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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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zu sehen, daß Sachsen damals im Innern bedrängt in die Führerschaft Preu¬
ßens seufzend willigte, und seine dynastischen Bedenken vor der Gewalt der Ver¬
hältnisse schüchtern bei Seite legte; während es sich jetzt ans dieselben Bedenken
stützen möchte, um den lästigen Kontrakt aufzuheben. -- Was es jetzt thut, ist
verderblich für die Regentenfamilic, wie für das Land.

Das Königshaus Sachsens hat gegenwärtig keinen festen Grund in den See¬
len des Volkes. Es ist hier unnütz zu untersuchen, welche Umstände den
Thron isolirt haben, sicher ist, daß trotz aller Loyalität Einzelner und trotz der
großen Verehrung, welche sich der Privatcharakter des Monarchen in manchen Krei¬
sen verschafft hat, dem Thronsessel in Sachsen eine dauerhafte Unterlage vollstän¬
dig fehlt. Weder das Militär, noch alte große Erinnerungen im Volk, noch ir¬
gend ein geographischer Abschluß halten den Staat zusammen. Gute Einrichtun¬
gen, ein liberaler Sinn des Regenten bildeten einen gewissen ehrenwerthen Pa¬
triotismus während der vergangenen Friedensjahre aus. Der Sachse war stolz
daraus, daß es bei ihm etwas freisinniger zugehe als in Preußen, daß die Humani¬
tät der Polizei größer, die Censur weniger drückend sei, als im Nachbarstaat. Er
war Patriot, weil er Manches voraus hatte, was unter seinen Fürsten besser ge¬
worden war, als anderswo in Deutschland, und weil er täglich Gelegenheit sand,
sich über Preußen zu ärgern. Wohl mußte er seine Stimmung sehr in die Höhe
geschraubt haben, ehe er mit Trotz singen konnte: ich bin ein Sachse n. s. w.,
oder irgend ein ähnliches patriotisches und loyales Lied, aber er sang es doch noch
zuweilen; und wenn der großartige Anstrich bei politischen Evolutionen, Manöver,
Parade u. s. w. fehlte, so hatte er dafür ein gemüthliches Behagen an seinem
constitutionellen Fürsten und seiner Communalgarde. Das Jahr 48, Einzelnes
was vorausging und Vieles, was nachfolgte, hat den specifisch sächsischen Patrio¬
tismus in bedenklicher Weise vernichtet; er ist in den Seelen vieler guten Leute
noch vorhanden, hat aber weder active Kraft, noch irgend einen Hintergrund, auf
den sich Hoffnungen bauen ließen.

Das sächsische Volk aber ist in einer sehr traurige" Lage, und die Besten
sind grade am schlimmsten daran. Es hat nichts, gar nichts, woran sein Idea¬
lismus, alle seine Träume, seine Hoffnungen, sein Enthusiasmus sich hängen
können. Das ist sür jeden deutschen Stamm ein sehr großes Unglück, für die
pathetische, weiche und sentimentale Natur des sächsischen Volkes das größte. Wie,
rührend heftete sich die Hülflosigkeit "ut Schwäche der großen Menge an Robert
Blum, er ward ihnen erschossen; wie lebhaft erfaßte der Sachse den Gedanken einer
solchen Vereinigung mit Preußen, wie sie die Paulskirche proclamirte, wo Sachsen
seinen Namen opferte, aber Preußen auch; auch diese Hoffnung ward vereitelt; ans
seine parlamentarischen Kämpfe kann er seit dem letzten Winter nicht mehr stolz
sein; seine Volkshelden hat er verloren, in sich selbst fühlt er keine Kraft weder
Etwas zu werden, noch Etwas durchzusetzen. So ist ein Zustand von Trostlosig-


zu sehen, daß Sachsen damals im Innern bedrängt in die Führerschaft Preu¬
ßens seufzend willigte, und seine dynastischen Bedenken vor der Gewalt der Ver¬
hältnisse schüchtern bei Seite legte; während es sich jetzt ans dieselben Bedenken
stützen möchte, um den lästigen Kontrakt aufzuheben. — Was es jetzt thut, ist
verderblich für die Regentenfamilic, wie für das Land.

Das Königshaus Sachsens hat gegenwärtig keinen festen Grund in den See¬
len des Volkes. Es ist hier unnütz zu untersuchen, welche Umstände den
Thron isolirt haben, sicher ist, daß trotz aller Loyalität Einzelner und trotz der
großen Verehrung, welche sich der Privatcharakter des Monarchen in manchen Krei¬
sen verschafft hat, dem Thronsessel in Sachsen eine dauerhafte Unterlage vollstän¬
dig fehlt. Weder das Militär, noch alte große Erinnerungen im Volk, noch ir¬
gend ein geographischer Abschluß halten den Staat zusammen. Gute Einrichtun¬
gen, ein liberaler Sinn des Regenten bildeten einen gewissen ehrenwerthen Pa¬
triotismus während der vergangenen Friedensjahre aus. Der Sachse war stolz
daraus, daß es bei ihm etwas freisinniger zugehe als in Preußen, daß die Humani¬
tät der Polizei größer, die Censur weniger drückend sei, als im Nachbarstaat. Er
war Patriot, weil er Manches voraus hatte, was unter seinen Fürsten besser ge¬
worden war, als anderswo in Deutschland, und weil er täglich Gelegenheit sand,
sich über Preußen zu ärgern. Wohl mußte er seine Stimmung sehr in die Höhe
geschraubt haben, ehe er mit Trotz singen konnte: ich bin ein Sachse n. s. w.,
oder irgend ein ähnliches patriotisches und loyales Lied, aber er sang es doch noch
zuweilen; und wenn der großartige Anstrich bei politischen Evolutionen, Manöver,
Parade u. s. w. fehlte, so hatte er dafür ein gemüthliches Behagen an seinem
constitutionellen Fürsten und seiner Communalgarde. Das Jahr 48, Einzelnes
was vorausging und Vieles, was nachfolgte, hat den specifisch sächsischen Patrio¬
tismus in bedenklicher Weise vernichtet; er ist in den Seelen vieler guten Leute
noch vorhanden, hat aber weder active Kraft, noch irgend einen Hintergrund, auf
den sich Hoffnungen bauen ließen.

