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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Bänke, aber die unsern sind auch nicht mit Saffian gepolstert. -- Verzeihen Sie,
ich muß nach meinem Gepäck sehen, sagte der Geistliche. -- Dem hab' ich's ein¬
mal ans Deutsch gesagt, rief der arme Schullehrer, auf den rasch Forteilenden
deutend, n"d rieb sich, ganz erstaunt, ganz entzückt über seine eigene Kühnheit,
die Hände. Dann strich er sein Haar aus der erhitzten Stirn und sagte: Ich
seh nicht ein; hier ist kein Belagerungszustand, warum soll ich ein Blatt vor den
Mund nehmen?! --

Kling, kling! rief die Glocke. Das Boot drehte sich leicht wie eine Tänze¬
rin in der Mitte des Stromes herum und schob dem rechten User zu, wo ein
Dörfchen und das Schindeldach eines niedern Kirchthurms hinter einem Wein¬
berge vvrgnckteu. Der Geistliche drängte sich durch die Menge, ich war begierig,
er allein aufsteigen werde. Wie ich in die Kaji'ete hinabkam, lag der Schul-
lehrer auf einem Knie zu Füßen der Madonna, die mit zitternder Stimme ihn
beschwor, sich nicht um ihretwillen zu bemühen. -- Nanny, wo bleibst Dn? rief
der Geistliche herab. Sie nahm einen Haufen Blättchen aus der Hand des jun¬
gen Maunes und eilte hinauf. -- El, sagte ich mit aufgehobenem Zeigefinger-,
Sie mache" aus Bosheit gegen den Hochwürdigen seiner Gefährtin den Hof? --
-vZch? entgegnete er. Eher verhungern als einer katholischen Pfarrerin die Hand
Müssen. Die eingelegten Heiligen- und Marienbildchcn waren ihr ans dem Ge¬
betbuch gefallen und ich raffte sie ihr zusammen. -- Geben Sie nnr Acht, daß
Sie sich in das lebendige Mariengcsicht nicht verlieben. -- Mariengesicht? lachte

Wie ein hübsches Stubenmädel sieht sie ans und hat einen Anflug von
Schnurrbärtchen auf der Lippe. Kommen Sie. -- In diesem Augenblick flog die
Dame uns noch einmal entgegen. Bitte tausendmal um Entschuldigung, flehte
^e; ich habe Shawl und Mantel unter. -- Der Schullehrer sprang mit einem
Sich nach den vermißten Gegenständen. Im Borübcrgchen überzeugte ich mich

dem richtigen Blick meines Reisegefährte"; ihre sprechenden nußbranueu Augen
ließen mich aber doch für sein Herz fürchten. Endlich kam er, Shawl und Man¬
gel überreichend, der Geistliche winkte ihr ungeduldig fort und sagte: Sie sind
^i)r freundlich gegen meine Nichte, -- das letzte Wort betonend.

Auf dem Verdeck hatte die Gesellschaft Spalier gebildet und das arme Mäd-
mußte zwischen den wißgierigen Blicken alter und junger Herren Spießruthen
müsen. Ich glaubte durch den grünen Schleier hindurch eine tiefe Nöthe auf
Hrem Gesicht zu bemerken. Der Hochwürdige ging rasch voraus und reichte ihr
'^ehe einmal die Hand, als sie über das schmale, schwanke Landungsbrett trippelte.
^7 Sie ist seine Nichte, sagte ich lant, zur Antwort auf das lachende Gesicht
ospini's. -- Und wann auch uicht, entgegnete der Parfümeriehändler; so'n
^'wer Geistlicher ist ja auch ein Mensch. -- Fragt sich noch, brummte der Schul-


^ttnzbvteil. IV. 184". 34

Bänke, aber die unsern sind auch nicht mit Saffian gepolstert. — Verzeihen Sie,
ich muß nach meinem Gepäck sehen, sagte der Geistliche. — Dem hab' ich's ein¬
mal ans Deutsch gesagt, rief der arme Schullehrer, auf den rasch Forteilenden
deutend, n»d rieb sich, ganz erstaunt, ganz entzückt über seine eigene Kühnheit,
die Hände. Dann strich er sein Haar aus der erhitzten Stirn und sagte: Ich
seh nicht ein; hier ist kein Belagerungszustand, warum soll ich ein Blatt vor den
Mund nehmen?! —

Kling, kling! rief die Glocke. Das Boot drehte sich leicht wie eine Tänze¬
rin in der Mitte des Stromes herum und schob dem rechten User zu, wo ein
Dörfchen und das Schindeldach eines niedern Kirchthurms hinter einem Wein¬
berge vvrgnckteu. Der Geistliche drängte sich durch die Menge, ich war begierig,
er allein aufsteigen werde. Wie ich in die Kaji'ete hinabkam, lag der Schul-
lehrer auf einem Knie zu Füßen der Madonna, die mit zitternder Stimme ihn
beschwor, sich nicht um ihretwillen zu bemühen. — Nanny, wo bleibst Dn? rief
der Geistliche herab. Sie nahm einen Haufen Blättchen aus der Hand des jun¬
gen Maunes und eilte hinauf. — El, sagte ich mit aufgehobenem Zeigefinger-,
Sie mache» aus Bosheit gegen den Hochwürdigen seiner Gefährtin den Hof? —
-vZch? entgegnete er. Eher verhungern als einer katholischen Pfarrerin die Hand
Müssen. Die eingelegten Heiligen- und Marienbildchcn waren ihr ans dem Ge¬
betbuch gefallen und ich raffte sie ihr zusammen. — Geben Sie nnr Acht, daß
Sie sich in das lebendige Mariengcsicht nicht verlieben. — Mariengesicht? lachte

