Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Genießenden, welche das Publikum der Kunst bilden, aus dem Schlendrian und Freilich haben wir noch wenig Gelegenheit, sie an den Kunstwerken der letz¬ Die Poesie ist die ärmste unter ihren Schwestern geworden, und der Buch¬ Genießenden, welche das Publikum der Kunst bilden, aus dem Schlendrian und Freilich haben wir noch wenig Gelegenheit, sie an den Kunstwerken der letz¬ Die Poesie ist die ärmste unter ihren Schwestern geworden, und der Buch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279578"/> <p xml:id="ID_90" prev="#ID_89"> Genießenden, welche das Publikum der Kunst bilden, aus dem Schlendrian und<lb/> ihrer alten nichtsnutzigen Behaglichkeit aufgescheucht, mit der Ahnung neuer und<lb/> größerer Interessen erfüllt und so für Kunstwerke im höhern Styl empfänglich<lb/> gemacht wurden. Wir wiederholen, eine große Erschütterung war nothwendig und<lb/> heilsam, anch für die Kunst, und trotz der unangenehmen Physiognomie, welche<lb/> gegenwärtig das deutsche Leben hat, können die segensreichen Wirkungen der Re¬<lb/> volution auf die Darstellung des Schönen schon jetzt nicht verkannt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_91"> Freilich haben wir noch wenig Gelegenheit, sie an den Kunstwerken der letz¬<lb/> ten Jahre und an der Wärme des Publikums für dieselben wahrzunehmen. Noch<lb/> haben wir nichts Anderes gewonnen, als den negativen Vortheil, daß eine Anzahl<lb/> von Kunstrichtungen, welche keine innere Berechtigung mehr hatten, schnell als nichtig<lb/> und unbefriedigend erkannt worden ist, so jene weichherzige Sentimentalität, welche<lb/> das Charakteristische in der Kunst vernichtet, jenes tändelnde Spielen mit glän¬<lb/> zenden Farben und unbestimmten Schattengestalten. Ja noch mehr, es ist in den<lb/> edlern Geistern der Nation, in Schaffenden und Genießenden, die Sehnsucht<lb/> und das Bedürfniß entstanden nach kräftiger Größe und körnigem Inhalt, und<lb/> die Kritik hat die Pflicht übernommen, einen neuen höhern Maßstab an den In¬<lb/> halt des Geschaffenen anzulegen. Aber freilich haben wir diesen Vortheilen gegen¬<lb/> über vorläufig Vieles von dem eingebüßt, was sonst dem Talent der schaffenden<lb/> fördernd entgegenkam. Die Künstler selbst haben an Muth verloren, ja die irdische<lb/> Existenz eiues großen Theils von ihnen ist in Frage gestellt und der großen<lb/> Masse des Publikums fehlt immer noch viel von dem Interesse, welches der<lb/> Künstler braucht. — Jetzt spinnen wir uns ein in das fester geschlossene Leben<lb/> des Winters, und die Zeit rückt heran, wo der Schlaf der Natur die Menschen<lb/> dichter zu einander drängt; die großen Städte füllen sich, die Theater schmücken<lb/> sich auf's Neue , ihre Wintergäste zu empfangen, die Säle der Kunstausstellungen<lb/> sind geöffnet und der Handel mit Kunstwerken beginnt, jetzt ist es an der Zeit,<lb/> einen schnellen Blick ans die Aussichten zu werfen, welche d«s geschäftliche Treiben<lb/> der Kunst in unserem Vaterland für diesen Winter hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_92" next="#ID_93"> Die Poesie ist die ärmste unter ihren Schwestern geworden, und der Buch¬<lb/> handel, welcher ihre Werke dem Leser in die Hand zu drücken hat, ringt ver-<lb/> zweiflungsvoll die Hände. Wenig Neues ist geschaffen worden, und das Ge¬<lb/> schaffene ist ohne Bedeutung. Schon vor der Revolution hatte die Lyrik wenig<lb/> Sympathien im deutschen Volk, was gelesen wurde, waren die politischen Lyriker<lb/> von 1840. — Wo ist jetzt Herwegh? Er sitzt auf irgend einer Insel des Ocean's<lb/> und vertrinkt die Niederlage», welche er als Mensch erlitten hat, in heißem Wein.<lb/> Seine Gedichte sind durch sein eigenes Thun der Lesewelt fremd, ja peinlich ge¬<lb/> worden. — Wo ist der fahrende Landsknecht unsrer Lyrik, der singlustige Meister<lb/> Hoffmann? Er setzt sich, wie man hört, in Meklenburg zur Ruhe und verheirathet<lb/> sich an das flache Land. Der Student singt seine Lieder noch, aber ihr Reiz ist</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
Genießenden, welche das Publikum der Kunst bilden, aus dem Schlendrian und
ihrer alten nichtsnutzigen Behaglichkeit aufgescheucht, mit der Ahnung neuer und
größerer Interessen erfüllt und so für Kunstwerke im höhern Styl empfänglich
gemacht wurden. Wir wiederholen, eine große Erschütterung war nothwendig und
heilsam, anch für die Kunst, und trotz der unangenehmen Physiognomie, welche
gegenwärtig das deutsche Leben hat, können die segensreichen Wirkungen der Re¬
volution auf die Darstellung des Schönen schon jetzt nicht verkannt werden.
