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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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tätlichster Nähe wechselten wir mit dem Feind die Geschosse -- aber es war un¬
möglich , seinem Bajonncttangriff und den furchtbaren Salven seiner Artillerie zu
widerstehen. Ja sogar von Fünen herüber warf die Strandbatterie Strüb Bom¬
ben und Sechsunddreißigpfünder in unsere Reihen, während unsere BelagerungS-
geschützt, deren wir bei Weitem nicht die genügende Anzahl besaßen, verhältni߬
mäßig nur geringen Schutz gewähren, noch weniger das Feuer des Feindes zum
Schweigen bringen konnten. Noch in ziemlicher Ordnung, aber doch nicht mehr
in geschlossenen Gliedern, wandten wir uns, ich will es sagen, ohne mich zu schä¬
men, im schnellsten Lauf zur Flucht und warfen uns in die Schanzen. Ich kam mit
dem Nest von vier Compagnien in die Süderschanze. Mit einem tiefen Athemzug
iU'erflog ich ängstlichen Blicks das Häuflein meiner Kameraden -- über die Hälfte
fehlte und nur noch zwei Offiziere waren unter uns! Aber es war nicht Zeit zu
laugen Betrachtungen -- der Feind stürmte unsere Schanzen! Noch einmal ent¬
spann sich ein furchtbarer Kampf, der auf unserer Seite wahrhaft mit Verzweif¬
lung geführt wurde, und nochmals unterlagen wir. Fast alle Bedienungsmann¬
schaften der Schanzenbattcrie waren gefallen, zwei oder drei Kanonen demontirt
worden, und der Däne überschüttete uns wahrhaft mit einem Kugelregen. Es
dünkt mich heute uoch ein Wunder, daß ich unversehrt daraus hervorgegangen
oder vielmehr gelaufen bin. Schon war die Schanze theilweise umgangen, theil¬
weise erstiegen, wir Jäger vertheidigten uns noch so lange, bis die Kanonen sämmt¬
lich vernagelt waren. Dieses letztere Geschäft habe ich den Lieutnant Christians"":,
ganz allein mit der größten Kaltblütigkeit verrichten sehen. Endlich war jeder
längere Widerstand unmöglich und wir flohen -- wir flohen zum zweitenmal vor
einem Feind, welcher niemals unsern Rücken gesehen, uns nie lang genng in's
Auge geblickt hatte, um uns recht kennen zu lernen. Natürlich war jetzt an Ord¬
nung und Zusammenhalt nicht mehr zu denken. Ich rannte blindlings dem Lager
zu, indem ich unterwegs meine Spitzkugelbüchse lud. Aber o Schrecken, in einem
rothen Feuermeer flackerten schon die Lagerhütten auf und ihr Brand zeigte mit
Tageslu'lie den Feind schon in unserem Rücken. Da galt kein langes Zaudern, ich
wandte mich rechts und nordwestlich, eine große Anzahl Flüchtiger war mir schon
in dieser Richtung vorausgeeilt. So gelangte ich keuchend durch die Oeffnung
einer Knicke auf ein großes Brachfeld, als ich plötzlich angerufen wurde und einen
Gcwe'irlanf vor mir blinken sah. Trotz meiner Ueberraschung klang mir die Stimme
so bekannt, daß ich augenblicklich meinen Namen ausrief. "Gott sei Dank;" schallte
die Antwort und aus der Furche erhob sich ein lieber Freund und Kamerad,
"wahrhaftig, ich hielt dich für einen Rothrock, es ist mir heute alles roth vor
den Augen." Wir setzten unsere Flucht gemeinschaftlich fort. Es dauerte einige
Zeit lang, bis wir auf der anderen Seite des Feldes durch die dichte Hecke, ge¬
langten. Wir befanden uns auf einem Weg, den wir zu verfolgen beschlossen.
Aber nur wenige Schritte hatten wir zurückgelegt, als gerade vor uns ein Schuß


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tätlichster Nähe wechselten wir mit dem Feind die Geschosse — aber es war un¬
möglich , seinem Bajonncttangriff und den furchtbaren Salven seiner Artillerie zu
widerstehen. Ja sogar von Fünen herüber warf die Strandbatterie Strüb Bom¬
ben und Sechsunddreißigpfünder in unsere Reihen, während unsere BelagerungS-
geschützt, deren wir bei Weitem nicht die genügende Anzahl besaßen, verhältni߬
mäßig nur geringen Schutz gewähren, noch weniger das Feuer des Feindes zum
Schweigen bringen konnten. Noch in ziemlicher Ordnung, aber doch nicht mehr
in geschlossenen Gliedern, wandten wir uns, ich will es sagen, ohne mich zu schä¬
men, im schnellsten Lauf zur Flucht und warfen uns in die Schanzen. Ich kam mit
dem Nest von vier Compagnien in die Süderschanze. Mit einem tiefen Athemzug
iU'erflog ich ängstlichen Blicks das Häuflein meiner Kameraden — über die Hälfte
fehlte und nur noch zwei Offiziere waren unter uns! Aber es war nicht Zeit zu
laugen Betrachtungen — der Feind stürmte unsere Schanzen! Noch einmal ent¬
spann sich ein furchtbarer Kampf, der auf unserer Seite wahrhaft mit Verzweif¬
lung geführt wurde, und nochmals unterlagen wir. Fast alle Bedienungsmann¬
