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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Aus Thüringen.



"Wer hätte im Juli 1848 geglaubt, daß wir Thüringer auch noch im Juli
1849 an dem alten Fluche der Zerrissenheit in nicht weniger als zehn Staaten
und Stäätchen zu leiden haben würden? aber das ist allein die Schuld der con-
stitutionellen Vereine, und es ist nur ein Trost für uus Demokraten, daß auch
sie in kürzester Frist von der Reaction verschlungen sein werden" -- das ist un¬
gefähr die Quintessenz einer ganzen Reihe Leitartikel eines der märzvereinlichen
Localblätter unserer Provinz, welches ich vor mir liegen habe. Freilich gab es
schon im Juli 1848 Leute, die der Ueberzeugung waren, daß selbst wenn alle
constitutionellen Vereine in ganz Thüringen die Vereinigungöfrage jeden Abend
durchdebattirt und sich jedesmal einstimmig dafür ausgesprochen hätten, man doch
im Juli des nächsten und wohl auch noch einiger darauf folgender Jahre eben so
viel bunte Tüpfelchen und Striche hier in der Mitte der deutschen Landkarte er¬
blickt haben würde, als seit Menschengedenken darauf vorhanden waren. -- Ihr
Correspondent hat, wie Sie sich erinnern, von jeher zu denen gehört, die auch
ganz abgesehn von den phantastischen Voraussetzungen, auf welchen die Pläne zur
Vereinigung der getrennten Glieder der Mutter Thuringia ruhten, sich schlechter¬
dings keine Vorstellung zu machen im Stande waren, was damit für das ge-
sammte Deutschland oder auch für die einzelnen betheiligten Staaten gewonnen
werden sollte. Ein neuer Mittelstaat von 1--1^ Millionen Einwohner im Herzen
Deutschlands ist eine politische Mißgeburt sonder gleichen. Hat er irgend welche
Lebenskraft, so gewinnt der Particularismus einen zähen Vertreter mehr, der nach
allen Seiten hin intriguirt und conspirirt, sobald einmal wieder sich die Möglich¬
keit zeigt, eine feste Gesammtverfassung sür Deutschland zu Stande zu bringen.
Hat er keine, was das wahrscheinliche ist, so erleben wir den badischen Unfug in
vermehrter und verbesserter Auflage, und es bleibt am Eude nichts übrig, als daß
sich die größeren Nachbarstaaten als fortwährende Sicherheitswächter seiner anneh¬
men, um ihn zuletzt ganz unterzustecken. Denn an eine Wiederherstellung der
früheren selbstständigen Fürstentümer ist in einem solchen Falle natürlich eben so
wenig zu denken, als gegenwärtig in Baden, falls dasselbe seine staatliche Existenz
aufgeben müßte.

Wie sich im Augenblicke die Aussichten für die nächste deutsche Zukunft gestal¬
ten, können wir Thüringer uns erst recht glücklich preisen, daß wir immer noch
unsere zehn Herren haben. Nur ein paar Monate Geduld, und Sie werden uns
verachtete Nanbstäätler um den Vollgenuß politischer Freiheit beneiden, die Ihnen


Grenzboten, del. 1849. 23
Aus Thüringen.



„Wer hätte im Juli 1848 geglaubt, daß wir Thüringer auch noch im Juli
1849 an dem alten Fluche der Zerrissenheit in nicht weniger als zehn Staaten
und Stäätchen zu leiden haben würden? aber das ist allein die Schuld der con-
stitutionellen Vereine, und es ist nur ein Trost für uus Demokraten, daß auch
sie in kürzester Frist von der Reaction verschlungen sein werden" — das ist un¬
gefähr die Quintessenz einer ganzen Reihe Leitartikel eines der märzvereinlichen
Localblätter unserer Provinz, welches ich vor mir liegen habe. Freilich gab es
schon im Juli 1848 Leute, die der Ueberzeugung waren, daß selbst wenn alle
constitutionellen Vereine in ganz Thüringen die Vereinigungöfrage jeden Abend
durchdebattirt und sich jedesmal einstimmig dafür ausgesprochen hätten, man doch
im Juli des nächsten und wohl auch noch einiger darauf folgender Jahre eben so
viel bunte Tüpfelchen und Striche hier in der Mitte der deutschen Landkarte er¬
blickt haben würde, als seit Menschengedenken darauf vorhanden waren. — Ihr
Correspondent hat, wie Sie sich erinnern, von jeher zu denen gehört, die auch
ganz abgesehn von den phantastischen Voraussetzungen, auf welchen die Pläne zur
Vereinigung der getrennten Glieder der Mutter Thuringia ruhten, sich schlechter¬
dings keine Vorstellung zu machen im Stande waren, was damit für das ge-
sammte Deutschland oder auch für die einzelnen betheiligten Staaten gewonnen
werden sollte. Ein neuer Mittelstaat von 1—1^ Millionen Einwohner im Herzen
Deutschlands ist eine politische Mißgeburt sonder gleichen. Hat er irgend welche
Lebenskraft, so gewinnt der Particularismus einen zähen Vertreter mehr, der nach
allen Seiten hin intriguirt und conspirirt, sobald einmal wieder sich die Möglich¬
keit zeigt, eine feste Gesammtverfassung sür Deutschland zu Stande zu bringen.
Hat er keine, was das wahrscheinliche ist, so erleben wir den badischen Unfug in
vermehrter und verbesserter Auflage, und es bleibt am Eude nichts übrig, als daß
sich die größeren Nachbarstaaten als fortwährende Sicherheitswächter seiner anneh¬
men, um ihn zuletzt ganz unterzustecken. Denn an eine Wiederherstellung der
früheren selbstständigen Fürstentümer ist in einem solchen Falle natürlich eben so
wenig zu denken, als gegenwärtig in Baden, falls dasselbe seine staatliche Existenz
aufgeben müßte.

