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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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gewissenhaftes Bild ihrer Seelsorgegemeinde in dieser Beziehung
ander im Vikariatswege vorzutragen, mit dem gewissenhaften Gutachten, auf welche
Art und Weise einer etwa wahrgenommenen intendirten, oder schon tiefer gegriffe¬
nen Corrumpirung der Gemüther nach den Verhältnissen der Gemeinden noch be¬
sonders wirksam entgegengetreten werden könnte."

Wir sehen hier, wie der Staat die Beichtstühle der Kirche für sich in An¬
spruch nimmt; ihre Priester sollen dem Volke 5en Teufel austreiben, der übrigeus
gar nicht in dem Landvolk steckt, sondern den das hohe Ministerium blos an die
Wand gemalt hat. Die östreichische Regierung, welche abgeschieden vom Volke,
in einsamer Höhe thront, sieht in dieser beängstigenden Einsamkeit Gespenster;
der lebendige Geist, der draußen die Massen bewegt, geht als ein unheimlicher
Spuk durch die Räume der Hofburg. Vor den Geistersehern im Conseil schwillt
der socialistisch-republikanische Teufel zu einem Ungeheuer empor mit feurigen
Augen und schrecklichem Gebiß; und wie der Nebel fällt, tritt eine Deputation
im Namen des Landvolkes hervor, die um Zurücknahme der vctrvyirten Verfassung
vom 4. März erfleht. Das war also des Pudels Kern? Der CasnS sollte die
Herren lachen macheu, aber er treibt ihnen im Gegentheil den Angstschweiß noch
mehr auf die Stirn. Das beklommene Herz der Regenten läutet jetzt oft jene
Geisterstunde ein, aus deren Schrecken man in den höhern Kreisen nur selten
herauskommt. Hier muß jedenfalls der Pfaffe mit seineu Exorcismen daran; den
Geist, den man durchaus nicht begreifen will, muß man sich durch Hostienkelch
und Crucifix vom Halse schaffen. Es muß wohl in der That unheimlich aussehn,
wenn mau von den Fenstern der Hofburg auf den Schauplatz der Bewegung
hinabsieht, die Revolution wird zu einer Walpurgisnacht, zu einem tollen Drama,
welches durchweg von Besessenen aufgeführt wird, "deren Politik Anarchie, deren
Religion gräßlicher Unglaube und deren Moral Communismus ist." Zu solcher
Alten-Weiber-Furcht, welche den Beistand der Kirche nöthig macht, hat sich jetzt
die nüchterne, geistlos-verständige Geschcuthcit des Ministeriums verkehrt, welche
früher so sehr an den Proktophantasmisten ans Goethe's Faust erinnerte. Sie
waren so klug, die Herren vom Staatsrath, und dennoch spukte es in Tegel.
Die Kirche versprach durch ihre Wunder die Göttlichkeit des absoluten Staates
zu beweisen; aber sie wird durch diesen Dienst, den sie der Legitimität erweist,
allmälig selbst deu Glauben an ihren eigenen göttlichen Ursprung beim Volke un¬
tergraben. Noch füllen sich die Kirchen mit Gläubigen, und das Volk hört mit
naiver Inbrunst von der Kanzel herab das Wort Gottes an. So lauge die Kirche
uicht in einen entschiedenen Kampf mit den Wünschen der Nation tritt, wird das
Volk deu Beichtstuhl und die Kanzel gelten lassen und die Heiligkeit der Tradition
nicht anzutasten wagen. Wird aber die Kanzel zu einer politischen Tribune, wo
dem Volksredner, der von dem umgestürzten Fasse im Wirthshause herab eine Rede
an das versammelte Volk hielt, eine ultramontane Philippika nachgedonnert wird :
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gewissenhaftes Bild ihrer Seelsorgegemeinde in dieser Beziehung
ander im Vikariatswege vorzutragen, mit dem gewissenhaften Gutachten, auf welche
Art und Weise einer etwa wahrgenommenen intendirten, oder schon tiefer gegriffe¬
nen Corrumpirung der Gemüther nach den Verhältnissen der Gemeinden noch be¬
sonders wirksam entgegengetreten werden könnte."

Wir sehen hier, wie der Staat die Beichtstühle der Kirche für sich in An¬
spruch nimmt; ihre Priester sollen dem Volke 5en Teufel austreiben, der übrigeus
gar nicht in dem Landvolk steckt, sondern den das hohe Ministerium blos an die
Wand gemalt hat. Die östreichische Regierung, welche abgeschieden vom Volke,
in einsamer Höhe thront, sieht in dieser beängstigenden Einsamkeit Gespenster;
der lebendige Geist, der draußen die Massen bewegt, geht als ein unheimlicher
Spuk durch die Räume der Hofburg. Vor den Geistersehern im Conseil schwillt
der socialistisch-republikanische Teufel zu einem Ungeheuer empor mit feurigen
Augen und schrecklichem Gebiß; und wie der Nebel fällt, tritt eine Deputation
im Namen des Landvolkes hervor, die um Zurücknahme der vctrvyirten Verfassung
vom 4. März erfleht. Das war also des Pudels Kern? Der CasnS sollte die
Herren lachen macheu, aber er treibt ihnen im Gegentheil den Angstschweiß noch
mehr auf die Stirn. Das beklommene Herz der Regenten läutet jetzt oft jene
Geisterstunde ein, aus deren Schrecken man in den höhern Kreisen nur selten
herauskommt. Hier muß jedenfalls der Pfaffe mit seineu Exorcismen daran; den
Geist, den man durchaus nicht begreifen will, muß man sich durch Hostienkelch
und Crucifix vom Halse schaffen. Es muß wohl in der That unheimlich aussehn,
wenn mau von den Fenstern der Hofburg auf den Schauplatz der Bewegung
hinabsieht, die Revolution wird zu einer Walpurgisnacht, zu einem tollen Drama,
welches durchweg von Besessenen aufgeführt wird, „deren Politik Anarchie, deren
Religion gräßlicher Unglaube und deren Moral Communismus ist." Zu solcher
Alten-Weiber-Furcht, welche den Beistand der Kirche nöthig macht, hat sich jetzt
die nüchterne, geistlos-verständige Geschcuthcit des Ministeriums verkehrt, welche
früher so sehr an den Proktophantasmisten ans Goethe's Faust erinnerte. Sie
waren so klug, die Herren vom Staatsrath, und dennoch spukte es in Tegel.
Die Kirche versprach durch ihre Wunder die Göttlichkeit des absoluten Staates
zu beweisen; aber sie wird durch diesen Dienst, den sie der Legitimität erweist,
allmälig selbst deu Glauben an ihren eigenen göttlichen Ursprung beim Volke un¬
tergraben. Noch füllen sich die Kirchen mit Gläubigen, und das Volk hört mit
naiver Inbrunst von der Kanzel herab das Wort Gottes an. So lauge die Kirche
uicht in einen entschiedenen Kampf mit den Wünschen der Nation tritt, wird das
Volk deu Beichtstuhl und die Kanzel gelten lassen und die Heiligkeit der Tradition
nicht anzutasten wagen. Wird aber die Kanzel zu einer politischen Tribune, wo
dem Volksredner, der von dem umgestürzten Fasse im Wirthshause herab eine Rede
an das versammelte Volk hielt, eine ultramontane Philippika nachgedonnert wird :
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/43>, abgerufen am 05.02.2025.