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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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in die Welt geblasen, wie Lamartine sein Selbstlob. Dieser Mann ist sehr schnell
von dem Gipfel herabgerntscht auf welchen ihn die Begeisterung eines Moments
gehoben hatte. Dagegen steht Cavaignac noch in demselben Ansehen, wie je zu¬
vor. Der energische Feldherr ist ein energischer Federbett geworden, und sein
Journal, le Credit, beweist, daß er sich eben so gut in der Arena der Wortge¬
fechte zu tummeln versteht, wie im Sande der Wüste bei irgend einer Razzia.
Lamartine legt die salbungsvoll poetische Weisheit seiner politischen Meinung jetzt
im Siocle nieder. Ein anderer Mann dieser Partei, früher ihr Anführer, der
ehemalige Präsident der Constituante, Armand Marrast, ist bei den letzten Wah¬
len zur Legislative total durchgefallen. Er hat dies selbst verschuldet durch thö¬
richte" Hochmuth und ein Betragen, das ihm bei allen Parteien Feinde erwarb.
Jetzt muß der rollt in-u-Pli" N-n-i-list, wie er spottweise genannt wird, sich be¬
gnügen, im Hintertreffen zu stehen und im Dunkeln zu wühlen.

Die Socialisten bilden die vierte Partei und jedenfalls die am besten orga-
nisirte. Zu der Fahne der la Montagne schworen mindestens A aller Arbeiter in
ganz Frankreich, und, wie die letzten Wahlen es ans das Evidenteste bewiesen
haben, beläuft sich deren Anzahl allein in Paris anf mindestens i:!0,0tlo. Ihre
Führer sind in der Kammer Etienne Arago, Charras, Jules Favre, Lagrange,
Lammenais, Savoie ?c., aber diese besitzen nicht die Energie und das Talent der
Hanpthähne Ledru-Nollin, Proudhon, Considerant ze., welche jetzt leider theils
auf der Flucht, theils im Gefängniß find. Seitdem diese vom Schauplatz abge-
treten sind, hat die socialistische Partei, trotz ihrer guten Organisation, sehr viel
eingebüßt an Einigkeit und Taktik. Merkwürdig ist dabei aber immer und sehr
bezeichnend, daß sie trotz aller Uneinigkeit unter sich, dem Feinde gegenüber stets
wie ein Mann steht und stimmt. Barbvs lag im Krieg mit Blauqni, Proudhon
mit Considerant, dieser mit Cabet, Louis Blanc mit Allen zusammen und mit
der ganzen Welt; jeder hat seinen socialistisch theoretischen Standpunkt wüthend
vertheidigt und mit Worten um sich geworfen, welche anderswo ewige Trennung
nach sich ziehen würden -- aber mein, die Pariser Socialisten bekämpfen in ihren
verschiedenen Spaltungen sich einander selbst sehr hartnäckig, noch hartnäckiger
aber ihren Feind, die Bourgeoisie, und uuter diese rangirt, wer nicht zu ihnen
gehört. Ledru-Nollin ist seiner Zeit als der Klügste der Dictator des französi¬
schen Socialismus gewesen blos deshalb, weil er sich über dessen einzelne Par-
teiungen gestellt und es verstanden hatte, alle zu gemeinsamem Zweck im Handeln
zu vereinigen. Welches Ansehn dieser gefeierte Volkstribun genoß, wie sehr ihn
das Volk, nicht allein von Paris, sondern von ganz Frankreich ehrte und liebte,
davon kann man sich im Ausland gar keinen Begriff machen. Talent war dem
Manne nicht abzusprechen, auf der Rednerbühne riß er die Zuhörer unwillkürlich
hin und behandelte die Rechte mit Keulenschlägen so schonungslos und übermüthig,
daß immer ein Zucken der Furcht dnrch ihre Glieder fuhr, sobald Ledrn-Rollin


