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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Jakob et, und Jakobek die Mutter des Maczek. So wurde Maczek Jakobeks
Vater und Jakobek der Vater Maczeks. Das Unsittliche eines solchen Verhält¬
nisses ward empfunden. Aber der Wunsch, Vater zu werden, treibt noch weiter.
Der Militärpflichtige, welcher keine Wittwe senden kann, sucht mit gleicher Be¬
gierde nach einem Mädchen, welches bereits Mutter ist oder wenigstens die sichere
Hoffnung hat, diese Würde nächstens zu erreichen. Wer diese Wahrscheinlichkeit
herbeigeführt, ist eine Frage, die ihm keinen Kummer verursacht. Man sollte ver¬
muthen, daß unter solchen Umständen die Unschuld keines ländlichen Mädchens län¬
ger als bis zu den Jahren der Jungfräulichkeit bewahrt bleibe. Und doch ist dies
nicht der Fall; trotz aller Rohheit herrscht bei den jugendlichen Personen, in den
niederen Klassen der Landbewohner ein lebhaftes sittliches Gefühl, es kommt zum
Beispiel fast nie vor -- und mir ist bei meinem langen Aufenthalte im Norden
kein einziger Fall dieser Art bekannt geworden -- daß ein Mädchen durch einen
Bauerburschen ihren Kranz verlöre. Dagegen bleiben die jungen Mädchen, welche
allzweijährlich für den Dienst im edelherrlichen "Palaste," wie Rekruten, aufge-
hoben werden, fast nie im Rechte aus den Myrtenkranz.

Diese im "Palaste" dienenden Mädchen bilden wegen der Gewißheit oder
Gewöhnlichkeit ihres Falles nnter den übrigen Landmädchen förmlich eine beson¬
dere Klasse, und diese ist, wie erwähnt, bei den jungen Mannspersonen des
Bauernstandes wegen ihrer Militärvbliegenheit sehr geschätzt. Fast nie verläßt
ein solches Mädchen den Palast, ohne jenseit der Schwelle von einem Freier em¬
pfangen "ud sogleich zum Altar geführt zu werden. Oft freilich ist dieser vom
Herrn dazu befehligt.

Die Jmmoralität der Edelleute zeigt sich bei solchen Verhältnissen oft in em¬
pörender Rohheit. Der Graf K. W. z. B., dessen sehr ausgedehnte Besitzungen
in den Pilicacbenen liegen, machte ein 15jähriges Mädchen zu seiner Stnbendie-
uerin, welche die leibliche Tochter seines Vaters und von diesem als Tochter so
gut wie anerkannt war, denn der selige Herr hatte dieses Kind nicht wie seine
übrigen unehelichen Kinder der bäuerischen Mutter überlassen, sondern anfangs
im Fiudelhause zu Warschau, später in seinem eigenen Hause erziehen lassen. Sein
Sohn, der Graf K. W. wußte das, allein er erkannte sie nicht als Schwester,
sondern nur als Leibeigene an. Das Mädchen aber, obschon es sich willenlos den
Befehlen des Grafen fügte, war nicht unempfindlich gegen die Unnatur ihres Ver¬
hältnisses. Sie war bisweilen von Tiefsinn befallen und schlich stundenlang wei¬
nend umher. Ein Aehnliches läßt sich von dem Grafen K. W, dem Bruder des
Erwähnten erzählen. Im Jahre 1837 wurde eine außereheliche Tochter von ihm
mit anderen Banermädcheu im Palaste zu dienen gezwungen und der Schlingel
von Vater fand keinen Grund, sie anders zu behandeln, als er die übrigen be¬
handelte. Ja, sie wurde sein Liebling. -- Dergleichen ist aber weder in Polen


Jakob et, und Jakobek die Mutter des Maczek. So wurde Maczek Jakobeks
Vater und Jakobek der Vater Maczeks. Das Unsittliche eines solchen Verhält¬
nisses ward empfunden. Aber der Wunsch, Vater zu werden, treibt noch weiter.
Der Militärpflichtige, welcher keine Wittwe senden kann, sucht mit gleicher Be¬
gierde nach einem Mädchen, welches bereits Mutter ist oder wenigstens die sichere
Hoffnung hat, diese Würde nächstens zu erreichen. Wer diese Wahrscheinlichkeit
herbeigeführt, ist eine Frage, die ihm keinen Kummer verursacht. Man sollte ver¬
muthen, daß unter solchen Umständen die Unschuld keines ländlichen Mädchens län¬
ger als bis zu den Jahren der Jungfräulichkeit bewahrt bleibe. Und doch ist dies
nicht der Fall; trotz aller Rohheit herrscht bei den jugendlichen Personen, in den
niederen Klassen der Landbewohner ein lebhaftes sittliches Gefühl, es kommt zum
Beispiel fast nie vor — und mir ist bei meinem langen Aufenthalte im Norden
kein einziger Fall dieser Art bekannt geworden — daß ein Mädchen durch einen
Bauerburschen ihren Kranz verlöre. Dagegen bleiben die jungen Mädchen, welche
allzweijährlich für den Dienst im edelherrlichen „Palaste," wie Rekruten, aufge-
hoben werden, fast nie im Rechte aus den Myrtenkranz.

