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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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der lesen noch schreiben, und nur hauen und stechen zu können, ein fast allge¬
meiner. Die Regierung hat, um diesem in manchen Fällen nur zu gefährlichen
Uebel abzuhelfen, im Innern Rußlands Militairschulen errichtet, in denen Lesen,
Schreiben, Rechnen und Zeichnen gelehrt wird. Allein Personen, welche diese Künste
selbst nur nothdürftig zu üben verstehen, sind immer noch so selten, daß man ih¬
nen gleich bei ihrem Eintritt in ein Regiment Unteroffiziersrang verleiht und sie
in einem Bureau anstellt.

Durch Unwissenheit zeichnen sich vorzüglich die Offiziere der Infanterie ans.
Allein ihr Dünkel pflegt so großartig zu sein als ihre Bornirtheit, daher sie diese
unter einem Schein von hoher Gelehrsamkeit zu verbergen suchen. So zum Bei¬
spiel erscheinen diese russischen Offiziere, welche kein Wort lesen können, sehr gern
in Bibliotheken, Buchläden und öffentlichen Lesezimmern. Sie verweilen da lange
und betrachten die Titel der Bücher mit einer Miene, als ob ihr Geist den in¬
nigsten Antheil hätte. Als ich einen von diesen Herren, welcher in einer Schwei¬
zerbäckerei neben mir sitzend wohl zwei Stunden lang unter seltsamen Micnen-
zuckungen in die Preußische Staatszeitung gefeiert hatte, fragte, was für Welt¬
kunde in dem Blatte zu finden sei, sah er mich anfangs ganz verdutzt an und antwor¬
tete dann: "viel Neuigkeit -- wie es so in der Welt zugeht -- in Ungarn hat
man gestohlen, in der Türkei sind schreckliche Mordthaten vorgekommen und Eng¬
land läßt marschiren." Nachdem er sich entfernt hatte, sah ich das Zeitungsblatt
an und fand, daß es gar keine Artikel ans Ungarn und der Türkei enthielt, und
in den zwei englischen Parlamentsreden, welche sich darin befanden, war kein Wort
vom Marschiren zu lesen. Ein Anderer von dieser Klasse trat eines Tags in die
Glücksberg'sche Buchhandlung in Warschau und ging, nachdem er versichert, daß
er ein großer Freund und Kenner der Literatur sei und sich eine Bibliothek an¬
legen wolle, mit aufmerksamer Miene die Rückentitel der Bücher betrachtend, eine
Stunde lang an den Ncpositorien ans und nieder. Endlich fiel sein Auge auf
einen ungeheuern, mit Stricken eingeschnürten, an der Erde liegenden Ballen. Er
glaubte, daß er Druckschriften, die Werke irgend eines Autors, enthalte. Allein
es war ein Ballen Löschpapier. Löschpapier heißt ans polnisch Bibala. Zu
seinem Unglück kannte der Offizier dieses Wort nicht und hielt es für den Namen
eines Schriftstellers. Als ihm also der Commis gesagt: "es ist Bibala,"
glaubte der russische Offizier sogleich einen Beweis seiner Liebe und Kenntniß
der Literatur geben zu müssen und rief mit scheinbar herzinniger Theilnahme aus:
"ah! ah!! ah!!! Bibala!" das ist ein köstlicher Schriftsteller, eigentlich mein
Lieblingsschriftsteller!" .

Die am wenigsten ungebildeten und unwissenden Offiziere im russischen Heere
sind die Kurländer. Sie sprechen gewöhnlich mehrere Sprachen und sind nicht
blos mit allen Fächern der Kriegswissenschaft vertraut, sondern besitzen sogar eine
gewisse akademische Gelehrsamkeit. Daher findet man sie vorzugsweise in der


der lesen noch schreiben, und nur hauen und stechen zu können, ein fast allge¬
meiner. Die Regierung hat, um diesem in manchen Fällen nur zu gefährlichen
Uebel abzuhelfen, im Innern Rußlands Militairschulen errichtet, in denen Lesen,
Schreiben, Rechnen und Zeichnen gelehrt wird. Allein Personen, welche diese Künste
selbst nur nothdürftig zu üben verstehen, sind immer noch so selten, daß man ih¬
nen gleich bei ihrem Eintritt in ein Regiment Unteroffiziersrang verleiht und sie
in einem Bureau anstellt.

Durch Unwissenheit zeichnen sich vorzüglich die Offiziere der Infanterie ans.
Allein ihr Dünkel pflegt so großartig zu sein als ihre Bornirtheit, daher sie diese
unter einem Schein von hoher Gelehrsamkeit zu verbergen suchen. So zum Bei¬
spiel erscheinen diese russischen Offiziere, welche kein Wort lesen können, sehr gern
in Bibliotheken, Buchläden und öffentlichen Lesezimmern. Sie verweilen da lange
und betrachten die Titel der Bücher mit einer Miene, als ob ihr Geist den in¬
nigsten Antheil hätte. Als ich einen von diesen Herren, welcher in einer Schwei¬
zerbäckerei neben mir sitzend wohl zwei Stunden lang unter seltsamen Micnen-
zuckungen in die Preußische Staatszeitung gefeiert hatte, fragte, was für Welt¬
kunde in dem Blatte zu finden sei, sah er mich anfangs ganz verdutzt an und antwor¬
tete dann: „viel Neuigkeit — wie es so in der Welt zugeht — in Ungarn hat
man gestohlen, in der Türkei sind schreckliche Mordthaten vorgekommen und Eng¬
land läßt marschiren." Nachdem er sich entfernt hatte, sah ich das Zeitungsblatt
an und fand, daß es gar keine Artikel ans Ungarn und der Türkei enthielt, und
in den zwei englischen Parlamentsreden, welche sich darin befanden, war kein Wort
vom Marschiren zu lesen. Ein Anderer von dieser Klasse trat eines Tags in die
Glücksberg'sche Buchhandlung in Warschau und ging, nachdem er versichert, daß
er ein großer Freund und Kenner der Literatur sei und sich eine Bibliothek an¬
legen wolle, mit aufmerksamer Miene die Rückentitel der Bücher betrachtend, eine
Stunde lang an den Ncpositorien ans und nieder. Endlich fiel sein Auge auf
einen ungeheuern, mit Stricken eingeschnürten, an der Erde liegenden Ballen. Er
glaubte, daß er Druckschriften, die Werke irgend eines Autors, enthalte. Allein
es war ein Ballen Löschpapier. Löschpapier heißt ans polnisch Bibala. Zu
seinem Unglück kannte der Offizier dieses Wort nicht und hielt es für den Namen
eines Schriftstellers. Als ihm also der Commis gesagt: „es ist Bibala,"
glaubte der russische Offizier sogleich einen Beweis seiner Liebe und Kenntniß
der Literatur geben zu müssen und rief mit scheinbar herzinniger Theilnahme aus:
„ah! ah!! ah!!! Bibala!" das ist ein köstlicher Schriftsteller, eigentlich mein
Lieblingsschriftsteller!" .

Die am wenigsten ungebildeten und unwissenden Offiziere im russischen Heere
sind die Kurländer. Sie sprechen gewöhnlich mehrere Sprachen und sind nicht
blos mit allen Fächern der Kriegswissenschaft vertraut, sondern besitzen sogar eine
gewisse akademische Gelehrsamkeit. Daher findet man sie vorzugsweise in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/136>, abgerufen am 15.01.2025.