Wie ein hübsches Stubenmädel sieht sie ans und hat einen Anflug von
Schnurrbärtchen auf der Lippe. Kommen Sie. — In diesem Augenblick flog die
Dame uns noch einmal entgegen. Bitte tausendmal um Entschuldigung, flehte
^e; ich habe Shawl und Mantel unter. — Der Schullehrer sprang mit einem
Sich nach den vermißten Gegenständen. Im Borübcrgchen überzeugte ich mich

dem richtigen Blick meines Reisegefährte»; ihre sprechenden nußbranueu Augen
ließen mich aber doch für sein Herz fürchten. Endlich kam er, Shawl und Man¬
gel überreichend, der Geistliche winkte ihr ungeduldig fort und sagte: Sie sind
^i)r freundlich gegen meine Nichte, — das letzte Wort betonend.

Auf dem Verdeck hatte die Gesellschaft Spalier gebildet und das arme Mäd-
mußte zwischen den wißgierigen Blicken alter und junger Herren Spießruthen
müsen. Ich glaubte durch den grünen Schleier hindurch eine tiefe Nöthe auf
Hrem Gesicht zu bemerken. Der Hochwürdige ging rasch voraus und reichte ihr
'^ehe einmal die Hand, als sie über das schmale, schwanke Landungsbrett trippelte.
^7 Sie ist seine Nichte, sagte ich lant, zur Antwort auf das lachende Gesicht
ospini's. — Und wann auch uicht, entgegnete der Parfümeriehändler; so'n
^'wer Geistlicher ist ja auch ein Mensch. — Fragt sich noch, brummte der Schul-


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[0268] Bänke, aber die unsern sind auch nicht mit Saffian gepolstert. — Verzeihen Sie, ich muß nach meinem Gepäck sehen, sagte der Geistliche. — Dem hab' ich's ein¬ mal ans Deutsch gesagt, rief der arme Schullehrer, auf den rasch Forteilenden deutend, n»d rieb sich, ganz erstaunt, ganz entzückt über seine eigene Kühnheit, die Hände. Dann strich er sein Haar aus der erhitzten Stirn und sagte: Ich seh nicht ein; hier ist kein Belagerungszustand, warum soll ich ein Blatt vor den Mund nehmen?! — Kling, kling! rief die Glocke. Das Boot drehte sich leicht wie eine Tänze¬ rin in der Mitte des Stromes herum und schob dem rechten User zu, wo ein Dörfchen und das Schindeldach eines niedern Kirchthurms hinter einem Wein¬ berge vvrgnckteu. Der Geistliche drängte sich durch die Menge, ich war begierig, er allein aufsteigen werde. Wie ich in die Kaji'ete hinabkam, lag der Schul- lehrer auf einem Knie zu Füßen der Madonna, die mit zitternder Stimme ihn beschwor, sich nicht um ihretwillen zu bemühen. — Nanny, wo bleibst Dn? rief der Geistliche herab. Sie nahm einen Haufen Blättchen aus der Hand des jun¬ gen Maunes und eilte hinauf. — El, sagte ich mit aufgehobenem Zeigefinger-, Sie mache» aus Bosheit gegen den Hochwürdigen seiner Gefährtin den Hof? — -vZch? entgegnete er. Eher verhungern als einer katholischen Pfarrerin die Hand Müssen. Die eingelegten Heiligen- und Marienbildchcn waren ihr ans dem Ge¬ betbuch gefallen und ich raffte sie ihr zusammen. — Geben Sie nnr Acht, daß Sie sich in das lebendige Mariengcsicht nicht verlieben. — Mariengesicht? lachte Wie ein hübsches Stubenmädel sieht sie ans und hat einen Anflug von Schnurrbärtchen auf der Lippe. Kommen Sie. — In diesem Augenblick flog die Dame uns noch einmal entgegen. Bitte tausendmal um Entschuldigung, flehte ^e; ich habe Shawl und Mantel unter. — Der Schullehrer sprang mit einem Sich nach den vermißten Gegenständen. Im Borübcrgchen überzeugte ich mich dem richtigen Blick meines Reisegefährte»; ihre sprechenden nußbranueu Augen ließen mich aber doch für sein Herz fürchten. Endlich kam er, Shawl und Man¬ gel überreichend, der Geistliche winkte ihr ungeduldig fort und sagte: Sie sind ^i)r freundlich gegen meine Nichte, — das letzte Wort betonend. Auf dem Verdeck hatte die Gesellschaft Spalier gebildet und das arme Mäd- mußte zwischen den wißgierigen Blicken alter und junger Herren Spießruthen müsen. Ich glaubte durch den grünen Schleier hindurch eine tiefe Nöthe auf Hrem Gesicht zu bemerken. Der Hochwürdige ging rasch voraus und reichte ihr '^ehe einmal die Hand, als sie über das schmale, schwanke Landungsbrett trippelte. ^7 Sie ist seine Nichte, sagte ich lant, zur Antwort auf das lachende Gesicht ospini's. — Und wann auch uicht, entgegnete der Parfümeriehändler; so'n ^'wer Geistlicher ist ja auch ein Mensch. — Fragt sich noch, brummte der Schul- ^ttnzbvteil. IV. 184». 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/268>, abgerufen am 15.01.2025.