Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.unter Allegirung jenes Paragraphen, in das Fundament der Verfassung eingegriffen, Die Ansicht der Majorität ist nun von der Art gewesen, daß sie sich vor Die Revision wird zuversichtlich die demokratische Färbung, welche anch die Ich muß gesteh", daß dies kleinliche Feilschen um Recht und Unrecht nicht ge¬ unter Allegirung jenes Paragraphen, in das Fundament der Verfassung eingegriffen, Die Ansicht der Majorität ist nun von der Art gewesen, daß sie sich vor Die Revision wird zuversichtlich die demokratische Färbung, welche anch die Ich muß gesteh», daß dies kleinliche Feilschen um Recht und Unrecht nicht ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279500"/> <p xml:id="ID_1601" prev="#ID_1600"> unter Allegirung jenes Paragraphen, in das Fundament der Verfassung eingegriffen,<lb/> sie hatte das Wahlgesetz eigenmächtig verändert, und damit den Factor des kon¬<lb/> stitutionellen Lebens, welchem sie Rechenschaft ablegen sollte, willkürlich aufgehoben.<lb/> Daß die zweite Kammer nicht im Staude war, diesen eigenmächtigen Schritt zu<lb/> recrificiren, liegt in der Natur der Sache, denn sie konnte ihren Ursprung nicht<lb/> verleugnen, ohne den sie nichts war. Aber auch die erste Kammer befand sich in<lb/> einer eigenthümlichen Lage. Selbst die äußerste Linke, unter der Führung des<lb/> Herrn Gierke, ehemaligen Ministers, glaubte die Verantwortung nicht überneh¬<lb/> men zu dürfen, auf Anüulliruug des Schrittes anzutragen. Ganz mit Recht be¬<lb/> merkte Herr Gierke, daß auch die Minorität bei jeder Abstimmung die Eventua¬<lb/> lität ins Auge zu fassen habe, daß ihre Ansicht den Ausspruch der Kammer bestimmte.<lb/> In diesem Falle müsse er aber fürchten, das eben beginnende constitutionelle Leben<lb/> gewaltsam zu unterbrechen. Er begnügte sich daher mit dem Antrag, die erste<lb/> Kammer solle sich für incompetent erklären, da der eine Factor der Gesetzgebung<lb/> weggefallen sei,'einseitig über die Maßregeln der Regierung zu entscheiden. Herr<lb/> Gierke hat dabei nur Eines übersehn. Diese Jncvmpetenzcrklärung konnte sich<lb/> nicht auf diesen einzelnen Fall beschränken, sondern müßte sich auf die ganze legis¬<lb/> latorische Thätigkeit der ersten Kammer ausdehnen. Dann aber handelten allein<lb/> diejenigen consequent, welche geradezu aus der Kammer auftraten. Zum Antrag<lb/> der Kammer erhoben, hätte jeuer Beschluß keinen Sinn gehabt; dagegen war die<lb/> Forderung der Kammer, die Regierung solle auf den Rechtsboden der Verfassung<lb/> vom 5. December zurückkehren, zwar bedenklich, aber nicht sinnlos.</p><lb/> <p xml:id="ID_1602"> Die Ansicht der Majorität ist nun von der Art gewesen, daß sie sich vor<lb/> Revision der Verfassung noch eben so wenig in einem constitutionellen Staate be-<lb/> fände, als vor dem 5. December. Sie hat beschlossen, daß »ach der Revision<lb/> eine neue Verfassungsurkunde ausgegeben werden soll. Sie hat also in dem octroyir-<lb/> ten Wahlgesetz nicht einrn Bruch der Verfassung, sondern nur ein? neue Initiative<lb/> der Vereinbarung gesehn. Freilich ist sie dadurch mit ihrem Volum im März, durch<lb/> welches sie die NechtSgilligkeit der Verfassung anerkannte, in starken Widerspruch<lb/> getreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1603"> Die Revision wird zuversichtlich die demokratische Färbung, welche anch die<lb/> Verfassung vom 5. December noch immer an sich trägt, vollständig verwischen.<lb/> An sich wäre das kein Unglück, wenn sie dafür nnr den geringeren Umfang der Rechte<lb/> bestimmter feststellte. Ich muß hier beiläufig bemerken, daß ich im Princip die<lb/> Ansicht des Herrn v. Gerlach vollkommen theile, daß eigentlich eine Verfassungs¬<lb/> urkunde nicht tlo reizn« omiiibns et Piibusd-im -»Ins handle», daß sie nie eine lü-<lb/> llül-l i-ils-i voraussetzen soll, auf der ein ganz neuer Staat aufgerichtet wäre, son¬<lb/> dern daß ihre einzige Aufgabe die ist, das neu eintretende Nechtssubjcet in seinen<lb/> Functionen genau zu umgrenzen; daß es hier nicht darauf ankomme, die Rechte<lb/> des Königs festzustellen, die ja schon ohnehin vorhanden, sondern die Rechte der<lb/> Kammern, die einen neuen Factor des Staatslebens bilden. Herr v. Gerlach<lb/> hat dabei nur, wie es seine Schule zu thun pflegt, die Unterbrechung des bis¬<lb/> herigen Staatslebens durch die Revolution, welche das bestehende Recht in Frage<lb/> stellte, und die bisher unbedingt geltende Gewalt zu einem Gegenstand der Dis-<lb/> cussion machte, vollständig ignorirt. Man hebt aber ein geschichtliches Factum<lb/> nicht dadurch auf, daß man die Angen davor verschließt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1604" next="#ID_1605"> Ich muß gesteh», daß dies kleinliche Feilschen um Recht und Unrecht nicht ge¬<lb/> rade einen erhebende» Eindruck macht. Die Kammer fühlt das selbst. Sie wirst<lb/> sich mit einer gewissen Hast aus der eigentlich constituirenden Thätigkeit in ihren ver¬<lb/> meintlichen Beruf, durch materielle Reformen den politischen Idealismus zu däm¬<lb/> pfen. Sie fragt nur zu wenig darnach, ob sie zu diesem Beruf auch die nöthige</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0474]
unter Allegirung jenes Paragraphen, in das Fundament der Verfassung eingegriffen,
sie hatte das Wahlgesetz eigenmächtig verändert, und damit den Factor des kon¬
stitutionellen Lebens, welchem sie Rechenschaft ablegen sollte, willkürlich aufgehoben.
