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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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die zierlichen Schnurrbärte und schmucken Attila's der magyarischen Ambassadeure
zu bewundern!!! Ein unangenehmes Seitenstück hierzu war seine bekannte Antritts¬
rede zu Kremster, voll unedlen Hohnes gegen die wenigstens der Mehrzahl nach
ehrlich gesinnten Mitglieder deö Wiener October-Rumpsparlements. Wie ganz
anders, schöner und bedeutender stand Rieger da, als er vor den Ministern zu
Kremsier seine Philippika für den ersten Paragraph der Grundrechte herabdonnerte.
Freilich war diese Rede ihrer Anlage nach bloße Komödie, wohl wußte Rieger,
daß sie nutzlos sein würde, hatte er doch mit in den Clubs gesessen, welche ge¬
rade diesen ersten Paragraph (von der Volkssouveränität) vorher unterminirt hatten.
Rieger wußte dies und sprach doch so gut und so überzeugend, so feurig und be¬
geistert. Gewiß hat er in diesem Moment sich selbst für das Recht der Volkssou¬
veränität hingerissen, und indem er sprach, wäre er vielleicht noch umgekehrt, seiner
bessern Ueberzeugung folgend. Allein es war zu spät, zu spät sür den Mann, der
nicht lange zuvor mit merkwürdiger Kurzsichtigkeit -- wir wählen hier den mil¬
desten Ausdruck, behauptet hatte: "Es gibt keine Reaktion, ich glaube nicht daran,
es git't gewiß keine Reaktion!"

Rieger ist seit dem März l. I. in Paris. In diesen Tagen ist er Gegen¬
stand einer Zeitungsente -- für etwas anderes halten wir die ganze Sache nicht --
geworden, als Conspircmt für den Verfall Oestreichs, gemeinschaftlich mit Fürst
Czartorisky, Graf Adam Teleky, Palaky u. A. Rieger ist zu einem solchen Schritt
zu vorsichtig, vielleicht nicht einmal entschlossen und energisch genug. -- Er ist das
größte parlamentarische Talent der Czechen, ob die Zeit, die wandelnde, ans dem
Mann von 31 Jahren einen politischen Charakter formen wird?

Trojan. Ein unerquickliches Gegenstück zu Rieger bildet der in der
neuesten Zeit vielfach angegriffene Pravvslaw. Trojan, ein mittelgroßer, behä¬
biger Mann, hart an den Vierziger, mit stumpfer, gewöhnlicher Physiognomie, in
welcher recht dünkelhafte Selbstgefälligkeit sitzt, und lichtliraunem altfränkisch ver¬
schnittenen Haupthaar. In der ganzen Erscheinung ist er philisterhaft, was er
nicht einmal durch seine auffallende Slaventracht zu maskiren vermochte. - Seine
Art, die Pelzmütze aufzusetzen, seine Art, den Schnurrbart zu streichen und die
Beine in den knappen Trikots und Topanken zu bewegen, hatte immer etwas unwi¬
derstehlich komisches. Vor dem März war Trojan eine der Hauptfiguren in den
Sitzungen des böhmischen Gewerbevereins und einer der eifrigsten Kämpfer für die
ezechische Gewerbeschule, für welche er in der That sehr viel Verdienstliches lieferte.
Eine eiserne Stirn und ein riesiger Fleiß, verbunden mit redlichem Willen für dies
Projekt, halfen viel durchsetzen, doch verdarb er auch vieles wieder durch seine
breite, schwülstige Redeweise -- er war, wie man zu sagen Pflegt, zum Todt¬
reden und seine Gegner nannten ihn das trojanische Pferd des Gewerbevereins.
Doch sein Eifer und die Wichtigkeit seiner Bemühung winden von seiner Partei
nicht blos anerkannt, sondern sogar überschätzt. Am 12. März 1848 hatte Trojan,


die zierlichen Schnurrbärte und schmucken Attila's der magyarischen Ambassadeure
zu bewundern!!! Ein unangenehmes Seitenstück hierzu war seine bekannte Antritts¬
rede zu Kremster, voll unedlen Hohnes gegen die wenigstens der Mehrzahl nach
ehrlich gesinnten Mitglieder deö Wiener October-Rumpsparlements. Wie ganz
anders, schöner und bedeutender stand Rieger da, als er vor den Ministern zu
Kremsier seine Philippika für den ersten Paragraph der Grundrechte herabdonnerte.
Freilich war diese Rede ihrer Anlage nach bloße Komödie, wohl wußte Rieger,
daß sie nutzlos sein würde, hatte er doch mit in den Clubs gesessen, welche ge¬
rade diesen ersten Paragraph (von der Volkssouveränität) vorher unterminirt hatten.
Rieger wußte dies und sprach doch so gut und so überzeugend, so feurig und be¬
geistert. Gewiß hat er in diesem Moment sich selbst für das Recht der Volkssou¬
veränität hingerissen, und indem er sprach, wäre er vielleicht noch umgekehrt, seiner
bessern Ueberzeugung folgend. Allein es war zu spät, zu spät sür den Mann, der
nicht lange zuvor mit merkwürdiger Kurzsichtigkeit — wir wählen hier den mil¬
desten Ausdruck, behauptet hatte: „Es gibt keine Reaktion, ich glaube nicht daran,
es git't gewiß keine Reaktion!"

Rieger ist seit dem März l. I. in Paris. In diesen Tagen ist er Gegen¬
stand einer Zeitungsente — für etwas anderes halten wir die ganze Sache nicht —
geworden, als Conspircmt für den Verfall Oestreichs, gemeinschaftlich mit Fürst
Czartorisky, Graf Adam Teleky, Palaky u. A. Rieger ist zu einem solchen Schritt
zu vorsichtig, vielleicht nicht einmal entschlossen und energisch genug. — Er ist das
größte parlamentarische Talent der Czechen, ob die Zeit, die wandelnde, ans dem
Mann von 31 Jahren einen politischen Charakter formen wird?

Trojan. Ein unerquickliches Gegenstück zu Rieger bildet der in der
neuesten Zeit vielfach angegriffene Pravvslaw. Trojan, ein mittelgroßer, behä¬
biger Mann, hart an den Vierziger, mit stumpfer, gewöhnlicher Physiognomie, in
welcher recht dünkelhafte Selbstgefälligkeit sitzt, und lichtliraunem altfränkisch ver¬
schnittenen Haupthaar. In der ganzen Erscheinung ist er philisterhaft, was er
nicht einmal durch seine auffallende Slaventracht zu maskiren vermochte. - Seine
Art, die Pelzmütze aufzusetzen, seine Art, den Schnurrbart zu streichen und die
Beine in den knappen Trikots und Topanken zu bewegen, hatte immer etwas unwi¬
derstehlich komisches. Vor dem März war Trojan eine der Hauptfiguren in den
Sitzungen des böhmischen Gewerbevereins und einer der eifrigsten Kämpfer für die
ezechische Gewerbeschule, für welche er in der That sehr viel Verdienstliches lieferte.
Eine eiserne Stirn und ein riesiger Fleiß, verbunden mit redlichem Willen für dies
Projekt, halfen viel durchsetzen, doch verdarb er auch vieles wieder durch seine
breite, schwülstige Redeweise — er war, wie man zu sagen Pflegt, zum Todt¬
reden und seine Gegner nannten ihn das trojanische Pferd des Gewerbevereins.
Doch sein Eifer und die Wichtigkeit seiner Bemühung winden von seiner Partei
nicht blos anerkannt, sondern sogar überschätzt. Am 12. März 1848 hatte Trojan,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/509>, abgerufen am 05.02.2025.