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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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schnellen Marsch benutzte Jellachich den Waffenstillstand, der ihm von den Ungarn
bewilligt war, rückte über die Grenze und vereinigte sich (10. October) mit Auers-
perg, dein Commandanten von Wien, bei Simmering. Gleichzeitig rückten
Truppen aus Böhmen und Mähren gegen Wien an, Windischgrätz wurde zum
Feldmarschall und aller "z^o des Kaisers ernannt. Ihrerseits rüstete sich die
Stadt, die nun von allen Seiten umzingelt war; Messenhauser wurde Ober-
commandant, die eigentliche Leitung der Vertheidigung dem polnischen General
Bem anvertraut. Die Frankfurter Linke schickte Blum und Fröbel (18. Octbr.)
den Wienern ihre Sympathien auszudrücken, während sich die Reichscommissaire
Welker und Mosle in's kaiserliche Lager begaben, und hier eine ziemlich mü¬
ßige Rolle spielten. Windischgrätz erklärte die Stadt in Belagerungszustand (20.
October), und stellte die maßlosesten Forderungen, welche der Reichstag für un¬
gesetzlich erklärte (24. October). Dennoch wurde, nach einigen sehr heißen Käm¬
pfen, die Kapitulation abgeschlossen (29. October), aber gebrochen, als in diesem
Augenblick die Ungarn vorrückten. Diese wurden an der Schwechat geschlagen,
Wien bombardirt und erstürmt. Den 1. November waren Stadt und Vorstädte
entwaffnet und besetzt. Der Reichstag wurde vertagt und nach Kremsier verlegt,
und es begannen die Hinrichtungen. Blum wurde den 10. Novbr. erschossen,
trotz seiner Unverletzlichkeit als Reichstagsabgeordneter, Messenhauser den 16.,
Becher und Jellineck den 23. Novbr. Ein militärischer Terrorismus waltete
über der unglücklichen Stadt.

In Frankfurt hatte man bis dahin vermieden, die östreichische Frage, die doch
den Knotenpunkt der ganzen deutschen Revolution ausmacht, näher in's Auge zu
fassen. Erst den 27. October kam es zur Entscheidung. Nachdem das Parlament
eine Reihe von Gesetzen für das Reich gegeben, legte es sich die Frage vor, wel¬
chen Umfang denn dasselbe haben sollte. Die Antwort war: das Gebiet des deut¬
schen Bundes. Gleich bei dem ersten K. der Verfassung ergab sich aber für Oest¬
reich eine unüberwindliche Schwierigkeit. Derselbe sollte feststellen, daß keines
der Reichsländer mit einem außerdeutschen in Realunion vereinigt sein dürfe. Die
konservativen Oestreicher unebenen für ihren Staat eine Ansncchmestellung in An¬
spruch, aber die große Mehrheit der östreichischen Abgeordneten selbst verwarf die¬
selbe, in der Ueberzeugung, die Trennung des Staats in zwei nur durch Perso¬
nalunion verbundene Gebiete sei das nothwendige Facit der Revolution. Nur
39 Mitglieder protestirten gegen diese Beschlüsse, die Andern standen wesentlich
"uf dem Standpunkt der Wiener Radicalen, den auch die Berliner Nationalver¬
sammlung annahm, als sie (1. November) die Centralgewalt zur Intervention in
Oestreich aufzufordern beschloß. Die östreichische Regierung hatte sich noch nicht
erklärt, doch mußte es jetzt geschehn, als das neue Ministerium (Schwarzenberg,
Inneres Stadion, Justiz Bach, Finanzen Kraus, Krieg Cordon, Handel Bril et,


Grenzbvtc". in. 184". 57

schnellen Marsch benutzte Jellachich den Waffenstillstand, der ihm von den Ungarn
bewilligt war, rückte über die Grenze und vereinigte sich (10. October) mit Auers-
perg, dein Commandanten von Wien, bei Simmering. Gleichzeitig rückten
Truppen aus Böhmen und Mähren gegen Wien an, Windischgrätz wurde zum
Feldmarschall und aller «z^o des Kaisers ernannt. Ihrerseits rüstete sich die
Stadt, die nun von allen Seiten umzingelt war; Messenhauser wurde Ober-
commandant, die eigentliche Leitung der Vertheidigung dem polnischen General
Bem anvertraut. Die Frankfurter Linke schickte Blum und Fröbel (18. Octbr.)
den Wienern ihre Sympathien auszudrücken, während sich die Reichscommissaire
Welker und Mosle in's kaiserliche Lager begaben, und hier eine ziemlich mü¬
ßige Rolle spielten. Windischgrätz erklärte die Stadt in Belagerungszustand (20.
October), und stellte die maßlosesten Forderungen, welche der Reichstag für un¬
gesetzlich erklärte (24. October). Dennoch wurde, nach einigen sehr heißen Käm¬
pfen, die Kapitulation abgeschlossen (29. October), aber gebrochen, als in diesem
Augenblick die Ungarn vorrückten. Diese wurden an der Schwechat geschlagen,
Wien bombardirt und erstürmt. Den 1. November waren Stadt und Vorstädte
entwaffnet und besetzt. Der Reichstag wurde vertagt und nach Kremsier verlegt,
und es begannen die Hinrichtungen. Blum wurde den 10. Novbr. erschossen,
trotz seiner Unverletzlichkeit als Reichstagsabgeordneter, Messenhauser den 16.,
Becher und Jellineck den 23. Novbr. Ein militärischer Terrorismus waltete
über der unglücklichen Stadt.