Wie sich im Augenblicke die Aussichten für die nächste deutsche Zukunft gestal¬
ten, können wir Thüringer uns erst recht glücklich preisen, daß wir immer noch
unsere zehn Herren haben. Nur ein paar Monate Geduld, und Sie werden uns
verachtete Nanbstäätler um den Vollgenuß politischer Freiheit beneiden, die Ihnen


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[0185] Aus Thüringen. „Wer hätte im Juli 1848 geglaubt, daß wir Thüringer auch noch im Juli 1849 an dem alten Fluche der Zerrissenheit in nicht weniger als zehn Staaten und Stäätchen zu leiden haben würden? aber das ist allein die Schuld der con- stitutionellen Vereine, und es ist nur ein Trost für uus Demokraten, daß auch sie in kürzester Frist von der Reaction verschlungen sein werden" — das ist un¬ gefähr die Quintessenz einer ganzen Reihe Leitartikel eines der märzvereinlichen Localblätter unserer Provinz, welches ich vor mir liegen habe. Freilich gab es schon im Juli 1848 Leute, die der Ueberzeugung waren, daß selbst wenn alle constitutionellen Vereine in ganz Thüringen die Vereinigungöfrage jeden Abend durchdebattirt und sich jedesmal einstimmig dafür ausgesprochen hätten, man doch im Juli des nächsten und wohl auch noch einiger darauf folgender Jahre eben so viel bunte Tüpfelchen und Striche hier in der Mitte der deutschen Landkarte er¬ blickt haben würde, als seit Menschengedenken darauf vorhanden waren. — Ihr Correspondent hat, wie Sie sich erinnern, von jeher zu denen gehört, die auch ganz abgesehn von den phantastischen Voraussetzungen, auf welchen die Pläne zur Vereinigung der getrennten Glieder der Mutter Thuringia ruhten, sich schlechter¬ dings keine Vorstellung zu machen im Stande waren, was damit für das ge- sammte Deutschland oder auch für die einzelnen betheiligten Staaten gewonnen werden sollte. Ein neuer Mittelstaat von 1—1^ Millionen Einwohner im Herzen Deutschlands ist eine politische Mißgeburt sonder gleichen. Hat er irgend welche Lebenskraft, so gewinnt der Particularismus einen zähen Vertreter mehr, der nach allen Seiten hin intriguirt und conspirirt, sobald einmal wieder sich die Möglich¬ keit zeigt, eine feste Gesammtverfassung sür Deutschland zu Stande zu bringen. Hat er keine, was das wahrscheinliche ist, so erleben wir den badischen Unfug in vermehrter und verbesserter Auflage, und es bleibt am Eude nichts übrig, als daß sich die größeren Nachbarstaaten als fortwährende Sicherheitswächter seiner anneh¬ men, um ihn zuletzt ganz unterzustecken. Denn an eine Wiederherstellung der früheren selbstständigen Fürstentümer ist in einem solchen Falle natürlich eben so wenig zu denken, als gegenwärtig in Baden, falls dasselbe seine staatliche Existenz aufgeben müßte. Wie sich im Augenblicke die Aussichten für die nächste deutsche Zukunft gestal¬ ten, können wir Thüringer uns erst recht glücklich preisen, daß wir immer noch unsere zehn Herren haben. Nur ein paar Monate Geduld, und Sie werden uns verachtete Nanbstäätler um den Vollgenuß politischer Freiheit beneiden, die Ihnen Grenzboten, del. 1849. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/185>, abgerufen am 05.02.2025.