Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.einander in die Hände. Und dann scholl es: Eljen Italia! So oft der Bom¬ Ueber kurz oder lang sprießt aus den ungarischen Gräbern eine Literatur auf, Bem's Flucht aus Wien und glückliche Ankunft in Ungarn erzählte man sich einander in die Hände. Und dann scholl es: Eljen Italia! So oft der Bom¬ Ueber kurz oder lang sprießt aus den ungarischen Gräbern eine Literatur auf, Bem's Flucht aus Wien und glückliche Ankunft in Ungarn erzählte man sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279746"/> <p xml:id="ID_658" prev="#ID_657"> einander in die Hände. Und dann scholl es: Eljen Italia! So oft der Bom¬<lb/> benkessel vom rechten Donauufer herüberkrachte, pflegte ein verwundeter Husaren¬<lb/> wachtmeister lustig mit den Sporen zu klirren und zu schmunzeln: Wieder sechzig<lb/> Gulden beim Teufel. Der Franz Joseph ist ein Verschwender. Was wird der<lb/> 6le? Papierfabrikant Kraus dazu sagen?! (Auf sechzig Gulden schätzte man näm¬<lb/> lich die Kosten eines jeden Bombenschusses.) Und wenn zuweilen das Bombar-<lb/> dnnent eine Weile pausirte, hörten die Kaiserlichen rauschende Musik aus der<lb/> Festung herüberklingen. Das war der Rakoczy - Marsch, die herzaufregcnde, sinn¬<lb/> verrückende, triumphtrnnkene Schlachtmelodie, die vor mehr als hundert Jahren<lb/> schon die kaiserlichen Truppen ins Bockshorn gejagt hatte. Nichts aber war er¬<lb/> götzlicher als die Sieger von Hatvan, Waitzen und Gödöllö in der Weinschenke<lb/> über ihre Feldherrn sprechen zu hören. Im Monat Juli befanden sich zufällig<lb/> Husaren und Honveds vom Bem'schen und vom Görgeyschen Corps in der<lb/> Festung. Beide vergötterten ihre Generale und schrieben ihnen Eigenschaften zu,<lb/> wie Homer seinem Achilles kaum anzudichten wagte. „Magyar Isten!" (Beim<lb/> Gott der Magyaren!) rief ein alter Husarenkorporal, indem er den rothen Wein<lb/> aus dem langen grauen Schnurrbart wischte, seinem Nachbar zu; „glaubst, Bru¬<lb/> der, daß Görgey hat Respekt vor kaiserliche Kanonenkugel? Er winkt mit Säbel,<lb/> und sie macht Reverenz und fallt ans Erden." — „Und Bern!" entgegnet der<lb/> Andere, ein junger Honvedoffizier, „meinst etwon, kaiserliche Kugel kann alten<lb/> Bem beleidigen? Hob ich selbst geseg'n, wie Flintenkugel kommt auf Bem sein'<lb/> Brust zuflogen. Wart' nur. Kugel geht durch, und alter Bem schaut sich über<lb/> Achsel und dreht linken Schnurrbart mit zwei Finger. Wo gehst hin, Kujon?<lb/> fragt er. Ah so, sagt er, gehst hoch! Daß du mir kein' Husarn anrührst! Und<lb/> droht ihr noch mit rechte Hand. Dann: Vorwärts, Marsch! — Eljen Bem,<lb/> Eljen Görgey!"</p><lb/> <p xml:id="ID_659"> Ueber kurz oder lang sprießt aus den ungarischen Gräbern eine Literatur auf,<lb/> die das Haus Habsburg in Verzweiflung bringen wird; kein Preßgesetz, kein Aus¬<lb/> nahmszustand wird den Volksmund versiegeln können. Die Lieder und Balladen<lb/> der Pnßte werden bei dem enthusiastischen Publikum der Wiener Vorstädte ein<lb/> unauslöschliches Echo finden. Wir hören im Geiste schon die Harfenistinnen in<lb/> den Praterschenken Batthyany's Martyrthum, Haynau's Schande und Bem's wun¬<lb/> derbare Schlachten singen.</p><lb/> <p xml:id="ID_660" next="#ID_661"> Bem's Flucht aus Wien und glückliche Ankunft in Ungarn erzählte man sich<lb/> in Komorn auf die verschiedenste Weise. Nach Einigen hat er sich, K I» Enzio<lb/> von Raupach, in einem Sarge über die Linien (Barrivren) der belagerten Wiener<lb/> Stadt tragen lassen, übernachtete auf dem Währinger Kirchhof und ging als Weib<lb/> verkleidet zu Fuße bis Preßburg. Andere erzählen, daß er in der dunkeln Nacht<lb/> des 31. October, nach dem Einzug der kaiserlichen Truppen, einen „Seelentränker" —<lb/> einen Donaunachen, der nur eine einzige Person saßt — bestieg, der Länge nach</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