Diese im „Palaste" dienenden Mädchen bilden wegen der Gewißheit oder
Gewöhnlichkeit ihres Falles nnter den übrigen Landmädchen förmlich eine beson¬
dere Klasse, und diese ist, wie erwähnt, bei den jungen Mannspersonen des
Bauernstandes wegen ihrer Militärvbliegenheit sehr geschätzt. Fast nie verläßt
ein solches Mädchen den Palast, ohne jenseit der Schwelle von einem Freier em¬
pfangen »ud sogleich zum Altar geführt zu werden. Oft freilich ist dieser vom
Herrn dazu befehligt.

Die Jmmoralität der Edelleute zeigt sich bei solchen Verhältnissen oft in em¬
pörender Rohheit. Der Graf K. W. z. B., dessen sehr ausgedehnte Besitzungen
in den Pilicacbenen liegen, machte ein 15jähriges Mädchen zu seiner Stnbendie-
uerin, welche die leibliche Tochter seines Vaters und von diesem als Tochter so
gut wie anerkannt war, denn der selige Herr hatte dieses Kind nicht wie seine
übrigen unehelichen Kinder der bäuerischen Mutter überlassen, sondern anfangs
im Fiudelhause zu Warschau, später in seinem eigenen Hause erziehen lassen. Sein
Sohn, der Graf K. W. wußte das, allein er erkannte sie nicht als Schwester,
sondern nur als Leibeigene an. Das Mädchen aber, obschon es sich willenlos den
Befehlen des Grafen fügte, war nicht unempfindlich gegen die Unnatur ihres Ver¬
hältnisses. Sie war bisweilen von Tiefsinn befallen und schlich stundenlang wei¬
nend umher. Ein Aehnliches läßt sich von dem Grafen K. W, dem Bruder des
Erwähnten erzählen. Im Jahre 1837 wurde eine außereheliche Tochter von ihm
mit anderen Banermädcheu im Palaste zu dienen gezwungen und der Schlingel
von Vater fand keinen Grund, sie anders zu behandeln, als er die übrigen be¬
handelte. Ja, sie wurde sein Liebling. — Dergleichen ist aber weder in Polen


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[0274] Jakob et, und Jakobek die Mutter des Maczek. So wurde Maczek Jakobeks Vater und Jakobek der Vater Maczeks. Das Unsittliche eines solchen Verhält¬ nisses ward empfunden. Aber der Wunsch, Vater zu werden, treibt noch weiter. Der Militärpflichtige, welcher keine Wittwe senden kann, sucht mit gleicher Be¬ gierde nach einem Mädchen, welches bereits Mutter ist oder wenigstens die sichere Hoffnung hat, diese Würde nächstens zu erreichen. Wer diese Wahrscheinlichkeit herbeigeführt, ist eine Frage, die ihm keinen Kummer verursacht. Man sollte ver¬ muthen, daß unter solchen Umständen die Unschuld keines ländlichen Mädchens län¬ ger als bis zu den Jahren der Jungfräulichkeit bewahrt bleibe. Und doch ist dies nicht der Fall; trotz aller Rohheit herrscht bei den jugendlichen Personen, in den niederen Klassen der Landbewohner ein lebhaftes sittliches Gefühl, es kommt zum Beispiel fast nie vor — und mir ist bei meinem langen Aufenthalte im Norden kein einziger Fall dieser Art bekannt geworden — daß ein Mädchen durch einen Bauerburschen ihren Kranz verlöre. Dagegen bleiben die jungen Mädchen, welche allzweijährlich für den Dienst im edelherrlichen „Palaste," wie Rekruten, aufge- hoben werden, fast nie im Rechte aus den Myrtenkranz. Diese im „Palaste" dienenden Mädchen bilden wegen der Gewißheit oder Gewöhnlichkeit ihres Falles nnter den übrigen Landmädchen förmlich eine beson¬ dere Klasse, und diese ist, wie erwähnt, bei den jungen Mannspersonen des Bauernstandes wegen ihrer Militärvbliegenheit sehr geschätzt. Fast nie verläßt ein solches Mädchen den Palast, ohne jenseit der Schwelle von einem Freier em¬ pfangen »ud sogleich zum Altar geführt zu werden. Oft freilich ist dieser vom Herrn dazu befehligt. Die Jmmoralität der Edelleute zeigt sich bei solchen Verhältnissen oft in em¬ pörender Rohheit. Der Graf K. W. z. B., dessen sehr ausgedehnte Besitzungen in den Pilicacbenen liegen, machte ein 15jähriges Mädchen zu seiner Stnbendie- uerin, welche die leibliche Tochter seines Vaters und von diesem als Tochter so gut wie anerkannt war, denn der selige Herr hatte dieses Kind nicht wie seine übrigen unehelichen Kinder der bäuerischen Mutter überlassen, sondern anfangs im Fiudelhause zu Warschau, später in seinem eigenen Hause erziehen lassen. Sein Sohn, der Graf K. W. wußte das, allein er erkannte sie nicht als Schwester, sondern nur als Leibeigene an. Das Mädchen aber, obschon es sich willenlos den Befehlen des Grafen fügte, war nicht unempfindlich gegen die Unnatur ihres Ver¬ hältnisses. Sie war bisweilen von Tiefsinn befallen und schlich stundenlang wei¬ nend umher. Ein Aehnliches läßt sich von dem Grafen K. W, dem Bruder des Erwähnten erzählen. Im Jahre 1837 wurde eine außereheliche Tochter von ihm mit anderen Banermädcheu im Palaste zu dienen gezwungen und der Schlingel von Vater fand keinen Grund, sie anders zu behandeln, als er die übrigen be¬ handelte. Ja, sie wurde sein Liebling. — Dergleichen ist aber weder in Polen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/274>, abgerufen am 15.01.2025.