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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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als ein sehr mächtiger Stein des Hindernisses im Wege liegt, so hoffen sie den-
selben nicht allein dnrch das Konsulat zu irgend einem gewagten Wciterschritte zu
verleiten, sondern auch dnrch jenes das Volk ans die Monarchie von Neuem vorzube¬
reiten. Aber der Präsident wird schwerlich in die Falle gehen, und die Nation, d. h.
der jetzt dominirende Kern derselben, die Arbeiter, sind so entschieden socialistisch-repu¬
blikanisch, daß ein jeder Versuch der Bourgeoisie, gegen welche unter ihnen eine
maßlose Erbitterung herrscht, das Haupt zu erhebeu und an der bestehenden Staats¬
form zu rütteln, zu den blutigsten Kämpfen führen würde. Es ist kaum glaublich,
mit welcher Geschicklichkeit, Kühnheit und Ausdauer die Führer der Socialisten die
unteren Schichten der Gesellschaft zu bearbeiten, gewinnen und zu organisiren ver¬
standen haben. Kein Zweifel, Einigkeit und innere Kraft machen die socialistische
Partei in Frankreich zu einem höchst gefährlichen und drohenden Körper. Ein Zu¬
sammenstoß mit demselben würde heutzutage wahrscheinlich noch weit furchtbarer
werden, wie in den Junitiigen, und selbst die mit den Hilfskräften der Regierung
genan bekannten Männer schütteln bedenklich den Kopf, wenn mau über Möglich¬
keit und Erfolg einer neuen Nevolie debattirt.

Die Parteien in der Nationalversammlung sind consolidirt und haben ihre
Phalangen geschlossen, Führer und Sprecher, Organe und Berathungslocale ge¬
wählt. Gegenwärtig sind die Legitimisten die zahlreichste und mächtigste Partei.
Die Anhänger des 0>me" <Jo (>>,!>,enden-it, Henry V., haben ihr Ziel mit einer
Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit verfolgt, welche ihnen Bewunderung zollen macht.
Dadurch ist es ihnen gelungen, sich vou einem kleinen Stamm, der in Louis
Philipps ersten Negieruugsjahreu zwar bemerkbar genug emporstrebte, aber vou
der Negierung mit Geringschätzung betrachtet wurde, zu einem riesig verzweigten
Baum auszubreiten, der allenthalben hin seine Aeste und Wurzelausläufer sendet.
Im ganzen M^i "Jo 1^ I^imo.-, in der Bretagne oder Vendve bildet die legitimi-
stische Partei die Mehrzahl der Bevölkerung. Ihre Chefs in der Nationalver¬
sammlung sind hauptsächlich Berrycr und Larvchejaqnelin. Den letzteren habe
ich Ihnen schon früher zu schildern versucht; er repräsentirt das noble und cheva-
lereöke Element in der legitimistischen Fraction, Berryer dagegen ist der gelehrte
Kämpfer, der elegante Polyhistor, der weise Schiedsrichter der bourbonistischen
Salons in der Chaussi-e d'Antiu und Nile Richelieu. Das vorzüglichste Organ
der Interessen Heinrichs des Fünften ist die Gazette de France. Ihr langjähriger
Redacteur, der vielbekannte und oftgenannte Ubbo de Genonde, ein Zögling der
Jesuiten, ist kürzlich an der Cholera gestorben und wurde dicht neben seinem un¬
versöhnlichen Feind Bugeaud auf Pere la Chaise begraben. Der Ubbo de Ge¬
nonde hatte nnr einen Wahlspruch: Gott ist groß und Chateaubriand ist sein
Prophet -- die Bourbonen aber sind die geborenen Stellvertreter Gottes aus
Erden. Sein Nachfolger in der Redaction ist Herr de Lonrdaix, ein Mann, dessen
Fähigkeiten groß genug sind, welcher aber keineswegs die eiserne Consequenz des


als ein sehr mächtiger Stein des Hindernisses im Wege liegt, so hoffen sie den-
selben nicht allein dnrch das Konsulat zu irgend einem gewagten Wciterschritte zu
verleiten, sondern auch dnrch jenes das Volk ans die Monarchie von Neuem vorzube¬
reiten. Aber der Präsident wird schwerlich in die Falle gehen, und die Nation, d. h.
der jetzt dominirende Kern derselben, die Arbeiter, sind so entschieden socialistisch-repu¬
blikanisch, daß ein jeder Versuch der Bourgeoisie, gegen welche unter ihnen eine
maßlose Erbitterung herrscht, das Haupt zu erhebeu und an der bestehenden Staats¬
form zu rütteln, zu den blutigsten Kämpfen führen würde. Es ist kaum glaublich,
mit welcher Geschicklichkeit, Kühnheit und Ausdauer die Führer der Socialisten die
unteren Schichten der Gesellschaft zu bearbeiten, gewinnen und zu organisiren ver¬
standen haben. Kein Zweifel, Einigkeit und innere Kraft machen die socialistische
Partei in Frankreich zu einem höchst gefährlichen und drohenden Körper. Ein Zu¬
sammenstoß mit demselben würde heutzutage wahrscheinlich noch weit furchtbarer
werden, wie in den Junitiigen, und selbst die mit den Hilfskräften der Regierung
genan bekannten Männer schütteln bedenklich den Kopf, wenn mau über Möglich¬
keit und Erfolg einer neuen Nevolie debattirt.

Die Parteien in der Nationalversammlung sind consolidirt und haben ihre
Phalangen geschlossen, Führer und Sprecher, Organe und Berathungslocale ge¬
wählt. Gegenwärtig sind die Legitimisten die zahlreichste und mächtigste Partei.
Die Anhänger des 0>me« <Jo (>>,!>,enden-it, Henry V., haben ihr Ziel mit einer
Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit verfolgt, welche ihnen Bewunderung zollen macht.
Dadurch ist es ihnen gelungen, sich vou einem kleinen Stamm, der in Louis
Philipps ersten Negieruugsjahreu zwar bemerkbar genug emporstrebte, aber vou
der Negierung mit Geringschätzung betrachtet wurde, zu einem riesig verzweigten
Baum auszubreiten, der allenthalben hin seine Aeste und Wurzelausläufer sendet.
Im ganzen M^i «Jo 1^ I^imo.-, in der Bretagne oder Vendve bildet die legitimi-
stische Partei die Mehrzahl der Bevölkerung. Ihre Chefs in der Nationalver¬
sammlung sind hauptsächlich Berrycr und Larvchejaqnelin. Den letzteren habe
ich Ihnen schon früher zu schildern versucht; er repräsentirt das noble und cheva-
lereöke Element in der legitimistischen Fraction, Berryer dagegen ist der gelehrte
Kämpfer, der elegante Polyhistor, der weise Schiedsrichter der bourbonistischen
Salons in der Chaussi-e d'Antiu und Nile Richelieu. Das vorzüglichste Organ
der Interessen Heinrichs des Fünften ist die Gazette de France. Ihr langjähriger
Redacteur, der vielbekannte und oftgenannte Ubbo de Genonde, ein Zögling der
Jesuiten, ist kürzlich an der Cholera gestorben und wurde dicht neben seinem un¬
versöhnlichen Feind Bugeaud auf Pere la Chaise begraben. Der Ubbo de Ge¬
nonde hatte nnr einen Wahlspruch: Gott ist groß und Chateaubriand ist sein
Prophet — die Bourbonen aber sind die geborenen Stellvertreter Gottes aus
Erden. Sein Nachfolger in der Redaction ist Herr de Lonrdaix, ein Mann, dessen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/114>, abgerufen am 15.01.2025.