird nicht viel darin finden, was ihn jetzt noch interessiren könnte, wenn er nicht den Ver¬<lb/> fasser selbst kennt und liebt. Der zweite Theil steht in dem Gegensatz zu jenem apho¬<lb/> ristischen Schwätzen über allerliebste Kleinigkeiten, daß er den Antheil des Verfassers<lb/> an der Bewegung des großen Jahres ehrlich und ausführlich darstellt. Nur er hat<lb/> für uns ein stoffliches Interesse. Er beginnt mit Hamburg, dem Exil Schusclka's, sührt<lb/> uns in den Märztagen über Berlin und Breslau nach Wien, aus dem Chaos des<lb/> dortigen Enthusiasmus in den Fünfzigerausschuß, und das Parlament, von da nach<lb/> Wien zurück in den Reichstag, durch die Octobertage bis an die tödtliche Klippe der<lb/> östreichischen Freiheit, nach Krcmsier, mit der Auflösung des Reichstages schließt er.<lb/> Viel Bedeutendes und Lehrreiches werden unsre Leser in dem zweiten Bande finden,<lb/> Schuselka ist zwar auch hier Tourist, er schildert sich i» den Begebenheiten und zwingt<lb/> uns seine Empfindungen und Anschauungen nachträglich durchzumachen. Wenn eine<lb/> gewisse Eitelkeit darin liegt, so ist sie doch sehr harmlos, das Produkt einer weichen<lb/> beweglichen Natur, welche durch nicht gewöhnliche Schicksale frühzeitig die Aufmerksam¬<lb/> keit anderer Menschen auf sich gezogen und sich daran gewöhnt hat, beachtet zu werden.<lb/> Schuselka ist in seiner Erzählung immer wahr über sich selbst, zu wahr und offenherzig<lb/> vielleicht sür den Druck, denn er gestattet dem Leser fortwährend ihn zu übersehn, ja<lb/> hier und da die Achseln zu zucken. Wie er in Hamburg die Nachricht von der Revo¬<lb/> lution in Wien bekömmt und sich freut, daß ihn die Hamburger gratulirend besuchen,<lb/> wie er von den dramatischen Scenen des März schon auf seiner Reise berauscht wird,<lb/> in Breslau so gern Sympathien sür sein geliebtes Oestreich erkennen möchte, in Wien<lb/> mit den Studenten schwärmt, in Frankfurt theatralisch einziehn will, in den Parla¬<lb/> menten sich über die Wirkung seiner Reden freut, noch in Krcmsier im letzten Augen¬<lb/> blick die männliche Haltung nicht verliert, alles das ist offenherzig und wieder so gut¬<lb/> müthig geschildert, daß man ihm, dem Menschen, auch als Fremden gut werden müßte,<lb/> aber zu gleicher Zeit berechtigt wird zu zweifeln, ob eine solche Persönlichkeit, so em¬<lb/> pfänglich sür alle Eindrücke und Stimmungen, mit so unklaren Wollen, so geringem<lb/> politischen Wissen, so voll von ausspringendem Gefühl, überhaupt berechtigt sei, in<lb/> der Politik eine Rolle zu spielen. In dieser Beziehung hat Herr Vater Melden sehr<lb/> thöricht gehandelt das Buch auf eine, wenn auch nur kurze Zeit zu verbieten, eS ist für<lb/> das politische Renommee Schusclka's nicht unbedingt vortheilhaft. Selbst die größte Zeit<lb/> seines parlamentarischen Handelns, seine Thätigkeit in den Octobcrtagcn nahm sich<lb/> besser ans, noch in den Berichten seiner politischen Gegner, als in seiner eigenen Dar¬<lb/> stellung. Seine Darstellung der Octobertage ist übrigens die genauste und beste Schil¬<lb/> derung, welche wir bis jetzt davon haben. Seine Kritik der Rcichstagsvcrhaudluugen aber,<lb/> welche vorausgingen und in Krcmsier folgten, macht eine anderweitige Behandlung nicht<lb/> unnütz. Und wir fragen uns verwundert, wie kommt es doch, daß ein Mann mit<lb/> offenen Augen, der eine schwere Zeit als Vielbethciligter mitgemacht hat, nicht weiser<lb/> geworden ist, nicht klarer und einsichtsvoller? Es ist an der Zeit, streng zu sein gegen<lb/> die guten Volksmänner Oestreichs, nud Schusclka's Herz gehört zu den wärmsten und<lb/> besten, denn durch den Dillettantismus und die Unklarheit der Meisten von ihnen, ist<lb/> die Kraft der revolutionären Ereignisse so schnell klein geworden, auch sie haben in<lb/> naher Zukunft an Oestreich eine Schuld zu bezahlen für das, was ihr unverständiger<lb/> Eifer und ihr Maugel an Einsicht überstürzt und verdorben hat. Wer das Buch aus<lb/> der Hand legt, hat eine Einsicht bekommen in das furchtbarste Jahr des Kaiscrstaats,<lb/> er hat nicht nur die Begebenheiten kennen gelernt, welche der Verfasser schildert, s"»-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0321]
ludion an sich hatten; auch ist der Band vor dem Frühjahr 48 geschrieben. Der Leser
wird nicht viel darin finden, was ihn jetzt noch interessiren könnte, wenn er nicht den Ver¬
fasser selbst kennt und liebt. Der zweite Theil steht in dem Gegensatz zu jenem apho¬
ristischen Schwätzen über allerliebste Kleinigkeiten, daß er den Antheil des Verfassers
an der Bewegung des großen Jahres ehrlich und ausführlich darstellt. Nur er hat
für uns ein stoffliches Interesse. Er beginnt mit Hamburg, dem Exil Schusclka's, sührt
uns in den Märztagen über Berlin und Breslau nach Wien, aus dem Chaos des
dortigen Enthusiasmus in den Fünfzigerausschuß, und das Parlament, von da nach
Wien zurück in den Reichstag, durch die Octobertage bis an die tödtliche Klippe der
östreichischen Freiheit, nach Krcmsier, mit der Auflösung des Reichstages schließt er.
