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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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verewigten Heroen der Vorzeit. -- Kaum wird in einem Menschen von edlerer
Gesinnung dieses schöne Gefühl so sehr abgestumpft oder erloschen sein, daß er
nicht häufig sich die Wonne bereiten sollte, die Vergangenheit seines Volkes mit sei¬
ner eigenen Gegenwart in Verbindung zu setzen. Die Menschennatur ist darin überall
gleich, überall hat sie Etwas von dieser Beseligung, von dieser sentimentalen
Schwärmerei für die Heimath aufzuweisen. -- Wir wollen darum auch den Cze-
chen gern ihre Geschichte gönnen, die von ihnen und uns geehrt wird; wir wollen
Uns mit ihnen erhoben fühlen, wenn wir die Großthaten der Hussiten lesen, und
wieder elegisch gestimmt sein, wenn wir am "weißen Berge" vorüberziehn, der
gar trübe Erinnerungen in dein Herzen jedes slavischen Patrioten erweckt; wir
wollen mit ihnen die Größe Wlasta's besingen und Ottokars Tod beklagen. --
Allein selbst dieses Gefühl hat seine Grenzen, über die hinaus eine verderbliche
Schwärmerei droht, die der Göttlichkeit ihres Ursprungs entkleidet ist. Und die
Czechen sind davon nicht frei geblieben. --

Ihre gegenwärtige Bedeutungslosigkeit, welche von der Regierung bei jeder
passenden Gelegenheit fast sarkastisch ihnen vor die Angen gehalten wird, wäre
eine heilsame Lehre für jeden andern Träger einer Doppelrolle, wie die Czechen
es waren; für diese aber ist sie so wenig eine Lehre zu nennen, daß ich gar nicht
zweifle, die Czechen würden nach all den gemachten Erfahrungen bei irgend einer
neuen Gelegenheit dieselbe Bahn in ihrer Politik befolgen, wie in der Reitschule
von Wien. Oeffentlich vor dem deutschen Publikum spielten die Czechen die
erste Liebhaberin der Regierung, hinter den Konlissen waren sie der erste Intri-
guant gegen beide. Aber zwei so schwierige Aufgaben gleichzeitig zu lösen, dazu
bedürfte es wahrlich einer minder tückischen Nebenbuhlerin, als Dame "Camarilla"
es war; die Czechen bemerkten die heillose Natur ihres Dualismus gar nicht oder
zu spät, verwickelten sich sammt ihrer Freiheit immer mehr in denselben, beriethen
daun und beriethen wieder und lioma "lvliberuntv LitAimtum periit. -- Und die
gelehrten Koryphäen der slavischen Literatur? -- Wohl verließen auch diese die
Zurückgezogenheit ihrer stillen Bibliotheken und traten überhäuft mit den Hul¬
digungen einer jüngern sanguinischen Generation in das öffentliche Leben hinaus,
um ihre Nation zu umformen und zu kräftigen -- selbst auf Kosten der Form
und Kraft anderer gleichberechtigter Nationen. -- Doch die Erfahrung dieser Zeit,
welche gelehrt hat, daß selbst die Phantasie eines Lamartine, die Gelehrsamkeit
eines Gioberti, die Energie eines Kossuth und die Grammatik deutscher Professoren
nicht ausreichten, um ihre Ideale in der Welt verkörpert zu macheu, mußte auch
die Führer der Czechen überzeugen, daß es bei Weitem leichter und dankbarer sei,
eine gelungene Geschichte Böhmens zu schreibe", als eine solche zu machen.

Diese tragische Art, allseitig Opposition machen zu wollen, und sie dadurch
allseitig zu verderben, liegt in dem durch die Zeitverhältnisse und die Geschieb!?


Grenzboten, l". 184". 48

verewigten Heroen der Vorzeit. — Kaum wird in einem Menschen von edlerer
Gesinnung dieses schöne Gefühl so sehr abgestumpft oder erloschen sein, daß er
nicht häufig sich die Wonne bereiten sollte, die Vergangenheit seines Volkes mit sei¬
ner eigenen Gegenwart in Verbindung zu setzen. Die Menschennatur ist darin überall
gleich, überall hat sie Etwas von dieser Beseligung, von dieser sentimentalen
Schwärmerei für die Heimath aufzuweisen. — Wir wollen darum auch den Cze-
chen gern ihre Geschichte gönnen, die von ihnen und uns geehrt wird; wir wollen
Uns mit ihnen erhoben fühlen, wenn wir die Großthaten der Hussiten lesen, und
wieder elegisch gestimmt sein, wenn wir am „weißen Berge" vorüberziehn, der
gar trübe Erinnerungen in dein Herzen jedes slavischen Patrioten erweckt; wir
wollen mit ihnen die Größe Wlasta's besingen und Ottokars Tod beklagen. —
Allein selbst dieses Gefühl hat seine Grenzen, über die hinaus eine verderbliche
Schwärmerei droht, die der Göttlichkeit ihres Ursprungs entkleidet ist. Und die
Czechen sind davon nicht frei geblieben. —

