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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Negierung und verschiedenem Kultus fühlt sich der ganze Stamm doch jetzt als nationale
Einheit; dieselbe Sprache, dieselbe" Helden, dieselben Stoffe für die Phantasie Aller.
Als ein kriegerisches Geschlecht sitzen sie zwischen Türken und Christen, aus dem Zu¬
sammenhange mit den übrigen Slaven sind sie durch fremde Nachbarn gelöst; im
Osten, in der Wallachei, Moldau und Siebenbürgen werden sie begrenzt durch
Nachkommen der alten römischen Grenzer, welche sich mit slavischem Blut und
slavischen Lauten gemischt haben und als Rnmainen oder Wallachen für sich eine
nationale Einheit ersehnen; im Nordwesten gehen sie von Agram ab allmälig in
einen ander" Slavenstamm, die Slovenen oder Svrbv-Wenden über, welcher von
Magyaren und Deutschen vielfach durchbrochen und bewältigt, sich durch eiuen Theil
Illyriens, Steiermark und Kärnthen zieht und in einzelnen Stöcken und Lagern
bis weit hinein in die deutsche Zunge geschleucrt ist, weicher und ohne große Ver¬
gangenheit hat dieser Stamm mit der Zeit fortdauernd an Terrain verloren, wäh¬
rend der serbische sich über die Sumpfebene der untern Donau erst in den letzten
Jahrhunderten ausgebreitet hat. Im Norden begrenzt der Magyar und der Deut¬
sche den Serben, oft in engem Durcheinanderwvhnen, und die Einwohnerschaft
solcher dichten, gemengten Landestheile ließ sich bis vor kurzem mi> einem zusam¬
mengesetzten Gestein, etwa dem Granit vergleichen, der Magyar der Quarz, der
Slave der Feldspat!), der Deutsche der Glimmer, jetzt freilich habe" sich alle
Augen gelöst und die einzelnen Bestandtheile der mächtige" Völkermasse brechen
feindlich auseinander, sich gegenseitig zerstörend.

Von deu Völkern des serbischen Stammes sind die Bosnier am wenigsten
bekannt. Wir wollen mit ihnen eine Charakteristik der Südslaven beginne".

Südlich von der weißen save liegt das türkische Bosnien, ein weiter Land¬
strich, geformt aus Bergreihen und breiten Thälern, aus welchen kurze Flüsse in
schnellem Laufe nach Norden dem Stromgebiet der Donau zueilen. Abgeschlossen
von der Welt und in sich geballt liegt die fruchtbare, wälderrciche Landschaft da,
wie im Schlummer. Am Nordufer der save sperrt eine Kette von zahllosen
Wachthänsern die östreichische Grenze Slavoniens und Kroatiens; im Osten wird
Serbien getrennt durch deu Pcstcordon der fürstlichen Regierung, welche sich von
der türkischen Wirthschaft zu fast souveräner Freiheit abgelöst hat; den Westen
schließen die Felsenberge der dalmatischen Küste und des freien Montenegro. Nur
der Süden nach der Türkei zu ist offen, dort hält der Vezir seinen Einzug in
das Laud, und der Türke reitet hinaus, seinem Großherrn den Ueberschuß des
Landestributs nach Constantinopel zu bringen. Nur selteu überschreitet der Fuß
eines civilisirten Reisenden die Grenze, der Kaufmann aus Agram, ein deutscher
Botaniker, oder ein Maler aus Italien. Die geographische und staatliche Orga¬
nisation des Landes ist wenig bekannt, sehr unbekannt ist die Seele des Volkes,
welches dort wohnt und in diesem Augenblicke einen Ungeschickten Versuch macht,
sich mit seinen Bruderstämmen in Verbindung zu setzen.


Negierung und verschiedenem Kultus fühlt sich der ganze Stamm doch jetzt als nationale
Einheit; dieselbe Sprache, dieselbe» Helden, dieselben Stoffe für die Phantasie Aller.
Als ein kriegerisches Geschlecht sitzen sie zwischen Türken und Christen, aus dem Zu¬
sammenhange mit den übrigen Slaven sind sie durch fremde Nachbarn gelöst; im
Osten, in der Wallachei, Moldau und Siebenbürgen werden sie begrenzt durch
Nachkommen der alten römischen Grenzer, welche sich mit slavischem Blut und
slavischen Lauten gemischt haben und als Rnmainen oder Wallachen für sich eine
nationale Einheit ersehnen; im Nordwesten gehen sie von Agram ab allmälig in
einen ander» Slavenstamm, die Slovenen oder Svrbv-Wenden über, welcher von
Magyaren und Deutschen vielfach durchbrochen und bewältigt, sich durch eiuen Theil
Illyriens, Steiermark und Kärnthen zieht und in einzelnen Stöcken und Lagern
bis weit hinein in die deutsche Zunge geschleucrt ist, weicher und ohne große Ver¬
gangenheit hat dieser Stamm mit der Zeit fortdauernd an Terrain verloren, wäh¬
rend der serbische sich über die Sumpfebene der untern Donau erst in den letzten
Jahrhunderten ausgebreitet hat. Im Norden begrenzt der Magyar und der Deut¬
sche den Serben, oft in engem Durcheinanderwvhnen, und die Einwohnerschaft
solcher dichten, gemengten Landestheile ließ sich bis vor kurzem mi> einem zusam¬
mengesetzten Gestein, etwa dem Granit vergleichen, der Magyar der Quarz, der
Slave der Feldspat!), der Deutsche der Glimmer, jetzt freilich habe» sich alle
Augen gelöst und die einzelnen Bestandtheile der mächtige» Völkermasse brechen
feindlich auseinander, sich gegenseitig zerstörend.

Von deu Völkern des serbischen Stammes sind die Bosnier am wenigsten
bekannt. Wir wollen mit ihnen eine Charakteristik der Südslaven beginne».

Südlich von der weißen save liegt das türkische Bosnien, ein weiter Land¬
strich, geformt aus Bergreihen und breiten Thälern, aus welchen kurze Flüsse in
schnellem Laufe nach Norden dem Stromgebiet der Donau zueilen. Abgeschlossen
von der Welt und in sich geballt liegt die fruchtbare, wälderrciche Landschaft da,
wie im Schlummer. Am Nordufer der save sperrt eine Kette von zahllosen
Wachthänsern die östreichische Grenze Slavoniens und Kroatiens; im Osten wird
Serbien getrennt durch deu Pcstcordon der fürstlichen Regierung, welche sich von
der türkischen Wirthschaft zu fast souveräner Freiheit abgelöst hat; den Westen
schließen die Felsenberge der dalmatischen Küste und des freien Montenegro. Nur
der Süden nach der Türkei zu ist offen, dort hält der Vezir seinen Einzug in
das Laud, und der Türke reitet hinaus, seinem Großherrn den Ueberschuß des
Landestributs nach Constantinopel zu bringen. Nur selteu überschreitet der Fuß
eines civilisirten Reisenden die Grenze, der Kaufmann aus Agram, ein deutscher
Botaniker, oder ein Maler aus Italien. Die geographische und staatliche Orga¬
nisation des Landes ist wenig bekannt, sehr unbekannt ist die Seele des Volkes,
welches dort wohnt und in diesem Augenblicke einen Ungeschickten Versuch macht,
sich mit seinen Bruderstämmen in Verbindung zu setzen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/282>, abgerufen am 05.02.2025.