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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Gefahr bereite. Bald befand sich der Oberstlieutenant wie in einen Knäuel einge¬
sponnen und mußte fürchten, von den flehenden jungen Bauern, von denen je¬
der seine Kniee umarmen oder seine Hand küssen wollte, erdrückt zu werden. Das
Bitterwiderliche solcher Scenen läßt sich kaum beschreiben. Die barbarische Weise
des Druckes von Oben auf die unteren Schichten des Volkes, so wie der hündische
Sklavenstnu des Volkes, welcher sich unter diesem Drucke erzeugt hat, prägte sich
hier sehr häßlich ans. Der Oberstlieutenant wußte sich endlich nur dadurch zu
befreien, daß er mit der Säbelscheide zwischen die entblößten Häupter der wehe-
und bitte schreienden Militärpflichtiger schlug. Allein so empfindlich dieses Mittel
war, so schien es doch nicht auszureichen. Die Bauern duldeten die Schläge,
als ob sie ihnen gar keinen Schmerz verursachten und hielten den Oberstlieutenant
knieend umringt, bis aus dessen Befehl sich endlich seine Gensdarmen in's Mittel
schlugen und den thränenfeuchten Knäuel anSeinandcrrissen.

In dem Speisesaale des sogenannten Palastes, einem großen, wüsten, nur
mit weißem Kalk übertünchten nud alles Schmuckes entbehrenden Zimmer, welches
mancher deutsche Pferdestall an Eleganz und Wohnlichkeit übertraf, schlug die
Commission alsbald ihre Werkstätte auf. Die Schreiber versahen sich mit Papier
und Feder und schrieben die Liste der zur Stellung Verpflichteten zwei Mal ab.
Das war ihre ganze Thätigkeit, so daß ich argwöhnte, ihre Gegenwart habe nur
den Zweck, sie die reiche Küche des polnischen Edelmanns mitgcnicßcn zu lassen.

Die geheimen Verhandlungen, welche einige Grundherren, die zugleich mit
ihren Bauern eingetroffen waren, mit dem Oberstlieutenant angesponnen hatten,
hielten den Anfang des Geschäftes noch mehrere Stunden ans. Der russische Offi¬
zier und die Edelleute hatten sich in ein Seitenzünmer begeben und schlössen da
förmliche Verträge über die Befreiung derjenigen militärpflichtigen Personen,
welche die Edelleute gern behalten wollten. Die Erfüllung deö Wunsches der
Bittsteller hing ganz vou dem Geldopfer ab, welches sie darzubringen Lust hatte".
Man bezahlte dem russischen Offizier den freundliche" Dienst ^u" Mann mit einem
Dukaten, auch mit einem Louisd'or; ja, der Graf drückte ihm sogar für das Ver¬
sprechen, anch diesmal seine" Neffen zu verschonen, 1,0 Dukaten in die Hand.
Ein gleiches Opfer hatte der Graf für dieselbe Pcrsv" bereits bei zwei frühere"
Co"scriptione" gebracht. Dieser Bestechungsact, welcher bei jeder russischen Con-
scription das Vorspiel bildet, wurde mit förmlichem Amtstakt ausgeführt. Die
Edelleute leiteten mit wenigen Worten ihre Bitte ein, gaben die Name"
der Militärpflichtiger, für, welche sie sich verwendete", an, überreichten ziem¬
lich ungenirt die Belohnung und der Oberstlieutenant machte auf seiner Liste bei
den bezeichneten Namen seiue Bemerkung. ES kam sogar vor, daß der Oberst¬
lieutenant einem Bittsteller, Namens W. *) -mit der Miene eines geschäftöbcgierigen



*) Im Manuscript sind die Namen ausgeschrieben; aus naheliegenden Gründen verschwei¬
Anm. d. Red. gen wir sie.

Gefahr bereite. Bald befand sich der Oberstlieutenant wie in einen Knäuel einge¬
sponnen und mußte fürchten, von den flehenden jungen Bauern, von denen je¬
der seine Kniee umarmen oder seine Hand küssen wollte, erdrückt zu werden. Das
Bitterwiderliche solcher Scenen läßt sich kaum beschreiben. Die barbarische Weise
des Druckes von Oben auf die unteren Schichten des Volkes, so wie der hündische
Sklavenstnu des Volkes, welcher sich unter diesem Drucke erzeugt hat, prägte sich
hier sehr häßlich ans. Der Oberstlieutenant wußte sich endlich nur dadurch zu
befreien, daß er mit der Säbelscheide zwischen die entblößten Häupter der wehe-
und bitte schreienden Militärpflichtiger schlug. Allein so empfindlich dieses Mittel
war, so schien es doch nicht auszureichen. Die Bauern duldeten die Schläge,
als ob sie ihnen gar keinen Schmerz verursachten und hielten den Oberstlieutenant
knieend umringt, bis aus dessen Befehl sich endlich seine Gensdarmen in's Mittel
schlugen und den thränenfeuchten Knäuel anSeinandcrrissen.

In dem Speisesaale des sogenannten Palastes, einem großen, wüsten, nur
mit weißem Kalk übertünchten nud alles Schmuckes entbehrenden Zimmer, welches
mancher deutsche Pferdestall an Eleganz und Wohnlichkeit übertraf, schlug die
Commission alsbald ihre Werkstätte auf. Die Schreiber versahen sich mit Papier
und Feder und schrieben die Liste der zur Stellung Verpflichteten zwei Mal ab.
Das war ihre ganze Thätigkeit, so daß ich argwöhnte, ihre Gegenwart habe nur
den Zweck, sie die reiche Küche des polnischen Edelmanns mitgcnicßcn zu lassen.

