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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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beschwört, er solle seinen ruchlosen Wandel aufgeben. Er bietet ihr ein Glas
Champagner an. Dann jener steinerne Gast, den er eingeladen, und der ihn im
Namen des Himmels in ernsten Posaunentönen bedroht, wenn er sich nicht bessern
will. Schauderhaft, aber ich bleibe doch liederlich! Endlich der Gottseibeiuns,
der im Feuerregen herniederstürzt und den frevelhaften Spötter in die Hölle
nimmt. --

Zweite Scene. Die nämlichen, Don Juan und Sganarelle, im Begriff, ans
den Blocksberg zu klettern. Es ist die Walpurgisnacht, im wüsten Getümmel
braust ein bachantischer Hexenhanfe an ihnen vorüber, sich in dem teuflischen Sab¬
bat zu berauschen. Der Teufel hält Cour, von Norden, Süden, Osten und
Westen strömen die Züge seiner Gläubigen wie Geyer dnxch die Luft, ihn anzu¬
beten. Wie kommen jene beiden in eine so schlechte Gesellschaft? Don Juan will
sich zerstreuen und nebenbei dem Blutbann ans dem Wege gehn, er hat eben ein neues
"Opfer" im Stich gelassen, ein liebes Kind, mit dem er so lange über Gott, Liebe,
die Blumen und Sterne philosophirt, bis dieses platonische Treiben das gewöhn¬
liche Ende nahm. Gretchens Bruder, der ihre Ehre rächen wollte, ist von Don
Juan getödtet, ihre Mutter ist vor Gram gestorben, ihr Kind hat sie in's Wasser
geworfen und erwartet nnn im Kerker, vom Wahnsinn ergriffen, den Spruch des
Gerichts. Don Juan sieht noch eben so jung ans, wie in der vorigen Scene,
er hat noch das nämliche Gesicht mit dem Vampyrblick, aber seine Jngend ist
diesmal eine Hexerei, er hat schon früher lange gelebt, Theologie, Medizin, Ju¬
risprudenz, die alten und, neuen Sprachen studirt, und sich überzeugt, daß er
damit doch nichts wisse, und daß man überhaupt nichts wissen könne. Warum?
Weil die ganze Wirklichkeit nirgend anders zu suchen ist, als in der Einbildung.
Er hat also seine anatomischen Präparate, seine Retorten und vergilbten Perga¬
mente, seine Käfersammlungen und phrenologischen Schädel, kurz den ganzen
Apparat seines Wissens, die Trümmer der realen Welt, die seine Phantasie zer¬
schlagen, der einen Hälfte seines Wesens, dem gelehrten Wagner, zurückgelassen,
die audere Hälfte setzt sich auf den Zaubermantel der absoluten Phantasie und
bagabondn't durch alle Welten herum, Ein Bild im Herzen, das ein Zauber-
spiegel ihm gezeigt: die schöne Helena von Griechenland, das Weib an sich, zu¬
gleich blond und braun, mit fromm blauen und schelmisch schwarzen Angen, mit
sinniger Blässe und strahlender Gesundheit, voller Geist und naiv wie ein Kind,
das Weib, mit einem Wort, das zugleich Jungfrau und Mutter ist. Dieses
Weib will er ganz genießen, wie er die Wahrheit ganz sehen will: die Knospe
soll in demselben Moment als entwickelte Blume, der Keim alö tausendjähriger
Baum erscheinen; die Schale soll durchsichtig und doch farbig und fest sein; je¬
des einzelne Ding soll sich den lügenhaften Einflüssen der Sonne, des Lichtes
und der Wärme, so wie der Abhängigkeit von Erde und Wasser entziehen, und
doch leben. Natürlich wird er nie befriedigt werden, und als er daher dem Teufel


beschwört, er solle seinen ruchlosen Wandel aufgeben. Er bietet ihr ein Glas
Champagner an. Dann jener steinerne Gast, den er eingeladen, und der ihn im
Namen des Himmels in ernsten Posaunentönen bedroht, wenn er sich nicht bessern
will. Schauderhaft, aber ich bleibe doch liederlich! Endlich der Gottseibeiuns,
der im Feuerregen herniederstürzt und den frevelhaften Spötter in die Hölle
nimmt. —

Zweite Scene. Die nämlichen, Don Juan und Sganarelle, im Begriff, ans
den Blocksberg zu klettern. Es ist die Walpurgisnacht, im wüsten Getümmel
braust ein bachantischer Hexenhanfe an ihnen vorüber, sich in dem teuflischen Sab¬
bat zu berauschen. Der Teufel hält Cour, von Norden, Süden, Osten und
Westen strömen die Züge seiner Gläubigen wie Geyer dnxch die Luft, ihn anzu¬
beten. Wie kommen jene beiden in eine so schlechte Gesellschaft? Don Juan will
sich zerstreuen und nebenbei dem Blutbann ans dem Wege gehn, er hat eben ein neues
„Opfer" im Stich gelassen, ein liebes Kind, mit dem er so lange über Gott, Liebe,
die Blumen und Sterne philosophirt, bis dieses platonische Treiben das gewöhn¬
liche Ende nahm. Gretchens Bruder, der ihre Ehre rächen wollte, ist von Don
Juan getödtet, ihre Mutter ist vor Gram gestorben, ihr Kind hat sie in's Wasser
geworfen und erwartet nnn im Kerker, vom Wahnsinn ergriffen, den Spruch des
Gerichts. Don Juan sieht noch eben so jung ans, wie in der vorigen Scene,
er hat noch das nämliche Gesicht mit dem Vampyrblick, aber seine Jngend ist
diesmal eine Hexerei, er hat schon früher lange gelebt, Theologie, Medizin, Ju¬
risprudenz, die alten und, neuen Sprachen studirt, und sich überzeugt, daß er
damit doch nichts wisse, und daß man überhaupt nichts wissen könne. Warum?
Weil die ganze Wirklichkeit nirgend anders zu suchen ist, als in der Einbildung.
Er hat also seine anatomischen Präparate, seine Retorten und vergilbten Perga¬
mente, seine Käfersammlungen und phrenologischen Schädel, kurz den ganzen
Apparat seines Wissens, die Trümmer der realen Welt, die seine Phantasie zer¬
schlagen, der einen Hälfte seines Wesens, dem gelehrten Wagner, zurückgelassen,
die audere Hälfte setzt sich auf den Zaubermantel der absoluten Phantasie und
bagabondn't durch alle Welten herum, Ein Bild im Herzen, das ein Zauber-
spiegel ihm gezeigt: die schöne Helena von Griechenland, das Weib an sich, zu¬
gleich blond und braun, mit fromm blauen und schelmisch schwarzen Angen, mit
sinniger Blässe und strahlender Gesundheit, voller Geist und naiv wie ein Kind,
das Weib, mit einem Wort, das zugleich Jungfrau und Mutter ist. Dieses
Weib will er ganz genießen, wie er die Wahrheit ganz sehen will: die Knospe
soll in demselben Moment als entwickelte Blume, der Keim alö tausendjähriger
Baum erscheinen; die Schale soll durchsichtig und doch farbig und fest sein; je¬
des einzelne Ding soll sich den lügenhaften Einflüssen der Sonne, des Lichtes
und der Wärme, so wie der Abhängigkeit von Erde und Wasser entziehen, und
doch leben. Natürlich wird er nie befriedigt werden, und als er daher dem Teufel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/251>, abgerufen am 15.01.2025.