Daß die zweite Kammer nicht im Staude war, diesen eigenmächtigen Schritt zu
recrificiren, liegt in der Natur der Sache, denn sie konnte ihren Ursprung nicht
verleugnen, ohne den sie nichts war. Aber auch die erste Kammer befand sich in
einer eigenthümlichen Lage. Selbst die äußerste Linke, unter der Führung des
Herrn Gierke, ehemaligen Ministers, glaubte die Verantwortung nicht überneh¬
men zu dürfen, auf Anüulliruug des Schrittes anzutragen. Ganz mit Recht be¬
merkte Herr Gierke, daß auch die Minorität bei jeder Abstimmung die Eventua¬
lität ins Auge zu fassen habe, daß ihre Ansicht den Ausspruch der Kammer bestimmte.
In diesem Falle müsse er aber fürchten, das eben beginnende constitutionelle Leben
gewaltsam zu unterbrechen. Er begnügte sich daher mit dem Antrag, die erste
Kammer solle sich für incompetent erklären, da der eine Factor der Gesetzgebung
weggefallen sei,'einseitig über die Maßregeln der Regierung zu entscheiden. Herr
Gierke hat dabei nur Eines übersehn. Diese Jncvmpetenzcrklärung konnte sich
nicht auf diesen einzelnen Fall beschränken, sondern müßte sich auf die ganze legis¬
latorische Thätigkeit der ersten Kammer ausdehnen. Dann aber handelten allein
diejenigen consequent, welche geradezu aus der Kammer auftraten. Zum Antrag
der Kammer erhoben, hätte jeuer Beschluß keinen Sinn gehabt; dagegen war die
Forderung der Kammer, die Regierung solle auf den Rechtsboden der Verfassung
vom 5. December zurückkehren, zwar bedenklich, aber nicht sinnlos.
Die Ansicht der Majorität ist nun von der Art gewesen, daß sie sich vor
Revision der Verfassung noch eben so wenig in einem constitutionellen Staate be-
fände, als vor dem 5. December. Sie hat beschlossen, daß »ach der Revision
eine neue Verfassungsurkunde ausgegeben werden soll. Sie hat also in dem octroyir-
ten Wahlgesetz nicht einrn Bruch der Verfassung, sondern nur ein? neue Initiative
der Vereinbarung gesehn. Freilich ist sie dadurch mit ihrem Volum im März, durch
welches sie die NechtSgilligkeit der Verfassung anerkannte, in starken Widerspruch
getreten.
Die Revision wird zuversichtlich die demokratische Färbung, welche anch die
Verfassung vom 5. December noch immer an sich trägt, vollständig verwischen.
An sich wäre das kein Unglück, wenn sie dafür nnr den geringeren Umfang der Rechte
bestimmter feststellte. Ich muß hier beiläufig bemerken, daß ich im Princip die
Ansicht des Herrn v. Gerlach vollkommen theile, daß eigentlich eine Verfassungs¬
urkunde nicht tlo reizn« omiiibns et Piibusd-im -»Ins handle», daß sie nie eine lü-
llül-l i-ils-i voraussetzen soll, auf der ein ganz neuer Staat aufgerichtet wäre, son¬
dern daß ihre einzige Aufgabe die ist, das neu eintretende Nechtssubjcet in seinen
Functionen genau zu umgrenzen; daß es hier nicht darauf ankomme, die Rechte
des Königs festzustellen, die ja schon ohnehin vorhanden, sondern die Rechte der
Kammern, die einen neuen Factor des Staatslebens bilden. Herr v. Gerlach
hat dabei nur, wie es seine Schule zu thun pflegt, die Unterbrechung des bis¬
herigen Staatslebens durch die Revolution, welche das bestehende Recht in Frage
stellte, und die bisher unbedingt geltende Gewalt zu einem Gegenstand der Dis-
cussion machte, vollständig ignorirt. Man hebt aber ein geschichtliches Factum
nicht dadurch auf, daß man die Angen davor verschließt.
Ich muß gesteh», daß dies kleinliche Feilschen um Recht und Unrecht nicht ge¬
rade einen erhebende» Eindruck macht. Die Kammer fühlt das selbst. Sie wirst
sich mit einer gewissen Hast aus der eigentlich constituirenden Thätigkeit in ihren ver¬
meintlichen Beruf, durch materielle Reformen den politischen Idealismus zu däm¬
pfen. Sie fragt nur zu wenig darnach, ob sie zu diesem Beruf auch die nöthige
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