Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.entkomme", er hätte für sein Leben gerne den Fürsten Windischgrätz oder doch minde¬ So trennten wir uns. Er ging in sein Hotel und ich schlich mich eine Die nächsten Tage vergingen in rathloser Unthätigkeit. Pesth war durch die Aber eben weil ich uicht hoffen durfte, die Ungarn so bald in Pesth ein¬ entkomme», er hätte für sein Leben gerne den Fürsten Windischgrätz oder doch minde¬ So trennten wir uns. Er ging in sein Hotel und ich schlich mich eine Die nächsten Tage vergingen in rathloser Unthätigkeit. Pesth war durch die Aber eben weil ich uicht hoffen durfte, die Ungarn so bald in Pesth ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279855"/> <p xml:id="ID_1089" prev="#ID_1088"> entkomme», er hätte für sein Leben gerne den Fürsten Windischgrätz oder doch minde¬<lb/> stens Jellachich mit entführt, um ihn Kossuth als Siegestrophäe zu Füßen zu legen.<lb/> Dergleichen proponirte er mit der ruhigsten Miene von der Welt. Mylord sah ans, als<lb/> hätte er nie im Leben gescherzt; eine ungewöhnlich lange, nicht allzuhagere Gestalt von<lb/> athletischen Gliederbau, martialisches Gesicht, blonde Haare, ein kleiner rother Backen¬<lb/> bart, trockene Manieren, militärisch steife Bewegungen, rother goldverbrämter Rock;<lb/> ditto Mühe, Degen mit vergoldetem Korb und prachtvoller Scheide an der Seite.<lb/> Seine extravaganten Vorschläge konnten mich nicht irre machen, eben so wenig inipo-<lb/> nirte mir seine Ruhe nud Kaltblütigkeit. Wenn er Engländer war, bin ich Deutscher.<lb/> Ich ersuchte ihn einfach, seine Rolle fortzuspieleu wie bisher, seine amüsanten vor¬<lb/> nehmen Bekanntschaften zu cultiviren und für das Weitere mich sorgen zu lassen;<lb/> wenn's an der Zeit wäre, werde er schou von mir zu hören bekommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1090"> So trennten wir uns. Er ging in sein Hotel und ich schlich mich eine<lb/> Stunde später in meine Wohnung zurück. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1091"> Die nächsten Tage vergingen in rathloser Unthätigkeit. Pesth war durch die<lb/> ganze östreichische Armee — freilich unfreiwillig — so enge cernirt, daß ich nicht<lb/> daran denken durste, mit meiner englischen Contrebande-Waare durchzuschlüpfen.<lb/> Draußen am Ralph lagen die Oestreicher nud eine halbe Meile davon standen<lb/> die Vorposten der Unsrigen; täglich gab's Geplänkel, das zu nichts führte und in<lb/> stillen Morgenstunde» konnte ich einzelne Kanonenschüsse bis in meiner Stube un¬<lb/> terscheiden. In Pesth hieß es, die Ungar» erwarten nur Verstärkungen, um am<lb/> natos eine Entscheidungsschlacht zu schlagen, und Windischgräjz ziehe seine ganze<lb/> Macht zusammen, um sie anzunehmen. Ich schüttelte mein Haupt und lachte über<lb/> den Unsinn. Was sollten die Ungarn mit Pesth, das sie den Ofner Geschützen<lb/> Preis geben müßten, wenn sie die Schlacht am Rakos und Pesth selbst gewon¬<lb/> nen hätten! Was sollten sie in Pesth, das in wenig Stunden einem Trümmer-<lb/> Hansen gleich gesehen hätte? Mir ahnte es damals in meiner stillen Zurückgezo-<lb/> genheit, daß Görgcy deu Schlag gegen Wachen und die Kvmorner Straße<lb/> führen würde, führen müsse. Daß sich die östreichischen Generale durch die Plän¬<lb/> keleien unserer Husaren und durch die ausgedehnten Wachtfeuer des ungarischen<lb/> Lagers — von befreundeten Landleuten meilenweit unterhalten — so plump<lb/> hintergehen lasse» konnten, begreife ich heute »och uicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1092" next="#ID_1093"> Aber eben weil ich uicht hoffen durfte, die Ungarn so bald in Pesth ein¬<lb/> ziehen zu sehen, mußte ich ans unser Weiterkommen bedacht sein. Ich beschloß<lb/> mich von Mylord zu trennen, und ihn in einer andern Stadt wieder zu treffe».<lb/> Er sollte sich seinen Paß nach Stnhlwcißenburg visiren lasse«, unter dem Vor-<lb/> wande, einen kleinen Ausflug zum dortigen Corps zu machen, und mir verschaffte<lb/> ein Lieferant für die östreichische Armee einen Paß eben dorthin als seinem Ge¬<lb/> hilfen beim Licferungsgeschäft (nebstbei gesagt, war mein neuer Patron ein guter<lb/> Christ; es gab sehr viele Leute, die Schweinefleisch aßen, und doch als Lieferanten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
entkomme», er hätte für sein Leben gerne den Fürsten Windischgrätz oder doch minde¬
stens Jellachich mit entführt, um ihn Kossuth als Siegestrophäe zu Füßen zu legen.
