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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Banquette in voriger Woche die Excandidatin Jeanne Derouin eine andere socia¬
listische Dame, Madame Rebollet, auf Pistolen forderte, als die letztere die Kühn¬
heit gehabt hatte, zu sagen, sie fände es unpassend, wenn Frauen in der Assem-
bl"-e nationale Sitz und Stimme bekämen. Das Duell fand wirklich am folgenden
Tage im Bois de Boulogne statt und die Kandidatin erhielt eine tüchtige Ver¬
wundung von ihrer braven Gegnerin. Nehmt ein Exempel d'ran! Sonst ging es
bei jenem Banquett, welches gewissermaßen der feierliche Einwcihungsact der neuen
Sitzungsperiode von Seiten der Socialisten war, sehr ruhig und anständig zu,
was einigen Zuschauern aufgefallen ist. Ueberhaupt nimmt sich la Montagne
außerordentlich zusammen. Lammenais, welcher jetzt, nachdem Nibeyrolles nach
England decampirt ist, die Reforme redigirt und eines der Parteihäupter ist, hatte
vor Eröffnung der Nationalversammlung alle Mitglieder des Bergs versammelt
und ließ dieselben den feierlichen Schwur leisten, sich während der kommenden
Debatten stets ruhig, ernst, still und würdig zu halte"! Sie schworen Alle, aber
das kleine Journal, welches andern Tages die ga"ze Scene hämisch beschrieb,
wird Recht behalten mit der Schlußphrase seines Artikels: "I^c? n-"duret I'ca-
pa'dei'it!" --

Eine fünfte, sehr kleine Partei sind die Bonapartisten, mit dem General Piat als
Chef. Nur ein Journal, I^e eux vecvmln-e, vertritt hier ihre Interessen und trotz
der Präsidentschaft des ersten napoleoniden und der Agitation seiner vielen Vettern
leben die Sympathieen für den petit Oum-in nur noch in den Herzen weniger
Graubärte und Stelzfüße, und die für seine Familie in noch viel wenigeren.

Vieles böse Blut haben in allen politischen Fractionen ohne Ausnahme die
römischen Angelegenheiten gemacht. Niemand ist in Paris, welcher die Politik,
die das Gouvernement in jenen befolgte, gebilligt hätte. Namentlich war und ist
noch die Erbitterung darüber in den unteren Volksclassen sehr groß, und es dür¬
fen sich nirgends Troupiers sehen lassen, ohne sogleich aus hundert Kehlen mit
dem Spottruf: Loldats <l" begrüßt zu werden. Am letzten Sonnabend
gab man im Theater der Porte Se. Martin zum ersten Mal ein neues Drama:
uomo, eine lose Aneinanderreihung vou Episoden ans der Belagerung und Ein¬
nahme Roms. Paris hat noch niemals einen Tumult gesehen, wie den bei jener
Aufführung. Es scheint, daß sich alle revolutionären Clubs ein Rendezvous im
Theater gegeben hatten; ein Alles übertäubender Beifallssturm begleitete den Mord
Rossi's; als die französischen Soldaten auftraten, erscholl ein Pfeifen, Trommel",
Schnarren, Stampfen, das mit dem Wuthgeschrei: ^ das les 8oläats an^apo!
ein solch infernalisches Getöse bildete, daß ein guter Deutscher davon hätte wahn¬
sinnig werden können. Auf diesen Scandal hin ist das Stück gestern verboten
worden. Es darf dies schon um deswillen ein Glück genannt werden, weil sämmt¬
liche hier liegende Regimenter, wie mir aus sicherster Quelle mitgetheilt worden
ist, aus jeder Compagnie eine Anzahl entschlossener, tapferer Männer ausgewählt


Banquette in voriger Woche die Excandidatin Jeanne Derouin eine andere socia¬
listische Dame, Madame Rebollet, auf Pistolen forderte, als die letztere die Kühn¬
heit gehabt hatte, zu sagen, sie fände es unpassend, wenn Frauen in der Assem-
bl«-e nationale Sitz und Stimme bekämen. Das Duell fand wirklich am folgenden
Tage im Bois de Boulogne statt und die Kandidatin erhielt eine tüchtige Ver¬
wundung von ihrer braven Gegnerin. Nehmt ein Exempel d'ran! Sonst ging es
bei jenem Banquett, welches gewissermaßen der feierliche Einwcihungsact der neuen
Sitzungsperiode von Seiten der Socialisten war, sehr ruhig und anständig zu,
was einigen Zuschauern aufgefallen ist. Ueberhaupt nimmt sich la Montagne
außerordentlich zusammen. Lammenais, welcher jetzt, nachdem Nibeyrolles nach
England decampirt ist, die Reforme redigirt und eines der Parteihäupter ist, hatte
vor Eröffnung der Nationalversammlung alle Mitglieder des Bergs versammelt
und ließ dieselben den feierlichen Schwur leisten, sich während der kommenden
Debatten stets ruhig, ernst, still und würdig zu halte»! Sie schworen Alle, aber
das kleine Journal, welches andern Tages die ga»ze Scene hämisch beschrieb,
wird Recht behalten mit der Schlußphrase seines Artikels: „I^c? n-»duret I'ca-
pa'dei'it!" —

Eine fünfte, sehr kleine Partei sind die Bonapartisten, mit dem General Piat als
Chef. Nur ein Journal, I^e eux vecvmln-e, vertritt hier ihre Interessen und trotz
der Präsidentschaft des ersten napoleoniden und der Agitation seiner vielen Vettern
leben die Sympathieen für den petit Oum-in nur noch in den Herzen weniger
Graubärte und Stelzfüße, und die für seine Familie in noch viel wenigeren.

Vieles böse Blut haben in allen politischen Fractionen ohne Ausnahme die
römischen Angelegenheiten gemacht. Niemand ist in Paris, welcher die Politik,
die das Gouvernement in jenen befolgte, gebilligt hätte. Namentlich war und ist
noch die Erbitterung darüber in den unteren Volksclassen sehr groß, und es dür¬
fen sich nirgends Troupiers sehen lassen, ohne sogleich aus hundert Kehlen mit
dem Spottruf: Loldats <l» begrüßt zu werden. Am letzten Sonnabend
gab man im Theater der Porte Se. Martin zum ersten Mal ein neues Drama:
uomo, eine lose Aneinanderreihung vou Episoden ans der Belagerung und Ein¬
nahme Roms. Paris hat noch niemals einen Tumult gesehen, wie den bei jener
Aufführung. Es scheint, daß sich alle revolutionären Clubs ein Rendezvous im
Theater gegeben hatten; ein Alles übertäubender Beifallssturm begleitete den Mord
Rossi's; als die französischen Soldaten auftraten, erscholl ein Pfeifen, Trommel»,
Schnarren, Stampfen, das mit dem Wuthgeschrei: ^ das les 8oläats an^apo!
ein solch infernalisches Getöse bildete, daß ein guter Deutscher davon hätte wahn¬
sinnig werden können. Auf diesen Scandal hin ist das Stück gestern verboten
worden. Es darf dies schon um deswillen ein Glück genannt werden, weil sämmt¬
liche hier liegende Regimenter, wie mir aus sicherster Quelle mitgetheilt worden
ist, aus jeder Compagnie eine Anzahl entschlossener, tapferer Männer ausgewählt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/118>, abgerufen am 15.01.2025.