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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Reifetagebuch aus dem östreichischen Oberland.



. 2. Krummstab und Lineal.

(Schluß,)

Ein heftiger Gewitterregen trieb uns in die Kajüte des Dampfl'volch hinab.
Zufällig war es Essenszeit und der lange Tisch gedeckt. Wen sah ich am obern
Ende der Tafel thronen? Meinen Geistlichen, den Stammgast, aus dem schme¬
ckenden Wurm in Wien. Er aß mit Andacht, hielt die Augen sittsam auf den
Teller geheftet und verlor keine Silbe. Links von ihm saß ein Madvnnengesicht-
chen in Hut und Schleier; er erwies ihr nicht die gewöhnlichste Aufmerksamkeit.
Ein hübsches Ding! rief mein Nachbar leise; das Essen mündet noch einmal
so gut, wenn so'n Blumentöpfchen neben der Suppenschüssel sitzt, was meinen
Sie? -- Ich erzählte im Verlauf des Gesprächs meine Begegnung mit dem geist¬
lichen Herrn. -- Gehört wohl zur Propaganda, meinte er lachend. Nun, im
Oberland hat's gute Forellen und einfältige Seelen genug; die frommen Herrn
machen dort bessere Geschäfte als in der gottlosen Kaiserstadt. -- Mein Nachbar
war ein sehr magerer, blasser junger Mann ans Wien, oberhalb Linz zu Hause,
wohin er jetzt seine Mutter, eine Bauersfrau, auf einige Tage besuchen ging-
Trotz der goldenen tthrkette und des stahlgrünen Svnntagsfracks mit Metallknopfe",
und trotz der großen steifen Halskragen sah er keinem Dandy gleich, zeigte aber
gesegneten Appetit "ut ein dankbares, fast kindliches Entzücken über jede Kleinig¬
keit, die ihm nen war. Er bewunderte die bescheidene Einrichtung des Schiffes;
wie ich s'erste Mal nach Wien hinunter ging, gab es noch keinen Dampf auf
der Donan, sagte er. Drei Glas Gnmpoldskirchner versetzten ihn in den sie¬
benten oder sechsten Himmel. Als wir endlich wieder die Treppe hinanfeilten,
flüsterte er mir zu: Ich hab' einen ganz besondern Zahn auf die Schwarzröck',--
wenn mir nur der schmeckende Wurm in die Quer käme!

Der Regen war vorbei, über und hinter uns lachte blitzblauer Himmel, vor
uns hoch über die Höhen stieg eine dunkelgraue Wolkenwand, auf welche die
Sonne zwei übereinandergcwölbte breite Zwillingsrcgenbogen gemalt hatte. E>"
Zwillingöregenbogen gilt für ein böses Wcttcrzcichen; dies hinderte uns nicht, ihn
schön zu finden, und Alles drängte sich auf's Verdeck, um das reizende Schauspiel
zu bewundern. Auch der Geistliche kam und hinter ihm in achtungsvoller Entfer¬
nung das Madounengcsicht, mit einem goldgeränderten Buch unter dem Arm;
setzte sich auf die Bvrdbauk und vertiefte sich in die Lectüre. Er dagegen gM
einige Male laugsam auf und nieder, blieb dann stehen, entblößte sein Haupt und
regte stumm die Lippen, als spräche er ein Gebet für sich in der Stille. DaS


Reifetagebuch aus dem östreichischen Oberland.



. 2. Krummstab und Lineal.

(Schluß,)

Ein heftiger Gewitterregen trieb uns in die Kajüte des Dampfl'volch hinab.
Zufällig war es Essenszeit und der lange Tisch gedeckt. Wen sah ich am obern
Ende der Tafel thronen? Meinen Geistlichen, den Stammgast, aus dem schme¬
ckenden Wurm in Wien. Er aß mit Andacht, hielt die Augen sittsam auf den
Teller geheftet und verlor keine Silbe. Links von ihm saß ein Madvnnengesicht-
chen in Hut und Schleier; er erwies ihr nicht die gewöhnlichste Aufmerksamkeit.
Ein hübsches Ding! rief mein Nachbar leise; das Essen mündet noch einmal
so gut, wenn so'n Blumentöpfchen neben der Suppenschüssel sitzt, was meinen
Sie? — Ich erzählte im Verlauf des Gesprächs meine Begegnung mit dem geist¬
lichen Herrn. — Gehört wohl zur Propaganda, meinte er lachend. Nun, im
Oberland hat's gute Forellen und einfältige Seelen genug; die frommen Herrn
machen dort bessere Geschäfte als in der gottlosen Kaiserstadt. — Mein Nachbar
war ein sehr magerer, blasser junger Mann ans Wien, oberhalb Linz zu Hause,
wohin er jetzt seine Mutter, eine Bauersfrau, auf einige Tage besuchen ging-
Trotz der goldenen tthrkette und des stahlgrünen Svnntagsfracks mit Metallknopfe»,
und trotz der großen steifen Halskragen sah er keinem Dandy gleich, zeigte aber
gesegneten Appetit »ut ein dankbares, fast kindliches Entzücken über jede Kleinig¬
keit, die ihm nen war. Er bewunderte die bescheidene Einrichtung des Schiffes;
wie ich s'erste Mal nach Wien hinunter ging, gab es noch keinen Dampf auf
der Donan, sagte er. Drei Glas Gnmpoldskirchner versetzten ihn in den sie¬
benten oder sechsten Himmel. Als wir endlich wieder die Treppe hinanfeilten,
flüsterte er mir zu: Ich hab' einen ganz besondern Zahn auf die Schwarzröck',—
wenn mir nur der schmeckende Wurm in die Quer käme!

