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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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in die Schluchten geworfen, Gräben gezogen, Brustwehren gebaut und die nie¬
drigen Plateaus mit Geschütz gekrönt, um dem fremden Eindringling den don¬
nernden Willkomm zu bieten. Wo das Land aber offen ist, wie im Westen und
Süden, da stellten sich Heere auf, die Stelle der Berge zu vcvlreicn und den
Feind von der theuren Heimath abzuwehren.

Bis jetzt hielten die lebendigen Dämme besser Staub als die steinernen Brust¬
wehren. Der Russe hat die Pässe mit Mcnschcnleibern vollgestopft, bis sie die
Höhe der Felfeubarrikadeu erreichten, und über Mineuschutt und Tschcrkcssenleicheu
ist der Kosake eingezogen auf ungarischen Boden.

Jetzt gilt's den Kampf Brust gegen Brust und Manu gegen Mann. Die
Massen und daS Genie ihrer Führer müssen entscheiden. Es ist ein ungleicher
Kampf, so ungleich, daß nur Wenige über die Endentscheidung im Zweifel sind.
Und doch--viel besser stand es nicht, als der große Bombardeur des Westens
dnrch dasselbe Thor einzog, durch das der Türke für ewig ausgezogen war. Noch
ist Ungarn nicht verloren."

Der deutsche Bruder "draußen lauscht begierig dem fernen Kaiivncudonuer.
Sein Herz bebt bei jeder Nachricht vom ungarischen Kriegsschauplatz. "Lebt der
Magyare noch? Glaubt er noch an seinen Gott? Ist Kossuth noch der Mann
des Volkes? Ist Görgcy nicht gefallen? Hat eine verruchte Hand das Mvrdgcld
schon verdient, das auf den Kopf des greisen Bem gesetzt ist? Und hat Dcm-
binsky seinem alten Todfeind von Warschau schon ins Aug' gesehen? O Gott!
Ist wirklich alles, alles ans und hat der Ungar ausgerungen? -- Schweig still,
mein wackres deutsches Herz. Du bist der goldne Becher, in den sich mein Ver¬
stand versenken möchte; das Blut in dir, es ist der Wein, der mein Gehirn be¬
rauscht. ES darf uicht sein. Dem Herzen allein darf ich nicht folgen. Es ist
der alte, ewig junge Kampf zwischen Gefühl und Verstand. Ich will ihn ehrlich
bis zu Ende kämpfen." --

Ja, ehrlich bist du ^deutscher Bruder, ehrlich bis zur Selbstverleugnung, bis
zum Selbstbetrugs. Was hindert dich, der großen Völkerhetze auf der ungarischen
Ebene so ruhig zuzusehen, wie einem spanischen Stiergefechte? Der Engländer,
der Franzose' thut's mit beschaulicher Behaglichkeit. Du aber kämpfest in deiner
Stube ehrlich mit. Wenn dn die neuesten Kriegsberichte aus Ungarn des Abends
gelesen hast und dem Herz etwas zu laut pocht und dein Blut zu wallen anfängt,
oder gar eine Thräne herabrolle ans das Zeitungsblatt, dann gibst du deinem
Verstand Ordre, hervorzubrechen ans den Defileen der Gehirnwindungen, um dem
rebellischen Herzen den kalten Umschlag einer politischen Vorlesung aufzulegen.

Auch wir Deutsche in Oestreich sind diesem Zwiespalt unser selbst nicht leicht¬
sinnig aus dem Wege gegangen. Wir haben unser Herz und unsern Verstand
frei gewähren lassen, wenn sie sich kampfgerüstet gegenüberstanden. Wir haben
Wind und Sonue getheilt zwischen beiden Kämpen redlich und unparteiisch. Das


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in die Schluchten geworfen, Gräben gezogen, Brustwehren gebaut und die nie¬
drigen Plateaus mit Geschütz gekrönt, um dem fremden Eindringling den don¬
nernden Willkomm zu bieten. Wo das Land aber offen ist, wie im Westen und
Süden, da stellten sich Heere auf, die Stelle der Berge zu vcvlreicn und den
Feind von der theuren Heimath abzuwehren.

Bis jetzt hielten die lebendigen Dämme besser Staub als die steinernen Brust¬
wehren. Der Russe hat die Pässe mit Mcnschcnleibern vollgestopft, bis sie die
Höhe der Felfeubarrikadeu erreichten, und über Mineuschutt und Tschcrkcssenleicheu
ist der Kosake eingezogen auf ungarischen Boden.

Jetzt gilt's den Kampf Brust gegen Brust und Manu gegen Mann. Die
Massen und daS Genie ihrer Führer müssen entscheiden. Es ist ein ungleicher
Kampf, so ungleich, daß nur Wenige über die Endentscheidung im Zweifel sind.
Und doch--viel besser stand es nicht, als der große Bombardeur des Westens
dnrch dasselbe Thor einzog, durch das der Türke für ewig ausgezogen war. Noch
ist Ungarn nicht verloren."

