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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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wohl gar sein Vorgesetzter wird; wenn er endlich -- schrecklicher Gedanke! -- der¬
selben Grisette die Cour macht, als der Kavalier von 36 Ahnen -- dann wird
die Verachtung, die man gegen das unedle Blut nothwendig empfindet, zum Haß
gegen die Impertinenz, mit der es aus seinem Kreise heraustritt, Der Pöbel
wird Bourgeois. Bourgeois ist in den Angen des Edelmanns die Canaille,
welche es vergessen hat, daß sie Canaille ist.

Wir wollen einen zweiten Ehrenmann betrachten, wieder einen Vertheidiger
von Thron und Altar, einen Heiligen mit jungfräulich gescheitelten Haaren und
dem himmelwärts schauenden Jvhanncsblick. Für den Heiligen ist jeder Erden¬
mensch ein "Madensack," wie sich Luther ausdrückt, d. h. Canaille; "sein Ver¬
stand ist voller Finsternisse, und wo er am hellsten zu sein glaubt, Gott am fein-
desten." Aber er macht doch einen Unterschied. Der blinde Haufe, welcher heute
irgend einem Demagogen folgt, die Heiligenbilder zerschlägt, die Kirchen anzündet,
die Geistlichen strangulirt, er ist zwar in seiner Erscheinung kein Muster, er ist
so sehr Bestie, als man es nnr sein kann, aber eben darum ist er ein süßer
Bissen sür den Herrn. Wer in Elend lebt, wer noch nicht im Staude ist, die
Freiheit eines an der Wissenschaft geschulten Verstandes den heiligen Offenbarungen
entgegenzusetzen, welche ein Wohlgeruch sind frommen Herzen, aber ein Gestank
der hochmüthigen Weltweisheit; wer das Bedürfniß hat., sich in der Masse zu
verlieren, und seine Leidenschaft, die einzige Weise, in der er producirt, aus den
Predigten eines höheren Geistes zu fangen -- er ist das Rüstzeug der göttlichen
Barmherzigkeit! Nicht umsonst haben der Ubbo Genoude und seine Freunde, die
Jesuiten, sür das allgemeine Stimmrecht geeifert. Die Masse will sich imponiren
lassen, und wird dem Pater so gut gehorchen, wenn er nur die Lunge hat, als
dem (?omni8 vo^n^oui- der Freiheit. -- Auch der Adel steht mit der Kirche gut;
er ist zwar hochmüthig im Leben, aber devot im Beichtstuhl; er wird "den Glau¬
ben seiner Väter" vertheidigen, auch wenn sein Verstand und sein Gemüth sich
ihm entzogen hat, er wird ihn vertheidigen aus nome. "I'I,o""vur, ans Erinnerung
an die Kreuzzüge, und aus Schicklichteitsrückstchten gegen den Hos. -- Anders
ist es mit dem Bourgeois. Ein Mann, der sicher ist in seinem irdischen Streben,
unverdrossen und einsichtsvoll in seiner Arbeit, klar über die Mittel zu seinem
Glück -- wie soll er zu dem Gefühl der Zerknirschung und der Selbstverachtung
kommen, ohne die eine intensive Frömmigkeit nicht gedeiht? Wahrlich ich sage euch,
eher wird ein Kameel durch ein Nadelöhr gehen, als ein Bourgeois in's Himmel¬
reich! Wie soll der eingebildete Gelehrte sich vor dem Heiligen in den Stand
beugen, dem er jeden Augenblick nicht nnr Verschrobenheit in seinen Ansichten,
sondern auch Lückenhaftigkeit in seiner Bildung, Rohheit in seinem Ausdruck nach¬
weisen kann? der Gelehrte, der die Gespensterfurcht dnrch das Studium der Natur
überwunden, den Aberglauben durch Geschichte und Philosophie nicht nnr wider¬
legt, sondern auch analytisch begriffen hat? der dem Propheten überall nachweisen


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wohl gar sein Vorgesetzter wird; wenn er endlich — schrecklicher Gedanke! — der¬
selben Grisette die Cour macht, als der Kavalier von 36 Ahnen — dann wird
die Verachtung, die man gegen das unedle Blut nothwendig empfindet, zum Haß
gegen die Impertinenz, mit der es aus seinem Kreise heraustritt, Der Pöbel
wird Bourgeois. Bourgeois ist in den Angen des Edelmanns die Canaille,
welche es vergessen hat, daß sie Canaille ist.

