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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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daß wir in Rom mit so wenig Rücksichten behandelt werden! Ganz und gar
nicht, das gestehe ich Ihnen offen! -- Der Brief wird gedruckt und Europa
geräth in eine große Aufregung. -- Haben Sie schon gehört? Dem Prinzen
Bonaparte gefällt es ganz und gar nicht, daß die große Nation mit so wenig
Rücksichten behandelt wird! Ein höchst wichtiges Factum! -- Ueber den Grad
dieser Wichtigkeit quält sich nun die Presse ab; die Herren v. Larochejacquelin
aber, v. Montalembert und die sonstigen Heiligen der goldenen Jugend vou Frank¬
reich, steigen zu ihrem Freunde und Gevatter, Herrn v. Falloux: Um Gottes¬
willen, wie können Sie es zugeben, daß dieser Herr Bonaparte sich über Dinge,
von deuen er nichts versteht, solche Impertinenzen erlaubt? -- Aber mein Gott,
ich kann ihm doch nicht verwehren, mit seinem guten Freunde, Oberst Ney, zu
correspondiren, wenn es auch einen Gegenstand betrifft, der über seinen Horizont
geht! -- Das hilft nichts, Sie müssen ebenfalls durch eine großartige Demon¬
stration der Sache eine neue Wendung geben. -- Auch gut! aber was geschwind?
Der Präsident hat einen Brief geschrieben, nnn wohl, ich bekomme die Grippe!
-- Und der Moniteur meldet, daß Herr v. Falloux die Grippe hat, Enropa ist
beruhigt, der heilige Stuhl zufriedengestellt und die Ehre der großen Nation mit
der Idee des europäischen Gleichgewichts vereinbart.

Einen besonders erhabenen Ausgang der jüngsten französischen Revolution
habe ich nie erwartet, aber ein so lächerlicher Schlußact geht über meine Vor¬
stellungen.

Soll mau sich da nicht wieder von der historischen Tragödie zum bürgerlichen
Schauspiel wenden? Von den Ideen zu den Individuen? Da ist doch Abwech¬
selung, Spaß, Abenteuer und liebenswürdige Tollheit. Verfolgen Sie die schöne
Lota auf ihren Wanderungen, die Geschichte ist nicht erbaulich, aber es ist doch
Race in dem Frauenzimmer! Die guten deutscheu Lyriker verschenken das ewige
Lied der Liebe und wollten nur noch zu Ehre Atoms' und seiner Söhne die
Cither schlagen; und nun liegt Agamemnon mit den Trojanern eingeschlossen in
dem Marioncttenkasten, und die bunten Flitter, die im Kerzenlicht hell genug
schimmerten, sehen bei Tage fahl und abgeschmackt aus. Es kaun noch nicht die
Lerche gewesen sein, ihr jungen Montecchi, die euch aus euren Sonetten geweckt
hat, ihr habt euch durch eine salschsingende Nachtigall foppen lassen. -- Und Sie,
mein Freund! bleiben Sie beim Lustspiel, das allgemein Menschliche behält immer
seinen Reiz, die Weltgeschichte nimmt große Anläufe, aber man kann nicht wissen,
ob sie sich nicht im Sande verläuft.

Sehen Sie, die große" historischen Personen selbst neigen sich ja wieder Jff-
land zu. Wenn Sie ein großdentsches und ein kleindeutsches Blatt lesen, so soll¬
ten Sie denken, morgen geht's los; Haynau, der Held von Brescia, rückt vor
Berlin, und die Mark wird von kroatischen Rvthmänteln romantisirt, oder Wrän¬
ge! mit seinen Blechkappen entsetzt Komorn und ruft die Wiener Demokraten zur


daß wir in Rom mit so wenig Rücksichten behandelt werden! Ganz und gar
nicht, das gestehe ich Ihnen offen! — Der Brief wird gedruckt und Europa
geräth in eine große Aufregung. — Haben Sie schon gehört? Dem Prinzen
Bonaparte gefällt es ganz und gar nicht, daß die große Nation mit so wenig
Rücksichten behandelt wird! Ein höchst wichtiges Factum! — Ueber den Grad
dieser Wichtigkeit quält sich nun die Presse ab; die Herren v. Larochejacquelin
aber, v. Montalembert und die sonstigen Heiligen der goldenen Jugend vou Frank¬
reich, steigen zu ihrem Freunde und Gevatter, Herrn v. Falloux: Um Gottes¬
willen, wie können Sie es zugeben, daß dieser Herr Bonaparte sich über Dinge,
von deuen er nichts versteht, solche Impertinenzen erlaubt? — Aber mein Gott,
ich kann ihm doch nicht verwehren, mit seinem guten Freunde, Oberst Ney, zu
correspondiren, wenn es auch einen Gegenstand betrifft, der über seinen Horizont
geht! — Das hilft nichts, Sie müssen ebenfalls durch eine großartige Demon¬
stration der Sache eine neue Wendung geben. — Auch gut! aber was geschwind?
Der Präsident hat einen Brief geschrieben, nnn wohl, ich bekomme die Grippe!
— Und der Moniteur meldet, daß Herr v. Falloux die Grippe hat, Enropa ist
beruhigt, der heilige Stuhl zufriedengestellt und die Ehre der großen Nation mit
der Idee des europäischen Gleichgewichts vereinbart.

Einen besonders erhabenen Ausgang der jüngsten französischen Revolution
habe ich nie erwartet, aber ein so lächerlicher Schlußact geht über meine Vor¬
stellungen.

Soll mau sich da nicht wieder von der historischen Tragödie zum bürgerlichen
Schauspiel wenden? Von den Ideen zu den Individuen? Da ist doch Abwech¬
selung, Spaß, Abenteuer und liebenswürdige Tollheit. Verfolgen Sie die schöne
Lota auf ihren Wanderungen, die Geschichte ist nicht erbaulich, aber es ist doch
Race in dem Frauenzimmer! Die guten deutscheu Lyriker verschenken das ewige
Lied der Liebe und wollten nur noch zu Ehre Atoms' und seiner Söhne die
Cither schlagen; und nun liegt Agamemnon mit den Trojanern eingeschlossen in
dem Marioncttenkasten, und die bunten Flitter, die im Kerzenlicht hell genug
schimmerten, sehen bei Tage fahl und abgeschmackt aus. Es kaun noch nicht die
Lerche gewesen sein, ihr jungen Montecchi, die euch aus euren Sonetten geweckt
hat, ihr habt euch durch eine salschsingende Nachtigall foppen lassen. — Und Sie,
mein Freund! bleiben Sie beim Lustspiel, das allgemein Menschliche behält immer
seinen Reiz, die Weltgeschichte nimmt große Anläufe, aber man kann nicht wissen,
ob sie sich nicht im Sande verläuft.

Sehen Sie, die große» historischen Personen selbst neigen sich ja wieder Jff-
land zu. Wenn Sie ein großdentsches und ein kleindeutsches Blatt lesen, so soll¬
ten Sie denken, morgen geht's los; Haynau, der Held von Brescia, rückt vor
Berlin, und die Mark wird von kroatischen Rvthmänteln romantisirt, oder Wrän¬
ge! mit seinen Blechkappen entsetzt Komorn und ruft die Wiener Demokraten zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/516>, abgerufen am 05.02.2025.