in die Welt geblasen, wie Lamartine sein Selbstlob. Dieser Mann ist sehr schnell
von dem Gipfel herabgerntscht auf welchen ihn die Begeisterung eines Moments
gehoben hatte. Dagegen steht Cavaignac noch in demselben Ansehen, wie je zu¬
vor. Der energische Feldherr ist ein energischer Federbett geworden, und sein
Journal, le Credit, beweist, daß er sich eben so gut in der Arena der Wortge¬
fechte zu tummeln versteht, wie im Sande der Wüste bei irgend einer Razzia.
Lamartine legt die salbungsvoll poetische Weisheit seiner politischen Meinung jetzt
im Siocle nieder. Ein anderer Mann dieser Partei, früher ihr Anführer, der
ehemalige Präsident der Constituante, Armand Marrast, ist bei den letzten Wah¬
len zur Legislative total durchgefallen. Er hat dies selbst verschuldet durch thö¬
richte» Hochmuth und ein Betragen, das ihm bei allen Parteien Feinde erwarb.
Jetzt muß der rollt in-u-Pli« N-n-i-list, wie er spottweise genannt wird, sich be¬
gnügen, im Hintertreffen zu stehen und im Dunkeln zu wühlen.

Die Socialisten bilden die vierte Partei und jedenfalls die am besten orga-
nisirte. Zu der Fahne der la Montagne schworen mindestens A aller Arbeiter in
ganz Frankreich, und, wie die letzten Wahlen es ans das Evidenteste bewiesen
haben, beläuft sich deren Anzahl allein in Paris anf mindestens i:!0,0tlo. Ihre
Führer sind in der Kammer Etienne Arago, Charras, Jules Favre, Lagrange,
Lammenais, Savoie ?c., aber diese besitzen nicht die Energie und das Talent der
Hanpthähne Ledru-Nollin, Proudhon, Considerant ze., welche jetzt leider theils
auf der Flucht, theils im Gefängniß find. Seitdem diese vom Schauplatz abge-
treten sind, hat die socialistische Partei, trotz ihrer guten Organisation, sehr viel
eingebüßt an Einigkeit und Taktik. Merkwürdig ist dabei aber immer und sehr
bezeichnend, daß sie trotz aller Uneinigkeit unter sich, dem Feinde gegenüber stets
wie ein Mann steht und stimmt. Barbvs lag im Krieg mit Blauqni, Proudhon
mit Considerant, dieser mit Cabet, Louis Blanc mit Allen zusammen und mit
der ganzen Welt; jeder hat seinen socialistisch theoretischen Standpunkt wüthend
vertheidigt und mit Worten um sich geworfen, welche anderswo ewige Trennung
nach sich ziehen würden — aber mein, die Pariser Socialisten bekämpfen in ihren
verschiedenen Spaltungen sich einander selbst sehr hartnäckig, noch hartnäckiger
aber ihren Feind, die Bourgeoisie, und uuter diese rangirt, wer nicht zu ihnen
gehört. Ledru-Nollin ist seiner Zeit als der Klügste der Dictator des französi¬
schen Socialismus gewesen blos deshalb, weil er sich über dessen einzelne Par-
teiungen gestellt und es verstanden hatte, alle zu gemeinsamem Zweck im Handeln
zu vereinigen. Welches Ansehn dieser gefeierte Volkstribun genoß, wie sehr ihn
das Volk, nicht allein von Paris, sondern von ganz Frankreich ehrte und liebte,
davon kann man sich im Ausland gar keinen Begriff machen. Talent war dem
Manne nicht abzusprechen, auf der Rednerbühne riß er die Zuhörer unwillkürlich
hin und behandelte die Rechte mit Keulenschlägen so schonungslos und übermüthig,
daß immer ein Zucken der Furcht dnrch ihre Glieder fuhr, sobald Ledrn-Rollin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/116>, abgerufen am 15.01.2025.