Wir wollen einen zweiten Ehrenmann betrachten, wieder einen Vertheidiger
von Thron und Altar, einen Heiligen mit jungfräulich gescheitelten Haaren und
dem himmelwärts schauenden Jvhanncsblick. Für den Heiligen ist jeder Erden¬
mensch ein „Madensack," wie sich Luther ausdrückt, d. h. Canaille; „sein Ver¬
stand ist voller Finsternisse, und wo er am hellsten zu sein glaubt, Gott am fein-
desten." Aber er macht doch einen Unterschied. Der blinde Haufe, welcher heute
irgend einem Demagogen folgt, die Heiligenbilder zerschlägt, die Kirchen anzündet,
die Geistlichen strangulirt, er ist zwar in seiner Erscheinung kein Muster, er ist
so sehr Bestie, als man es nnr sein kann, aber eben darum ist er ein süßer
Bissen sür den Herrn. Wer in Elend lebt, wer noch nicht im Staude ist, die
Freiheit eines an der Wissenschaft geschulten Verstandes den heiligen Offenbarungen
entgegenzusetzen, welche ein Wohlgeruch sind frommen Herzen, aber ein Gestank
der hochmüthigen Weltweisheit; wer das Bedürfniß hat., sich in der Masse zu
verlieren, und seine Leidenschaft, die einzige Weise, in der er producirt, aus den
Predigten eines höheren Geistes zu fangen — er ist das Rüstzeug der göttlichen
Barmherzigkeit! Nicht umsonst haben der Ubbo Genoude und seine Freunde, die
Jesuiten, sür das allgemeine Stimmrecht geeifert. Die Masse will sich imponiren
lassen, und wird dem Pater so gut gehorchen, wenn er nur die Lunge hat, als
dem (?omni8 vo^n^oui- der Freiheit. -- Auch der Adel steht mit der Kirche gut;
er ist zwar hochmüthig im Leben, aber devot im Beichtstuhl; er wird „den Glau¬
ben seiner Väter" vertheidigen, auch wenn sein Verstand und sein Gemüth sich
ihm entzogen hat, er wird ihn vertheidigen aus nome. «I'I,o»»vur, ans Erinnerung
an die Kreuzzüge, und aus Schicklichteitsrückstchten gegen den Hos. — Anders
ist es mit dem Bourgeois. Ein Mann, der sicher ist in seinem irdischen Streben,
unverdrossen und einsichtsvoll in seiner Arbeit, klar über die Mittel zu seinem
Glück — wie soll er zu dem Gefühl der Zerknirschung und der Selbstverachtung
kommen, ohne die eine intensive Frömmigkeit nicht gedeiht? Wahrlich ich sage euch,
eher wird ein Kameel durch ein Nadelöhr gehen, als ein Bourgeois in's Himmel¬
reich! Wie soll der eingebildete Gelehrte sich vor dem Heiligen in den Stand
beugen, dem er jeden Augenblick nicht nnr Verschrobenheit in seinen Ansichten,
sondern auch Lückenhaftigkeit in seiner Bildung, Rohheit in seinem Ausdruck nach¬
weisen kann? der Gelehrte, der die Gespensterfurcht dnrch das Studium der Natur
überwunden, den Aberglauben durch Geschichte und Philosophie nicht nnr wider¬
legt, sondern auch analytisch begriffen hat? der dem Propheten überall nachweisen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/286>, abgerufen am 15.01.2025.