In Frankfurt hatte man bis dahin vermieden, die östreichische Frage, die doch
den Knotenpunkt der ganzen deutschen Revolution ausmacht, näher in's Auge zu
fassen. Erst den 27. October kam es zur Entscheidung. Nachdem das Parlament
eine Reihe von Gesetzen für das Reich gegeben, legte es sich die Frage vor, wel¬
chen Umfang denn dasselbe haben sollte. Die Antwort war: das Gebiet des deut¬
schen Bundes. Gleich bei dem ersten K. der Verfassung ergab sich aber für Oest¬
reich eine unüberwindliche Schwierigkeit. Derselbe sollte feststellen, daß keines
der Reichsländer mit einem außerdeutschen in Realunion vereinigt sein dürfe. Die
konservativen Oestreicher unebenen für ihren Staat eine Ansncchmestellung in An¬
spruch, aber die große Mehrheit der östreichischen Abgeordneten selbst verwarf die¬
selbe, in der Ueberzeugung, die Trennung des Staats in zwei nur durch Perso¬
nalunion verbundene Gebiete sei das nothwendige Facit der Revolution. Nur
39 Mitglieder protestirten gegen diese Beschlüsse, die Andern standen wesentlich
»uf dem Standpunkt der Wiener Radicalen, den auch die Berliner Nationalver¬
sammlung annahm, als sie (1. November) die Centralgewalt zur Intervention in
Oestreich aufzufordern beschloß. Die östreichische Regierung hatte sich noch nicht
erklärt, doch mußte es jetzt geschehn, als das neue Ministerium (Schwarzenberg,
Inneres Stadion, Justiz Bach, Finanzen Kraus, Krieg Cordon, Handel Bril et,


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[0449] schnellen Marsch benutzte Jellachich den Waffenstillstand, der ihm von den Ungarn bewilligt war, rückte über die Grenze und vereinigte sich (10. October) mit Auers- perg, dein Commandanten von Wien, bei Simmering. Gleichzeitig rückten Truppen aus Böhmen und Mähren gegen Wien an, Windischgrätz wurde zum Feldmarschall und aller «z^o des Kaisers ernannt. Ihrerseits rüstete sich die Stadt, die nun von allen Seiten umzingelt war; Messenhauser wurde Ober- commandant, die eigentliche Leitung der Vertheidigung dem polnischen General Bem anvertraut. Die Frankfurter Linke schickte Blum und Fröbel (18. Octbr.) den Wienern ihre Sympathien auszudrücken, während sich die Reichscommissaire Welker und Mosle in's kaiserliche Lager begaben, und hier eine ziemlich mü¬ ßige Rolle spielten. Windischgrätz erklärte die Stadt in Belagerungszustand (20. October), und stellte die maßlosesten Forderungen, welche der Reichstag für un¬ gesetzlich erklärte (24. October). Dennoch wurde, nach einigen sehr heißen Käm¬ pfen, die Kapitulation abgeschlossen (29. October), aber gebrochen, als in diesem Augenblick die Ungarn vorrückten. Diese wurden an der Schwechat geschlagen, Wien bombardirt und erstürmt. Den 1. November waren Stadt und Vorstädte entwaffnet und besetzt. Der Reichstag wurde vertagt und nach Kremsier verlegt, und es begannen die Hinrichtungen. Blum wurde den 10. Novbr. erschossen, trotz seiner Unverletzlichkeit als Reichstagsabgeordneter, Messenhauser den 16., Becher und Jellineck den 23. Novbr. Ein militärischer Terrorismus waltete über der unglücklichen Stadt. In Frankfurt hatte man bis dahin vermieden, die östreichische Frage, die doch den Knotenpunkt der ganzen deutschen Revolution ausmacht, näher in's Auge zu fassen. Erst den 27. October kam es zur Entscheidung. Nachdem das Parlament eine Reihe von Gesetzen für das Reich gegeben, legte es sich die Frage vor, wel¬ chen Umfang denn dasselbe haben sollte. Die Antwort war: das Gebiet des deut¬ schen Bundes. Gleich bei dem ersten K. der Verfassung ergab sich aber für Oest¬ reich eine unüberwindliche Schwierigkeit. Derselbe sollte feststellen, daß keines der Reichsländer mit einem außerdeutschen in Realunion vereinigt sein dürfe. Die konservativen Oestreicher unebenen für ihren Staat eine Ansncchmestellung in An¬ spruch, aber die große Mehrheit der östreichischen Abgeordneten selbst verwarf die¬ selbe, in der Ueberzeugung, die Trennung des Staats in zwei nur durch Perso¬ nalunion verbundene Gebiete sei das nothwendige Facit der Revolution. Nur 39 Mitglieder protestirten gegen diese Beschlüsse, die Andern standen wesentlich »uf dem Standpunkt der Wiener Radicalen, den auch die Berliner Nationalver¬ sammlung annahm, als sie (1. November) die Centralgewalt zur Intervention in Oestreich aufzufordern beschloß. Die östreichische Regierung hatte sich noch nicht erklärt, doch mußte es jetzt geschehn, als das neue Ministerium (Schwarzenberg, Inneres Stadion, Justiz Bach, Finanzen Kraus, Krieg Cordon, Handel Bril et, Grenzbvtc». in. 184». 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/449>, abgerufen am 05.02.2025.