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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Seite zu werfen, wo sie nicht hingehört; und die rücksichtslose, kalte Energie,
mit der er seine Zwecke verfolgt. Seine falsche Stellung liegt theils in der Ein¬
bildung, er könne, weil er sich nicht mehr in Illusionen bewege, nichts mehr be¬
wundern, es gebe daher nichts mehr, was seinem Dasein einen Werth verleihen
könne; theils in der Verwickelung der Verhältnisse, in die ihn seine Maximen
verstrickt haben. Die Einbildung überwindet die Scham: Freytag hat diese un¬
vermeidliche Cur ganz richtig in ihren verschiedenen Momenten spielen lassen;
Waldemar findet etwas, was ihm Achtung abnöthigt, eine reine und zugleich
siarke Natur; er empfindet in Folge dessen vor seinem bisherigen Treiben nicht
blos Verachtung, die hat er immer gehabt, sondern auch Ekel, deun er erkennt,
daß es seiner wahren Natur widerspricht; er kommt sich selbst lächerlich vor, weil
er vou einem einfachen Landmädchen durchschaut wird, und diese nothwendige De¬
müthigung seines Hochmuths wird sehr zweckmäßig durch eine körperliche Züchti¬
gung verschärft. Was soll er nun thun? büße"? bereuen? -- das paßt nicht
für eine kräftige Natur. So bleibt ihm als Aufgabe die Lösung jener Verwicke¬
lung, in der er seine Kraft, die bisher dem Bösen gedient, zum Guten verwendet.

Man soll dem Dichter uicht eine andere Aufgabe unterschieben wollen, als
er selber für gut gefunden hat. Freytag läßt seinen Helden zu jener Lösung nur
die Einleitung treffen, die eigentliche Spannung concentrirt sich in den beiden
Frauen. Die Absicht ist unverkennbar; das gute Mädchen, das Waldemar zur
künftigen Lebensgefährtin bestimmt war, sollte auch groß erscheinen, und so den
sonstigen Abstand vergessen macheu. Wenn ich ein Dichter wäre, so würde ich
auf einen andern Ausweg gekommen sein.

Einmal würde ich mit der Scham zugleich die Befreiung haben eintreten
lassen, um meinen Helden poetisch zu rchabilitiren, und namentlich ungeschickte
Schauspieler zu warnen, ihn nicht sentimental aufzufassen. Die Empfindung
Waldemars: "Ich bin mit meiner Blasirtheit doch ein ungeheurer Narr gewesen!"
hat freilich auf der einen Seite etwas Demüthigendes, aber zugleich kann sie ihn
erheben, indem er über seine Vergangenheit zu lachen vermag. Ein tüchtiges
Gelächter, und die Gespenster fliehen vor meinem befreiten Blick, und es bleibt
mir nur noch die Lösung der factischen Wirren.

Zu dieser Lösung setze ich meine ganze Kälte und Frivolität in Bewegung,
denn es wäre unpoetisch, wenn ich zu audern Mitteln greifen sollte, als zu denen
meine Natur und meine Geschichte mich berechtigt. Ein wildes Weib droht nur
und meiner Liebe; ich habe freilich eine Schuld gegen sie, aber dieses ist nicht
die Person, die sie einzufordern berechtigt ist. Ich gehe ihr also dreist entgegen,
und wenn sie mit Dolchen, Gift, russischen Leibeigenen und dergleichen Apparaten,
mit Flüchen und mit Thränen, auf mich eindringt, so will ich, wenn ich Walde¬
mar bin, ihr mit so viel' Frivolität, Kälte und Hohn zusehen, dem Thierbändiger
ähnlich, der es mit einer Tigerkatze zu thun hat, daß ihr der Dolch ans den


Seite zu werfen, wo sie nicht hingehört; und die rücksichtslose, kalte Energie,
mit der er seine Zwecke verfolgt. Seine falsche Stellung liegt theils in der Ein¬
bildung, er könne, weil er sich nicht mehr in Illusionen bewege, nichts mehr be¬
wundern, es gebe daher nichts mehr, was seinem Dasein einen Werth verleihen
könne; theils in der Verwickelung der Verhältnisse, in die ihn seine Maximen
verstrickt haben. Die Einbildung überwindet die Scham: Freytag hat diese un¬
vermeidliche Cur ganz richtig in ihren verschiedenen Momenten spielen lassen;
Waldemar findet etwas, was ihm Achtung abnöthigt, eine reine und zugleich
siarke Natur; er empfindet in Folge dessen vor seinem bisherigen Treiben nicht
blos Verachtung, die hat er immer gehabt, sondern auch Ekel, deun er erkennt,
daß es seiner wahren Natur widerspricht; er kommt sich selbst lächerlich vor, weil
er vou einem einfachen Landmädchen durchschaut wird, und diese nothwendige De¬
müthigung seines Hochmuths wird sehr zweckmäßig durch eine körperliche Züchti¬
gung verschärft. Was soll er nun thun? büße»? bereuen? — das paßt nicht
für eine kräftige Natur. So bleibt ihm als Aufgabe die Lösung jener Verwicke¬
lung, in der er seine Kraft, die bisher dem Bösen gedient, zum Guten verwendet.

Man soll dem Dichter uicht eine andere Aufgabe unterschieben wollen, als
er selber für gut gefunden hat. Freytag läßt seinen Helden zu jener Lösung nur
die Einleitung treffen, die eigentliche Spannung concentrirt sich in den beiden
Frauen. Die Absicht ist unverkennbar; das gute Mädchen, das Waldemar zur
künftigen Lebensgefährtin bestimmt war, sollte auch groß erscheinen, und so den
sonstigen Abstand vergessen macheu. Wenn ich ein Dichter wäre, so würde ich
auf einen andern Ausweg gekommen sein.

Einmal würde ich mit der Scham zugleich die Befreiung haben eintreten
lassen, um meinen Helden poetisch zu rchabilitiren, und namentlich ungeschickte
Schauspieler zu warnen, ihn nicht sentimental aufzufassen. Die Empfindung
Waldemars: „Ich bin mit meiner Blasirtheit doch ein ungeheurer Narr gewesen!"
hat freilich auf der einen Seite etwas Demüthigendes, aber zugleich kann sie ihn
erheben, indem er über seine Vergangenheit zu lachen vermag. Ein tüchtiges
Gelächter, und die Gespenster fliehen vor meinem befreiten Blick, und es bleibt
mir nur noch die Lösung der factischen Wirren.

Zu dieser Lösung setze ich meine ganze Kälte und Frivolität in Bewegung,
denn es wäre unpoetisch, wenn ich zu audern Mitteln greifen sollte, als zu denen
meine Natur und meine Geschichte mich berechtigt. Ein wildes Weib droht nur
und meiner Liebe; ich habe freilich eine Schuld gegen sie, aber dieses ist nicht
die Person, die sie einzufordern berechtigt ist. Ich gehe ihr also dreist entgegen,
und wenn sie mit Dolchen, Gift, russischen Leibeigenen und dergleichen Apparaten,
mit Flüchen und mit Thränen, auf mich eindringt, so will ich, wenn ich Walde¬
mar bin, ihr mit so viel' Frivolität, Kälte und Hohn zusehen, dem Thierbändiger
ähnlich, der es mit einer Tigerkatze zu thun hat, daß ihr der Dolch ans den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/262>, abgerufen am 15.01.2025.