Dergleichen proponirte er mit der ruhigsten Miene von der Welt. Mylord sah ans, als
hätte er nie im Leben gescherzt; eine ungewöhnlich lange, nicht allzuhagere Gestalt von
athletischen Gliederbau, martialisches Gesicht, blonde Haare, ein kleiner rother Backen¬
bart, trockene Manieren, militärisch steife Bewegungen, rother goldverbrämter Rock;
ditto Mühe, Degen mit vergoldetem Korb und prachtvoller Scheide an der Seite.
Seine extravaganten Vorschläge konnten mich nicht irre machen, eben so wenig inipo-
nirte mir seine Ruhe nud Kaltblütigkeit. Wenn er Engländer war, bin ich Deutscher.
Ich ersuchte ihn einfach, seine Rolle fortzuspieleu wie bisher, seine amüsanten vor¬
nehmen Bekanntschaften zu cultiviren und für das Weitere mich sorgen zu lassen;
wenn's an der Zeit wäre, werde er schou von mir zu hören bekommen.
So trennten wir uns. Er ging in sein Hotel und ich schlich mich eine
Stunde später in meine Wohnung zurück. —
Die nächsten Tage vergingen in rathloser Unthätigkeit. Pesth war durch die
ganze östreichische Armee — freilich unfreiwillig — so enge cernirt, daß ich nicht
daran denken durste, mit meiner englischen Contrebande-Waare durchzuschlüpfen.
Draußen am Ralph lagen die Oestreicher nud eine halbe Meile davon standen
die Vorposten der Unsrigen; täglich gab's Geplänkel, das zu nichts führte und in
stillen Morgenstunde» konnte ich einzelne Kanonenschüsse bis in meiner Stube un¬
terscheiden. In Pesth hieß es, die Ungar» erwarten nur Verstärkungen, um am
natos eine Entscheidungsschlacht zu schlagen, und Windischgräjz ziehe seine ganze
Macht zusammen, um sie anzunehmen. Ich schüttelte mein Haupt und lachte über
den Unsinn. Was sollten die Ungarn mit Pesth, das sie den Ofner Geschützen
Preis geben müßten, wenn sie die Schlacht am Rakos und Pesth selbst gewon¬
nen hätten! Was sollten sie in Pesth, das in wenig Stunden einem Trümmer-
Hansen gleich gesehen hätte? Mir ahnte es damals in meiner stillen Zurückgezo-
genheit, daß Görgcy deu Schlag gegen Wachen und die Kvmorner Straße
führen würde, führen müsse. Daß sich die östreichischen Generale durch die Plän¬
keleien unserer Husaren und durch die ausgedehnten Wachtfeuer des ungarischen
Lagers — von befreundeten Landleuten meilenweit unterhalten — so plump
hintergehen lasse» konnten, begreife ich heute »och uicht.
Aber eben weil ich uicht hoffen durfte, die Ungarn so bald in Pesth ein¬
ziehen zu sehen, mußte ich ans unser Weiterkommen bedacht sein. Ich beschloß
mich von Mylord zu trennen, und ihn in einer andern Stadt wieder zu treffe».
Er sollte sich seinen Paß nach Stnhlwcißenburg visiren lasse«, unter dem Vor-
wande, einen kleinen Ausflug zum dortigen Corps zu machen, und mir verschaffte
ein Lieferant für die östreichische Armee einen Paß eben dorthin als seinem Ge¬
hilfen beim Licferungsgeschäft (nebstbei gesagt, war mein neuer Patron ein guter
Christ; es gab sehr viele Leute, die Schweinefleisch aßen, und doch als Lieferanten
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