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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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teil umzukehren verstand, sich zu einer Apotheose des Lasters, zu einer Heiligung
nicht nur der Schlechtigkeit, sondern mich der Schwäche he> gegeben. Bei Schrif¬
ten, wie Schlegels Lucinde, und Gutzkow's Wally -- die Lelia der G. Sand spare
ich für eine andere Gelegenheit auf -- weiß man nicht recht, ob mau über das
Stammeln des Blödsinns lachen, oder über den Abgrund der Unsittlichkeit, ans
dem die schlimmste Fäulniß athmet, sich entsetzen soll.

Wenn C. T. A. Hoffmann seine Auffassung des Don Juan pathetisch-senti¬
mental umkleidet, so darf uns diese Schminke nicht täuschen. Der Idealismus,
mit dem dieser Don Juan sich brüstet, ist ebenso krankhaft, als die Coquetterie,
mit der sich Genz eine "in schmutziger Hölle unschuldig gebliebene Seele" nennt,
als der Wahnsinn des sogenannten Socialismus, der im Wesentlichen darauf aus¬
läuft, daß die Welt jede beliebige Lais der Gasse für so keusch halten soll, als die
römische Lucretia, ihr Altäre errichten wie der Madonna, weil sie eine Jncarna-
tion ist von den Leiden des Weibes.

Diese doctrinäre Blasirtheit kennen die Engländer nicht, trotz aller Ueber-
sättigung, die von großem Reichthum nicht zu trennen ist. Ihr Spleen ist etwas
ganz anderes; wenn ein Deutscher ihn darstellen will, wie es Gutzkow in sei"
nein "1,3. November" versucht hat, so wird jedesmal eine Monstrosität daraus.
Der Spleen ist freilich eine Krankheit, aber eine humoristische; er ist die Verir-
rung des an sich berechtigten Strebens, in allen Dingen autonom zu sein. Der
Engländer erkennt das Gesetz an, selbst indem er es bricht, und es fällt ihm nicht
ein, seine Laune, die er mit aller Zähigkeit der sächsischen Natur verfolgt, idea¬
listisch zu überfirnissen. --

Wir haben Don Juan verfolgt, wie er in dem Fortschritt der romantischen
Begriffsverwirrung sich in Faust verwandelt, wir schlagen jetzt den umgekehrten
Weg ein. Die Irrfahrten des überspannten Idealismus haben denselben
Ausgang wie die des überspannten Materialismus.

"Kreuzige deu Schwärmer im dreißigsten Jahre, sonst wird der Betrogene
zum Schelm." Selten hat Goethe ein treffenderes Wort gesprochen. Der Ue-
berfüllung mit Phantasien folgt ein noch größerer Ekel, als der materielle, denn
sie stumpft schneller ab, und je schneller die Illusionen sich ans einander folgen,
welche die Enttäuschung nothwendig mit sich führen, weil sie ihrer Natur nach ge-
gcnstandlos sind, desto mehr höhlt sich die Kraft aus, zu glauben und zu lieben.
Wer die Welt verachtet, weil sie seinen Idealen nicht entspricht, wird sehr bald
diesen Idealen gegenüber das nämliche Gefühl haben, weil ihnen keine Welt ent¬
spricht, und wird zuletzt nur noch vor Etwas Hochachtung empfinden, vor der ei¬
genen Ironie, die sich über Welt und Ideal gleichmäßig hinwegsetzt. Faust endigt
im Mephistopheles, wie ja auch dieser Schalk vor grauen Jahren ein überspann¬
ter Idealist war, als er uoch Lucifer hieß. Zuletzt hat er nnr noch Ein ideales
Gefühl, den süßen Schauer vor sich selbst, vor seiner Kraft, zugleich das unent-


teil umzukehren verstand, sich zu einer Apotheose des Lasters, zu einer Heiligung
nicht nur der Schlechtigkeit, sondern mich der Schwäche he> gegeben. Bei Schrif¬
ten, wie Schlegels Lucinde, und Gutzkow's Wally — die Lelia der G. Sand spare
ich für eine andere Gelegenheit auf — weiß man nicht recht, ob mau über das
Stammeln des Blödsinns lachen, oder über den Abgrund der Unsittlichkeit, ans
dem die schlimmste Fäulniß athmet, sich entsetzen soll.

Wenn C. T. A. Hoffmann seine Auffassung des Don Juan pathetisch-senti¬
mental umkleidet, so darf uns diese Schminke nicht täuschen. Der Idealismus,
mit dem dieser Don Juan sich brüstet, ist ebenso krankhaft, als die Coquetterie,
mit der sich Genz eine „in schmutziger Hölle unschuldig gebliebene Seele" nennt,
als der Wahnsinn des sogenannten Socialismus, der im Wesentlichen darauf aus¬
läuft, daß die Welt jede beliebige Lais der Gasse für so keusch halten soll, als die
römische Lucretia, ihr Altäre errichten wie der Madonna, weil sie eine Jncarna-
tion ist von den Leiden des Weibes.

Diese doctrinäre Blasirtheit kennen die Engländer nicht, trotz aller Ueber-
sättigung, die von großem Reichthum nicht zu trennen ist. Ihr Spleen ist etwas
ganz anderes; wenn ein Deutscher ihn darstellen will, wie es Gutzkow in sei"
nein „1,3. November" versucht hat, so wird jedesmal eine Monstrosität daraus.
Der Spleen ist freilich eine Krankheit, aber eine humoristische; er ist die Verir-
rung des an sich berechtigten Strebens, in allen Dingen autonom zu sein. Der
Engländer erkennt das Gesetz an, selbst indem er es bricht, und es fällt ihm nicht
ein, seine Laune, die er mit aller Zähigkeit der sächsischen Natur verfolgt, idea¬
listisch zu überfirnissen. —

Wir haben Don Juan verfolgt, wie er in dem Fortschritt der romantischen
Begriffsverwirrung sich in Faust verwandelt, wir schlagen jetzt den umgekehrten
Weg ein. Die Irrfahrten des überspannten Idealismus haben denselben
Ausgang wie die des überspannten Materialismus.

„Kreuzige deu Schwärmer im dreißigsten Jahre, sonst wird der Betrogene
zum Schelm." Selten hat Goethe ein treffenderes Wort gesprochen. Der Ue-
berfüllung mit Phantasien folgt ein noch größerer Ekel, als der materielle, denn
sie stumpft schneller ab, und je schneller die Illusionen sich ans einander folgen,
welche die Enttäuschung nothwendig mit sich führen, weil sie ihrer Natur nach ge-
gcnstandlos sind, desto mehr höhlt sich die Kraft aus, zu glauben und zu lieben.
Wer die Welt verachtet, weil sie seinen Idealen nicht entspricht, wird sehr bald
diesen Idealen gegenüber das nämliche Gefühl haben, weil ihnen keine Welt ent¬
spricht, und wird zuletzt nur noch vor Etwas Hochachtung empfinden, vor der ei¬
genen Ironie, die sich über Welt und Ideal gleichmäßig hinwegsetzt. Faust endigt
im Mephistopheles, wie ja auch dieser Schalk vor grauen Jahren ein überspann¬
ter Idealist war, als er uoch Lucifer hieß. Zuletzt hat er nnr noch Ein ideales
Gefühl, den süßen Schauer vor sich selbst, vor seiner Kraft, zugleich das unent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/258>, abgerufen am 15.01.2025.