Viel Bedeutendes und Lehrreiches werden unsre Leser in dem zweiten Bande finden,
Schuselka ist zwar auch hier Tourist, er schildert sich i» den Begebenheiten und zwingt
uns seine Empfindungen und Anschauungen nachträglich durchzumachen. Wenn eine
gewisse Eitelkeit darin liegt, so ist sie doch sehr harmlos, das Produkt einer weichen
beweglichen Natur, welche durch nicht gewöhnliche Schicksale frühzeitig die Aufmerksam¬
keit anderer Menschen auf sich gezogen und sich daran gewöhnt hat, beachtet zu werden.
Schuselka ist in seiner Erzählung immer wahr über sich selbst, zu wahr und offenherzig
vielleicht sür den Druck, denn er gestattet dem Leser fortwährend ihn zu übersehn, ja
hier und da die Achseln zu zucken. Wie er in Hamburg die Nachricht von der Revo¬
lution in Wien bekömmt und sich freut, daß ihn die Hamburger gratulirend besuchen,
wie er von den dramatischen Scenen des März schon auf seiner Reise berauscht wird,
in Breslau so gern Sympathien sür sein geliebtes Oestreich erkennen möchte, in Wien
mit den Studenten schwärmt, in Frankfurt theatralisch einziehn will, in den Parla¬
menten sich über die Wirkung seiner Reden freut, noch in Krcmsier im letzten Augen¬
blick die männliche Haltung nicht verliert, alles das ist offenherzig und wieder so gut¬
müthig geschildert, daß man ihm, dem Menschen, auch als Fremden gut werden müßte,
aber zu gleicher Zeit berechtigt wird zu zweifeln, ob eine solche Persönlichkeit, so em¬
pfänglich sür alle Eindrücke und Stimmungen, mit so unklaren Wollen, so geringem
politischen Wissen, so voll von ausspringendem Gefühl, überhaupt berechtigt sei, in
der Politik eine Rolle zu spielen. In dieser Beziehung hat Herr Vater Melden sehr
thöricht gehandelt das Buch auf eine, wenn auch nur kurze Zeit zu verbieten, eS ist für
das politische Renommee Schusclka's nicht unbedingt vortheilhaft. Selbst die größte Zeit
seines parlamentarischen Handelns, seine Thätigkeit in den Octobcrtagcn nahm sich
besser ans, noch in den Berichten seiner politischen Gegner, als in seiner eigenen Dar¬
stellung. Seine Darstellung der Octobertage ist übrigens die genauste und beste Schil¬
derung, welche wir bis jetzt davon haben. Seine Kritik der Rcichstagsvcrhaudluugen aber,
welche vorausgingen und in Krcmsier folgten, macht eine anderweitige Behandlung nicht
unnütz. Und wir fragen uns verwundert, wie kommt es doch, daß ein Mann mit
offenen Augen, der eine schwere Zeit als Vielbethciligter mitgemacht hat, nicht weiser
geworden ist, nicht klarer und einsichtsvoller? Es ist an der Zeit, streng zu sein gegen
die guten Volksmänner Oestreichs, nud Schusclka's Herz gehört zu den wärmsten und
besten, denn durch den Dillettantismus und die Unklarheit der Meisten von ihnen, ist
die Kraft der revolutionären Ereignisse so schnell klein geworden, auch sie haben in
naher Zukunft an Oestreich eine Schuld zu bezahlen für das, was ihr unverständiger
Eifer und ihr Maugel an Einsicht überstürzt und verdorben hat. Wer das Buch aus
der Hand legt, hat eine Einsicht bekommen in das furchtbarste Jahr des Kaiscrstaats,
er hat nicht nur die Begebenheiten kennen gelernt, welche der Verfasser schildert, s"»-
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