Der deutsche Bruder „draußen lauscht begierig dem fernen Kaiivncudonuer.
Sein Herz bebt bei jeder Nachricht vom ungarischen Kriegsschauplatz. „Lebt der
Magyare noch? Glaubt er noch an seinen Gott? Ist Kossuth noch der Mann
des Volkes? Ist Görgcy nicht gefallen? Hat eine verruchte Hand das Mvrdgcld
schon verdient, das auf den Kopf des greisen Bem gesetzt ist? Und hat Dcm-
binsky seinem alten Todfeind von Warschau schon ins Aug' gesehen? O Gott!
Ist wirklich alles, alles ans und hat der Ungar ausgerungen? — Schweig still,
mein wackres deutsches Herz. Du bist der goldne Becher, in den sich mein Ver¬
stand versenken möchte; das Blut in dir, es ist der Wein, der mein Gehirn be¬
rauscht. ES darf uicht sein. Dem Herzen allein darf ich nicht folgen. Es ist
der alte, ewig junge Kampf zwischen Gefühl und Verstand. Ich will ihn ehrlich
bis zu Ende kämpfen." —

Ja, ehrlich bist du ^deutscher Bruder, ehrlich bis zur Selbstverleugnung, bis
zum Selbstbetrugs. Was hindert dich, der großen Völkerhetze auf der ungarischen
Ebene so ruhig zuzusehen, wie einem spanischen Stiergefechte? Der Engländer,
der Franzose' thut's mit beschaulicher Behaglichkeit. Du aber kämpfest in deiner
Stube ehrlich mit. Wenn dn die neuesten Kriegsberichte aus Ungarn des Abends
gelesen hast und dem Herz etwas zu laut pocht und dein Blut zu wallen anfängt,
oder gar eine Thräne herabrolle ans das Zeitungsblatt, dann gibst du deinem
Verstand Ordre, hervorzubrechen ans den Defileen der Gehirnwindungen, um dem
rebellischen Herzen den kalten Umschlag einer politischen Vorlesung aufzulegen.

Auch wir Deutsche in Oestreich sind diesem Zwiespalt unser selbst nicht leicht¬
sinnig aus dem Wege gegangen. Wir haben unser Herz und unsern Verstand
frei gewähren lassen, wenn sie sich kampfgerüstet gegenüberstanden. Wir haben
Wind und Sonue getheilt zwischen beiden Kämpen redlich und unparteiisch. Das


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[0195] in die Schluchten geworfen, Gräben gezogen, Brustwehren gebaut und die nie¬ drigen Plateaus mit Geschütz gekrönt, um dem fremden Eindringling den don¬ nernden Willkomm zu bieten. Wo das Land aber offen ist, wie im Westen und Süden, da stellten sich Heere auf, die Stelle der Berge zu vcvlreicn und den Feind von der theuren Heimath abzuwehren. Bis jetzt hielten die lebendigen Dämme besser Staub als die steinernen Brust¬ wehren. Der Russe hat die Pässe mit Mcnschcnleibern vollgestopft, bis sie die Höhe der Felfeubarrikadeu erreichten, und über Mineuschutt und Tschcrkcssenleicheu ist der Kosake eingezogen auf ungarischen Boden. Jetzt gilt's den Kampf Brust gegen Brust und Manu gegen Mann. Die Massen und daS Genie ihrer Führer müssen entscheiden. Es ist ein ungleicher Kampf, so ungleich, daß nur Wenige über die Endentscheidung im Zweifel sind. Und doch--viel besser stand es nicht, als der große Bombardeur des Westens dnrch dasselbe Thor einzog, durch das der Türke für ewig ausgezogen war. Noch ist Ungarn nicht verloren." Der deutsche Bruder „draußen lauscht begierig dem fernen Kaiivncudonuer. Sein Herz bebt bei jeder Nachricht vom ungarischen Kriegsschauplatz. „Lebt der Magyare noch? Glaubt er noch an seinen Gott? Ist Kossuth noch der Mann des Volkes? Ist Görgcy nicht gefallen? Hat eine verruchte Hand das Mvrdgcld schon verdient, das auf den Kopf des greisen Bem gesetzt ist? Und hat Dcm- binsky seinem alten Todfeind von Warschau schon ins Aug' gesehen? O Gott! Ist wirklich alles, alles ans und hat der Ungar ausgerungen? — Schweig still, mein wackres deutsches Herz. Du bist der goldne Becher, in den sich mein Ver¬ stand versenken möchte; das Blut in dir, es ist der Wein, der mein Gehirn be¬ rauscht. ES darf uicht sein. Dem Herzen allein darf ich nicht folgen. Es ist der alte, ewig junge Kampf zwischen Gefühl und Verstand. Ich will ihn ehrlich bis zu Ende kämpfen." — Ja, ehrlich bist du ^deutscher Bruder, ehrlich bis zur Selbstverleugnung, bis zum Selbstbetrugs. Was hindert dich, der großen Völkerhetze auf der ungarischen Ebene so ruhig zuzusehen, wie einem spanischen Stiergefechte? Der Engländer, der Franzose' thut's mit beschaulicher Behaglichkeit. Du aber kämpfest in deiner Stube ehrlich mit. Wenn dn die neuesten Kriegsberichte aus Ungarn des Abends gelesen hast und dem Herz etwas zu laut pocht und dein Blut zu wallen anfängt, oder gar eine Thräne herabrolle ans das Zeitungsblatt, dann gibst du deinem Verstand Ordre, hervorzubrechen ans den Defileen der Gehirnwindungen, um dem rebellischen Herzen den kalten Umschlag einer politischen Vorlesung aufzulegen. Auch wir Deutsche in Oestreich sind diesem Zwiespalt unser selbst nicht leicht¬ sinnig aus dem Wege gegangen. Wir haben unser Herz und unsern Verstand frei gewähren lassen, wenn sie sich kampfgerüstet gegenüberstanden. Wir haben Wind und Sonue getheilt zwischen beiden Kämpen redlich und unparteiisch. Das 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/195>, abgerufen am 05.02.2025.