Das sächsische Volk aber ist in einer sehr traurige» Lage, und die Besten
sind grade am schlimmsten daran. Es hat nichts, gar nichts, woran sein Idea¬
lismus, alle seine Träume, seine Hoffnungen, sein Enthusiasmus sich hängen
können. Das ist sür jeden deutschen Stamm ein sehr großes Unglück, für die
pathetische, weiche und sentimentale Natur des sächsischen Volkes das größte. Wie,
rührend heftete sich die Hülflosigkeit »ut Schwäche der großen Menge an Robert
Blum, er ward ihnen erschossen; wie lebhaft erfaßte der Sachse den Gedanken einer
solchen Vereinigung mit Preußen, wie sie die Paulskirche proclamirte, wo Sachsen
seinen Namen opferte, aber Preußen auch; auch diese Hoffnung ward vereitelt; ans
seine parlamentarischen Kämpfe kann er seit dem letzten Winter nicht mehr stolz
sein; seine Volkshelden hat er verloren, in sich selbst fühlt er keine Kraft weder
Etwas zu werden, noch Etwas durchzusetzen. So ist ein Zustand von Trostlosig-


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[0264] zu sehen, daß Sachsen damals im Innern bedrängt in die Führerschaft Preu¬ ßens seufzend willigte, und seine dynastischen Bedenken vor der Gewalt der Ver¬ hältnisse schüchtern bei Seite legte; während es sich jetzt ans dieselben Bedenken stützen möchte, um den lästigen Kontrakt aufzuheben. — Was es jetzt thut, ist verderblich für die Regentenfamilic, wie für das Land. Das Königshaus Sachsens hat gegenwärtig keinen festen Grund in den See¬ len des Volkes. Es ist hier unnütz zu untersuchen, welche Umstände den Thron isolirt haben, sicher ist, daß trotz aller Loyalität Einzelner und trotz der großen Verehrung, welche sich der Privatcharakter des Monarchen in manchen Krei¬ sen verschafft hat, dem Thronsessel in Sachsen eine dauerhafte Unterlage vollstän¬ dig fehlt. Weder das Militär, noch alte große Erinnerungen im Volk, noch ir¬ gend ein geographischer Abschluß halten den Staat zusammen. Gute Einrichtun¬ gen, ein liberaler Sinn des Regenten bildeten einen gewissen ehrenwerthen Pa¬ triotismus während der vergangenen Friedensjahre aus. Der Sachse war stolz daraus, daß es bei ihm etwas freisinniger zugehe als in Preußen, daß die Humani¬ tät der Polizei größer, die Censur weniger drückend sei, als im Nachbarstaat. Er war Patriot, weil er Manches voraus hatte, was unter seinen Fürsten besser ge¬ worden war, als anderswo in Deutschland, und weil er täglich Gelegenheit sand, sich über Preußen zu ärgern. Wohl mußte er seine Stimmung sehr in die Höhe geschraubt haben, ehe er mit Trotz singen konnte: ich bin ein Sachse n. s. w., oder irgend ein ähnliches patriotisches und loyales Lied, aber er sang es doch noch zuweilen; und wenn der großartige Anstrich bei politischen Evolutionen, Manöver, Parade u. s. w. fehlte, so hatte er dafür ein gemüthliches Behagen an seinem constitutionellen Fürsten und seiner Communalgarde. Das Jahr 48, Einzelnes was vorausging und Vieles, was nachfolgte, hat den specifisch sächsischen Patrio¬ tismus in bedenklicher Weise vernichtet; er ist in den Seelen vieler guten Leute noch vorhanden, hat aber weder active Kraft, noch irgend einen Hintergrund, auf den sich Hoffnungen bauen ließen. Das sächsische Volk aber ist in einer sehr traurige» Lage, und die Besten sind grade am schlimmsten daran. Es hat nichts, gar nichts, woran sein Idea¬ lismus, alle seine Träume, seine Hoffnungen, sein Enthusiasmus sich hängen können. Das ist sür jeden deutschen Stamm ein sehr großes Unglück, für die pathetische, weiche und sentimentale Natur des sächsischen Volkes das größte. Wie, rührend heftete sich die Hülflosigkeit »ut Schwäche der großen Menge an Robert Blum, er ward ihnen erschossen; wie lebhaft erfaßte der Sachse den Gedanken einer solchen Vereinigung mit Preußen, wie sie die Paulskirche proclamirte, wo Sachsen seinen Namen opferte, aber Preußen auch; auch diese Hoffnung ward vereitelt; ans seine parlamentarischen Kämpfe kann er seit dem letzten Winter nicht mehr stolz sein; seine Volkshelden hat er verloren, in sich selbst fühlt er keine Kraft weder Etwas zu werden, noch Etwas durchzusetzen. So ist ein Zustand von Trostlosig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/264>, abgerufen am 15.01.2025.