einander in die Hände. Und dann scholl es: Eljen Italia! So oft der Bom¬
benkessel vom rechten Donauufer herüberkrachte, pflegte ein verwundeter Husaren¬
wachtmeister lustig mit den Sporen zu klirren und zu schmunzeln: Wieder sechzig
Gulden beim Teufel. Der Franz Joseph ist ein Verschwender. Was wird der
6le? Papierfabrikant Kraus dazu sagen?! (Auf sechzig Gulden schätzte man näm¬
lich die Kosten eines jeden Bombenschusses.) Und wenn zuweilen das Bombar-
dnnent eine Weile pausirte, hörten die Kaiserlichen rauschende Musik aus der
Festung herüberklingen. Das war der Rakoczy - Marsch, die herzaufregcnde, sinn¬
verrückende, triumphtrnnkene Schlachtmelodie, die vor mehr als hundert Jahren
schon die kaiserlichen Truppen ins Bockshorn gejagt hatte. Nichts aber war er¬
götzlicher als die Sieger von Hatvan, Waitzen und Gödöllö in der Weinschenke
über ihre Feldherrn sprechen zu hören. Im Monat Juli befanden sich zufällig
Husaren und Honveds vom Bem'schen und vom Görgeyschen Corps in der
Festung. Beide vergötterten ihre Generale und schrieben ihnen Eigenschaften zu,
wie Homer seinem Achilles kaum anzudichten wagte. „Magyar Isten!" (Beim
Gott der Magyaren!) rief ein alter Husarenkorporal, indem er den rothen Wein
aus dem langen grauen Schnurrbart wischte, seinem Nachbar zu; „glaubst, Bru¬
der, daß Görgey hat Respekt vor kaiserliche Kanonenkugel? Er winkt mit Säbel,
und sie macht Reverenz und fallt ans Erden." — „Und Bern!" entgegnet der
Andere, ein junger Honvedoffizier, „meinst etwon, kaiserliche Kugel kann alten
Bem beleidigen? Hob ich selbst geseg'n, wie Flintenkugel kommt auf Bem sein'
Brust zuflogen. Wart' nur. Kugel geht durch, und alter Bem schaut sich über
Achsel und dreht linken Schnurrbart mit zwei Finger. Wo gehst hin, Kujon?
fragt er. Ah so, sagt er, gehst hoch! Daß du mir kein' Husarn anrührst! Und
droht ihr noch mit rechte Hand. Dann: Vorwärts, Marsch! — Eljen Bem,
Eljen Görgey!"
Ueber kurz oder lang sprießt aus den ungarischen Gräbern eine Literatur auf,
die das Haus Habsburg in Verzweiflung bringen wird; kein Preßgesetz, kein Aus¬
nahmszustand wird den Volksmund versiegeln können. Die Lieder und Balladen
der Pnßte werden bei dem enthusiastischen Publikum der Wiener Vorstädte ein
unauslöschliches Echo finden. Wir hören im Geiste schon die Harfenistinnen in
den Praterschenken Batthyany's Martyrthum, Haynau's Schande und Bem's wun¬
derbare Schlachten singen.
Bem's Flucht aus Wien und glückliche Ankunft in Ungarn erzählte man sich
in Komorn auf die verschiedenste Weise. Nach Einigen hat er sich, K I» Enzio
von Raupach, in einem Sarge über die Linien (Barrivren) der belagerten Wiener
Stadt tragen lassen, übernachtete auf dem Währinger Kirchhof und ging als Weib
verkleidet zu Fuße bis Preßburg. Andere erzählen, daß er in der dunkeln Nacht
des 31. October, nach dem Einzug der kaiserlichen Truppen, einen „Seelentränker" —
einen Donaunachen, der nur eine einzige Person saßt — bestieg, der Länge nach
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