Ihre gegenwärtige Bedeutungslosigkeit, welche von der Regierung bei jeder
passenden Gelegenheit fast sarkastisch ihnen vor die Angen gehalten wird, wäre
eine heilsame Lehre für jeden andern Träger einer Doppelrolle, wie die Czechen
es waren; für diese aber ist sie so wenig eine Lehre zu nennen, daß ich gar nicht
zweifle, die Czechen würden nach all den gemachten Erfahrungen bei irgend einer
neuen Gelegenheit dieselbe Bahn in ihrer Politik befolgen, wie in der Reitschule
von Wien. Oeffentlich vor dem deutschen Publikum spielten die Czechen die
erste Liebhaberin der Regierung, hinter den Konlissen waren sie der erste Intri-
guant gegen beide. Aber zwei so schwierige Aufgaben gleichzeitig zu lösen, dazu
bedürfte es wahrlich einer minder tückischen Nebenbuhlerin, als Dame „Camarilla"
es war; die Czechen bemerkten die heillose Natur ihres Dualismus gar nicht oder
zu spät, verwickelten sich sammt ihrer Freiheit immer mehr in denselben, beriethen
daun und beriethen wieder und lioma «lvliberuntv LitAimtum periit. — Und die
gelehrten Koryphäen der slavischen Literatur? — Wohl verließen auch diese die
Zurückgezogenheit ihrer stillen Bibliotheken und traten überhäuft mit den Hul¬
digungen einer jüngern sanguinischen Generation in das öffentliche Leben hinaus,
um ihre Nation zu umformen und zu kräftigen — selbst auf Kosten der Form
und Kraft anderer gleichberechtigter Nationen. — Doch die Erfahrung dieser Zeit,
welche gelehrt hat, daß selbst die Phantasie eines Lamartine, die Gelehrsamkeit
eines Gioberti, die Energie eines Kossuth und die Grammatik deutscher Professoren
nicht ausreichten, um ihre Ideale in der Welt verkörpert zu macheu, mußte auch
die Führer der Czechen überzeugen, daß es bei Weitem leichter und dankbarer sei,
eine gelungene Geschichte Böhmens zu schreibe», als eine solche zu machen.

Diese tragische Art, allseitig Opposition machen zu wollen, und sie dadurch
allseitig zu verderben, liegt in dem durch die Zeitverhältnisse und die Geschieb!?


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[0377] verewigten Heroen der Vorzeit. — Kaum wird in einem Menschen von edlerer Gesinnung dieses schöne Gefühl so sehr abgestumpft oder erloschen sein, daß er nicht häufig sich die Wonne bereiten sollte, die Vergangenheit seines Volkes mit sei¬ ner eigenen Gegenwart in Verbindung zu setzen. Die Menschennatur ist darin überall gleich, überall hat sie Etwas von dieser Beseligung, von dieser sentimentalen Schwärmerei für die Heimath aufzuweisen. — Wir wollen darum auch den Cze- chen gern ihre Geschichte gönnen, die von ihnen und uns geehrt wird; wir wollen Uns mit ihnen erhoben fühlen, wenn wir die Großthaten der Hussiten lesen, und wieder elegisch gestimmt sein, wenn wir am „weißen Berge" vorüberziehn, der gar trübe Erinnerungen in dein Herzen jedes slavischen Patrioten erweckt; wir wollen mit ihnen die Größe Wlasta's besingen und Ottokars Tod beklagen. — Allein selbst dieses Gefühl hat seine Grenzen, über die hinaus eine verderbliche Schwärmerei droht, die der Göttlichkeit ihres Ursprungs entkleidet ist. Und die Czechen sind davon nicht frei geblieben. — Ihre gegenwärtige Bedeutungslosigkeit, welche von der Regierung bei jeder passenden Gelegenheit fast sarkastisch ihnen vor die Angen gehalten wird, wäre eine heilsame Lehre für jeden andern Träger einer Doppelrolle, wie die Czechen es waren; für diese aber ist sie so wenig eine Lehre zu nennen, daß ich gar nicht zweifle, die Czechen würden nach all den gemachten Erfahrungen bei irgend einer neuen Gelegenheit dieselbe Bahn in ihrer Politik befolgen, wie in der Reitschule von Wien. Oeffentlich vor dem deutschen Publikum spielten die Czechen die erste Liebhaberin der Regierung, hinter den Konlissen waren sie der erste Intri- guant gegen beide. Aber zwei so schwierige Aufgaben gleichzeitig zu lösen, dazu bedürfte es wahrlich einer minder tückischen Nebenbuhlerin, als Dame „Camarilla" es war; die Czechen bemerkten die heillose Natur ihres Dualismus gar nicht oder zu spät, verwickelten sich sammt ihrer Freiheit immer mehr in denselben, beriethen daun und beriethen wieder und lioma «lvliberuntv LitAimtum periit. — Und die gelehrten Koryphäen der slavischen Literatur? — Wohl verließen auch diese die Zurückgezogenheit ihrer stillen Bibliotheken und traten überhäuft mit den Hul¬ digungen einer jüngern sanguinischen Generation in das öffentliche Leben hinaus, um ihre Nation zu umformen und zu kräftigen — selbst auf Kosten der Form und Kraft anderer gleichberechtigter Nationen. — Doch die Erfahrung dieser Zeit, welche gelehrt hat, daß selbst die Phantasie eines Lamartine, die Gelehrsamkeit eines Gioberti, die Energie eines Kossuth und die Grammatik deutscher Professoren nicht ausreichten, um ihre Ideale in der Welt verkörpert zu macheu, mußte auch die Führer der Czechen überzeugen, daß es bei Weitem leichter und dankbarer sei, eine gelungene Geschichte Böhmens zu schreibe», als eine solche zu machen. Diese tragische Art, allseitig Opposition machen zu wollen, und sie dadurch allseitig zu verderben, liegt in dem durch die Zeitverhältnisse und die Geschieb!? Grenzboten, l». 184». 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/377>, abgerufen am 10.02.2025.