Die geheimen Verhandlungen, welche einige Grundherren, die zugleich mit
ihren Bauern eingetroffen waren, mit dem Oberstlieutenant angesponnen hatten,
hielten den Anfang des Geschäftes noch mehrere Stunden ans. Der russische Offi¬
zier und die Edelleute hatten sich in ein Seitenzünmer begeben und schlössen da
förmliche Verträge über die Befreiung derjenigen militärpflichtigen Personen,
welche die Edelleute gern behalten wollten. Die Erfüllung deö Wunsches der
Bittsteller hing ganz vou dem Geldopfer ab, welches sie darzubringen Lust hatte».
Man bezahlte dem russischen Offizier den freundliche» Dienst ^u» Mann mit einem
Dukaten, auch mit einem Louisd'or; ja, der Graf drückte ihm sogar für das Ver¬
sprechen, anch diesmal seine» Neffen zu verschonen, 1,0 Dukaten in die Hand.
Ein gleiches Opfer hatte der Graf für dieselbe Pcrsv» bereits bei zwei frühere»
Co»scriptione» gebracht. Dieser Bestechungsact, welcher bei jeder russischen Con-
scription das Vorspiel bildet, wurde mit förmlichem Amtstakt ausgeführt. Die
Edelleute leiteten mit wenigen Worten ihre Bitte ein, gaben die Name»
der Militärpflichtiger, für, welche sie sich verwendete», an, überreichten ziem¬
lich ungenirt die Belohnung und der Oberstlieutenant machte auf seiner Liste bei
den bezeichneten Namen seiue Bemerkung. ES kam sogar vor, daß der Oberst¬
lieutenant einem Bittsteller, Namens W. *) -mit der Miene eines geschäftöbcgierigen



*) Im Manuscript sind die Namen ausgeschrieben; aus naheliegenden Gründen verschwei¬
Anm. d. Red. gen wir sie.
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[0295] Gefahr bereite. Bald befand sich der Oberstlieutenant wie in einen Knäuel einge¬ sponnen und mußte fürchten, von den flehenden jungen Bauern, von denen je¬ der seine Kniee umarmen oder seine Hand küssen wollte, erdrückt zu werden. Das Bitterwiderliche solcher Scenen läßt sich kaum beschreiben. Die barbarische Weise des Druckes von Oben auf die unteren Schichten des Volkes, so wie der hündische Sklavenstnu des Volkes, welcher sich unter diesem Drucke erzeugt hat, prägte sich hier sehr häßlich ans. Der Oberstlieutenant wußte sich endlich nur dadurch zu befreien, daß er mit der Säbelscheide zwischen die entblößten Häupter der wehe- und bitte schreienden Militärpflichtiger schlug. Allein so empfindlich dieses Mittel war, so schien es doch nicht auszureichen. Die Bauern duldeten die Schläge, als ob sie ihnen gar keinen Schmerz verursachten und hielten den Oberstlieutenant knieend umringt, bis aus dessen Befehl sich endlich seine Gensdarmen in's Mittel schlugen und den thränenfeuchten Knäuel anSeinandcrrissen. In dem Speisesaale des sogenannten Palastes, einem großen, wüsten, nur mit weißem Kalk übertünchten nud alles Schmuckes entbehrenden Zimmer, welches mancher deutsche Pferdestall an Eleganz und Wohnlichkeit übertraf, schlug die Commission alsbald ihre Werkstätte auf. Die Schreiber versahen sich mit Papier und Feder und schrieben die Liste der zur Stellung Verpflichteten zwei Mal ab. Das war ihre ganze Thätigkeit, so daß ich argwöhnte, ihre Gegenwart habe nur den Zweck, sie die reiche Küche des polnischen Edelmanns mitgcnicßcn zu lassen. Die geheimen Verhandlungen, welche einige Grundherren, die zugleich mit ihren Bauern eingetroffen waren, mit dem Oberstlieutenant angesponnen hatten, hielten den Anfang des Geschäftes noch mehrere Stunden ans. Der russische Offi¬ zier und die Edelleute hatten sich in ein Seitenzünmer begeben und schlössen da förmliche Verträge über die Befreiung derjenigen militärpflichtigen Personen, welche die Edelleute gern behalten wollten. Die Erfüllung deö Wunsches der Bittsteller hing ganz vou dem Geldopfer ab, welches sie darzubringen Lust hatte». Man bezahlte dem russischen Offizier den freundliche» Dienst ^u» Mann mit einem Dukaten, auch mit einem Louisd'or; ja, der Graf drückte ihm sogar für das Ver¬ sprechen, anch diesmal seine» Neffen zu verschonen, 1,0 Dukaten in die Hand. Ein gleiches Opfer hatte der Graf für dieselbe Pcrsv» bereits bei zwei frühere» Co»scriptione» gebracht. Dieser Bestechungsact, welcher bei jeder russischen Con- scription das Vorspiel bildet, wurde mit förmlichem Amtstakt ausgeführt. Die Edelleute leiteten mit wenigen Worten ihre Bitte ein, gaben die Name» der Militärpflichtiger, für, welche sie sich verwendete», an, überreichten ziem¬ lich ungenirt die Belohnung und der Oberstlieutenant machte auf seiner Liste bei den bezeichneten Namen seiue Bemerkung. ES kam sogar vor, daß der Oberst¬ lieutenant einem Bittsteller, Namens W. *) -mit der Miene eines geschäftöbcgierigen *) Im Manuscript sind die Namen ausgeschrieben; aus naheliegenden Gründen verschwei¬ Anm. d. Red. gen wir sie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/295>, abgerufen am 15.01.2025.