Der Regen war vorbei, über und hinter uns lachte blitzblauer Himmel, vor
uns hoch über die Höhen stieg eine dunkelgraue Wolkenwand, auf welche die
Sonne zwei übereinandergcwölbte breite Zwillingsrcgenbogen gemalt hatte. E>"
Zwillingöregenbogen gilt für ein böses Wcttcrzcichen; dies hinderte uns nicht, ihn
schön zu finden, und Alles drängte sich auf's Verdeck, um das reizende Schauspiel
zu bewundern. Auch der Geistliche kam und hinter ihm in achtungsvoller Entfer¬
nung das Madounengcsicht, mit einem goldgeränderten Buch unter dem Arm;
setzte sich auf die Bvrdbauk und vertiefte sich in die Lectüre. Er dagegen gM
einige Male laugsam auf und nieder, blieb dann stehen, entblößte sein Haupt und
regte stumm die Lippen, als spräche er ein Gebet für sich in der Stille. DaS


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[0266] Reifetagebuch aus dem östreichischen Oberland. . 2. Krummstab und Lineal. (Schluß,) Ein heftiger Gewitterregen trieb uns in die Kajüte des Dampfl'volch hinab. Zufällig war es Essenszeit und der lange Tisch gedeckt. Wen sah ich am obern Ende der Tafel thronen? Meinen Geistlichen, den Stammgast, aus dem schme¬ ckenden Wurm in Wien. Er aß mit Andacht, hielt die Augen sittsam auf den Teller geheftet und verlor keine Silbe. Links von ihm saß ein Madvnnengesicht- chen in Hut und Schleier; er erwies ihr nicht die gewöhnlichste Aufmerksamkeit. Ein hübsches Ding! rief mein Nachbar leise; das Essen mündet noch einmal so gut, wenn so'n Blumentöpfchen neben der Suppenschüssel sitzt, was meinen Sie? — Ich erzählte im Verlauf des Gesprächs meine Begegnung mit dem geist¬ lichen Herrn. — Gehört wohl zur Propaganda, meinte er lachend. Nun, im Oberland hat's gute Forellen und einfältige Seelen genug; die frommen Herrn machen dort bessere Geschäfte als in der gottlosen Kaiserstadt. — Mein Nachbar war ein sehr magerer, blasser junger Mann ans Wien, oberhalb Linz zu Hause, wohin er jetzt seine Mutter, eine Bauersfrau, auf einige Tage besuchen ging- Trotz der goldenen tthrkette und des stahlgrünen Svnntagsfracks mit Metallknopfe», und trotz der großen steifen Halskragen sah er keinem Dandy gleich, zeigte aber gesegneten Appetit »ut ein dankbares, fast kindliches Entzücken über jede Kleinig¬ keit, die ihm nen war. Er bewunderte die bescheidene Einrichtung des Schiffes; wie ich s'erste Mal nach Wien hinunter ging, gab es noch keinen Dampf auf der Donan, sagte er. Drei Glas Gnmpoldskirchner versetzten ihn in den sie¬ benten oder sechsten Himmel. Als wir endlich wieder die Treppe hinanfeilten, flüsterte er mir zu: Ich hab' einen ganz besondern Zahn auf die Schwarzröck',— wenn mir nur der schmeckende Wurm in die Quer käme! Der Regen war vorbei, über und hinter uns lachte blitzblauer Himmel, vor uns hoch über die Höhen stieg eine dunkelgraue Wolkenwand, auf welche die Sonne zwei übereinandergcwölbte breite Zwillingsrcgenbogen gemalt hatte. E>" Zwillingöregenbogen gilt für ein böses Wcttcrzcichen; dies hinderte uns nicht, ihn schön zu finden, und Alles drängte sich auf's Verdeck, um das reizende Schauspiel zu bewundern. Auch der Geistliche kam und hinter ihm in achtungsvoller Entfer¬ nung das Madounengcsicht, mit einem goldgeränderten Buch unter dem Arm; setzte sich auf die Bvrdbauk und vertiefte sich in die Lectüre. Er dagegen gM einige Male laugsam auf und nieder, blieb dann stehen, entblößte sein Haupt und regte stumm die Lippen, als spräche er ein Gebet für sich in der Stille. DaS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/266>, abgerufen am 15.01.2025.