Freilich haben wir noch wenig Gelegenheit, sie an den Kunstwerken der letz¬
ten Jahre und an der Wärme des Publikums für dieselben wahrzunehmen. Noch
haben wir nichts Anderes gewonnen, als den negativen Vortheil, daß eine Anzahl
von Kunstrichtungen, welche keine innere Berechtigung mehr hatten, schnell als nichtig
und unbefriedigend erkannt worden ist, so jene weichherzige Sentimentalität, welche
das Charakteristische in der Kunst vernichtet, jenes tändelnde Spielen mit glän¬
zenden Farben und unbestimmten Schattengestalten. Ja noch mehr, es ist in den
edlern Geistern der Nation, in Schaffenden und Genießenden, die Sehnsucht
und das Bedürfniß entstanden nach kräftiger Größe und körnigem Inhalt, und
die Kritik hat die Pflicht übernommen, einen neuen höhern Maßstab an den In¬
halt des Geschaffenen anzulegen. Aber freilich haben wir diesen Vortheilen gegen¬
über vorläufig Vieles von dem eingebüßt, was sonst dem Talent der schaffenden
fördernd entgegenkam. Die Künstler selbst haben an Muth verloren, ja die irdische
Existenz eiues großen Theils von ihnen ist in Frage gestellt und der großen
Masse des Publikums fehlt immer noch viel von dem Interesse, welches der
Künstler braucht. — Jetzt spinnen wir uns ein in das fester geschlossene Leben
des Winters, und die Zeit rückt heran, wo der Schlaf der Natur die Menschen
dichter zu einander drängt; die großen Städte füllen sich, die Theater schmücken
sich auf's Neue , ihre Wintergäste zu empfangen, die Säle der Kunstausstellungen
sind geöffnet und der Handel mit Kunstwerken beginnt, jetzt ist es an der Zeit,
einen schnellen Blick ans die Aussichten zu werfen, welche d«s geschäftliche Treiben
der Kunst in unserem Vaterland für diesen Winter hat.
Die Poesie ist die ärmste unter ihren Schwestern geworden, und der Buch¬
handel, welcher ihre Werke dem Leser in die Hand zu drücken hat, ringt ver-
zweiflungsvoll die Hände. Wenig Neues ist geschaffen worden, und das Ge¬
schaffene ist ohne Bedeutung. Schon vor der Revolution hatte die Lyrik wenig
Sympathien im deutschen Volk, was gelesen wurde, waren die politischen Lyriker
von 1840. — Wo ist jetzt Herwegh? Er sitzt auf irgend einer Insel des Ocean's
und vertrinkt die Niederlage», welche er als Mensch erlitten hat, in heißem Wein.
Seine Gedichte sind durch sein eigenes Thun der Lesewelt fremd, ja peinlich ge¬
worden. — Wo ist der fahrende Landsknecht unsrer Lyrik, der singlustige Meister
Hoffmann? Er setzt sich, wie man hört, in Meklenburg zur Ruhe und verheirathet
sich an das flache Land. Der Student singt seine Lieder noch, aber ihr Reiz ist
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