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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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ses wichtigen Theils im Drama ist, die Angriffe der Opposition zu zeigen, welche
sich ans der dargestellten Welt gegen die Helden erhebt. Diese Opposition kann
nur selten in einer Person und einer Situation sich vereinigen, sehr häufig ist
es wichtig darzustellen, wie nach und nach, von verschiedenen Seiten an die
Seele des Helden geschlagen wird. Auch dadurch werden, gegenüber der Einheit
und dem festen Zusammenhang der drei ersten Akte, die beiden letzten sehr häusig
zerrissen, vieltheilig, unruhiger und deshalb weniger wirksam. Diese Uebelstände
treten sehr auffällig hervor in den sogenannten historischen Stücken, solchen Hand¬
lungen , wo der Staat selbst mit seinen großen Parteien und Gegensätzen die dar¬
gestellte Welt der Helden bildet. Hier ist der Verlauf z. B. folgender: Ein
Held hat sich zum König gemacht, er regiert schlecht, d. h., er gibt schlechte Ge¬
setze, sündigt gegen die bestehenden, führt Kriege, schließt Frieden ze. Alle diese
großen Activnen des Staatslebens sind unendlich schwer zu dramatisiren, Naths-
versammlungen, Gefechte auf der Bühne :c. sind dabei nicht zu vermeiden und die
technischen Schwierigkeiten, welche solche Momente darbieten, drücken das Stück.
Viel besser steht darin das Familienstück, wo der Kampf gegen die Haupthelden
bequemer in einen Charakter, welcher die Gegenseite darstellt, zusammengebunden
werden kann. Selbst Shakespeare ist in der Behandlung der "Umkehr" nicht
immer glücklich. Und selbst wo sein Genie die Sprödigkeit des Stoffes vollstän¬
dig besiegt hat, unterliegt die Darstellung aus unsern Bühnen allerlei Hinder¬
nissen. Er durfte uoch eine Menge von kleinen Scenen hintereinander setzen,
welche an verschiedenen Orten und zu verschiedener Zeit spielten, weil seine
Bühne die Einschnitte, welche bei uns durch den Cvulissenwechsel hervorgebracht
werden, nicht kannte. Der zweite Theil des Lear, Cäsar, Hamlet ist entschieden
schwächer als der erste; das sind nicht überwundene Uebelstände des Stoffes; da¬
gegen sind der zweite Theil des Othello und des Coriolan Muster von Kom¬
positionen, weil es bei diesen Stoffen möglich war anch die Umkehr vorzugsweise
in die Seelen der Haupthelden zu legen und die Reaction der Welt gegen diesel¬
ben in wenigen Personell, in den Jago und beim Coriolan in die Familie des
Helden und seinen Gegner Aufidius zu legen. Für den Coriolan noch die Sei-
teubemerkung, daß feire Aufführung auf unser" Bühnen zwei Veränderungen
nothwendig macht, eine Vereinfachung der Kampfscene mit Aufidius im ersten Alt,
welche aber unter keinen Umständen ganz wegbleiben darf, und ein Zusammen¬
werfen der kleinen Scenen des Aufidius in eine Zwischenscene des dritten Aktes,
wo der flüstere Held der Voksker verkleidet uach Rom komme" kaun, grade vor der
Kandidatur des Coriolan, um im Gespräch mit einem dort lebenden Spion seinen
Grimm gegen Rom und Coriolan auszuspreche". --

Unsre deutschen Dichter find, wo sie Familienstoffe behandeln, den Gefahren
der Umkehr oft glücklich ans dem Wege gegangen, bei historischen Stoffen aber
zeigt sich der Mangel an Herrschaft über dieselben oft peinlich. So im Egmont, im


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ses wichtigen Theils im Drama ist, die Angriffe der Opposition zu zeigen, welche
sich ans der dargestellten Welt gegen die Helden erhebt. Diese Opposition kann
nur selten in einer Person und einer Situation sich vereinigen, sehr häufig ist
es wichtig darzustellen, wie nach und nach, von verschiedenen Seiten an die
Seele des Helden geschlagen wird. Auch dadurch werden, gegenüber der Einheit
und dem festen Zusammenhang der drei ersten Akte, die beiden letzten sehr häusig
zerrissen, vieltheilig, unruhiger und deshalb weniger wirksam. Diese Uebelstände
treten sehr auffällig hervor in den sogenannten historischen Stücken, solchen Hand¬
lungen , wo der Staat selbst mit seinen großen Parteien und Gegensätzen die dar¬
gestellte Welt der Helden bildet. Hier ist der Verlauf z. B. folgender: Ein
Held hat sich zum König gemacht, er regiert schlecht, d. h., er gibt schlechte Ge¬
setze, sündigt gegen die bestehenden, führt Kriege, schließt Frieden ze. Alle diese
großen Activnen des Staatslebens sind unendlich schwer zu dramatisiren, Naths-
versammlungen, Gefechte auf der Bühne :c. sind dabei nicht zu vermeiden und die
technischen Schwierigkeiten, welche solche Momente darbieten, drücken das Stück.
Viel besser steht darin das Familienstück, wo der Kampf gegen die Haupthelden
bequemer in einen Charakter, welcher die Gegenseite darstellt, zusammengebunden
werden kann. Selbst Shakespeare ist in der Behandlung der „Umkehr" nicht
immer glücklich. Und selbst wo sein Genie die Sprödigkeit des Stoffes vollstän¬
dig besiegt hat, unterliegt die Darstellung aus unsern Bühnen allerlei Hinder¬
nissen. Er durfte uoch eine Menge von kleinen Scenen hintereinander setzen,
welche an verschiedenen Orten und zu verschiedener Zeit spielten, weil seine
Bühne die Einschnitte, welche bei uns durch den Cvulissenwechsel hervorgebracht
werden, nicht kannte. Der zweite Theil des Lear, Cäsar, Hamlet ist entschieden
schwächer als der erste; das sind nicht überwundene Uebelstände des Stoffes; da¬
gegen sind der zweite Theil des Othello und des Coriolan Muster von Kom¬
positionen, weil es bei diesen Stoffen möglich war anch die Umkehr vorzugsweise
in die Seelen der Haupthelden zu legen und die Reaction der Welt gegen diesel¬
ben in wenigen Personell, in den Jago und beim Coriolan in die Familie des
Helden und seinen Gegner Aufidius zu legen. Für den Coriolan noch die Sei-
teubemerkung, daß feire Aufführung auf unser» Bühnen zwei Veränderungen
nothwendig macht, eine Vereinfachung der Kampfscene mit Aufidius im ersten Alt,
welche aber unter keinen Umständen ganz wegbleiben darf, und ein Zusammen¬
werfen der kleinen Scenen des Aufidius in eine Zwischenscene des dritten Aktes,
wo der flüstere Held der Voksker verkleidet uach Rom komme» kaun, grade vor der
Kandidatur des Coriolan, um im Gespräch mit einem dort lebenden Spion seinen
Grimm gegen Rom und Coriolan auszuspreche». —

Unsre deutschen Dichter find, wo sie Familienstoffe behandeln, den Gefahren
der Umkehr oft glücklich ans dem Wege gegangen, bei historischen Stoffen aber
zeigt sich der Mangel an Herrschaft über dieselben oft peinlich. So im Egmont, im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/27>, abgerufen am 05.02.2025.