schaften der Schanzenbattcrie waren gefallen, zwei oder drei Kanonen demontirt
worden, und der Däne überschüttete uns wahrhaft mit einem Kugelregen. Es
dünkt mich heute uoch ein Wunder, daß ich unversehrt daraus hervorgegangen
oder vielmehr gelaufen bin. Schon war die Schanze theilweise umgangen, theil¬
weise erstiegen, wir Jäger vertheidigten uns noch so lange, bis die Kanonen sämmt¬
lich vernagelt waren. Dieses letztere Geschäft habe ich den Lieutnant Christians«»:,
ganz allein mit der größten Kaltblütigkeit verrichten sehen. Endlich war jeder
längere Widerstand unmöglich und wir flohen — wir flohen zum zweitenmal vor
einem Feind, welcher niemals unsern Rücken gesehen, uns nie lang genng in's
Auge geblickt hatte, um uns recht kennen zu lernen. Natürlich war jetzt an Ord¬
nung und Zusammenhalt nicht mehr zu denken. Ich rannte blindlings dem Lager
zu, indem ich unterwegs meine Spitzkugelbüchse lud. Aber o Schrecken, in einem
rothen Feuermeer flackerten schon die Lagerhütten auf und ihr Brand zeigte mit
Tageslu'lie den Feind schon in unserem Rücken. Da galt kein langes Zaudern, ich
wandte mich rechts und nordwestlich, eine große Anzahl Flüchtiger war mir schon
in dieser Richtung vorausgeeilt. So gelangte ich keuchend durch die Oeffnung
einer Knicke auf ein großes Brachfeld, als ich plötzlich angerufen wurde und einen
Gcwe'irlanf vor mir blinken sah. Trotz meiner Ueberraschung klang mir die Stimme
so bekannt, daß ich augenblicklich meinen Namen ausrief. „Gott sei Dank;" schallte
die Antwort und aus der Furche erhob sich ein lieber Freund und Kamerad,
„wahrhaftig, ich hielt dich für einen Rothrock, es ist mir heute alles roth vor
den Augen." Wir setzten unsere Flucht gemeinschaftlich fort. Es dauerte einige
Zeit lang, bis wir auf der anderen Seite des Feldes durch die dichte Hecke, ge¬
langten. Wir befanden uns auf einem Weg, den wir zu verfolgen beschlossen.
Aber nur wenige Schritte hatten wir zurückgelegt, als gerade vor uns ein Schuß


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[0121] tätlichster Nähe wechselten wir mit dem Feind die Geschosse — aber es war un¬ möglich , seinem Bajonncttangriff und den furchtbaren Salven seiner Artillerie zu widerstehen. Ja sogar von Fünen herüber warf die Strandbatterie Strüb Bom¬ ben und Sechsunddreißigpfünder in unsere Reihen, während unsere BelagerungS- geschützt, deren wir bei Weitem nicht die genügende Anzahl besaßen, verhältni߬ mäßig nur geringen Schutz gewähren, noch weniger das Feuer des Feindes zum Schweigen bringen konnten. Noch in ziemlicher Ordnung, aber doch nicht mehr in geschlossenen Gliedern, wandten wir uns, ich will es sagen, ohne mich zu schä¬ men, im schnellsten Lauf zur Flucht und warfen uns in die Schanzen. Ich kam mit dem Nest von vier Compagnien in die Süderschanze. Mit einem tiefen Athemzug iU'erflog ich ängstlichen Blicks das Häuflein meiner Kameraden — über die Hälfte fehlte und nur noch zwei Offiziere waren unter uns! Aber es war nicht Zeit zu laugen Betrachtungen — der Feind stürmte unsere Schanzen! Noch einmal ent¬ spann sich ein furchtbarer Kampf, der auf unserer Seite wahrhaft mit Verzweif¬ lung geführt wurde, und nochmals unterlagen wir. Fast alle Bedienungsmann¬ schaften der Schanzenbattcrie waren gefallen, zwei oder drei Kanonen demontirt worden, und der Däne überschüttete uns wahrhaft mit einem Kugelregen. Es dünkt mich heute uoch ein Wunder, daß ich unversehrt daraus hervorgegangen oder vielmehr gelaufen bin. Schon war die Schanze theilweise umgangen, theil¬ weise erstiegen, wir Jäger vertheidigten uns noch so lange, bis die Kanonen sämmt¬ lich vernagelt waren. Dieses letztere Geschäft habe ich den Lieutnant Christians«»:, ganz allein mit der größten Kaltblütigkeit verrichten sehen. Endlich war jeder längere Widerstand unmöglich und wir flohen — wir flohen zum zweitenmal vor einem Feind, welcher niemals unsern Rücken gesehen, uns nie lang genng in's Auge geblickt hatte, um uns recht kennen zu lernen. Natürlich war jetzt an Ord¬ nung und Zusammenhalt nicht mehr zu denken. Ich rannte blindlings dem Lager zu, indem ich unterwegs meine Spitzkugelbüchse lud. Aber o Schrecken, in einem rothen Feuermeer flackerten schon die Lagerhütten auf und ihr Brand zeigte mit Tageslu'lie den Feind schon in unserem Rücken. Da galt kein langes Zaudern, ich wandte mich rechts und nordwestlich, eine große Anzahl Flüchtiger war mir schon in dieser Richtung vorausgeeilt. So gelangte ich keuchend durch die Oeffnung einer Knicke auf ein großes Brachfeld, als ich plötzlich angerufen wurde und einen Gcwe'irlanf vor mir blinken sah. Trotz meiner Ueberraschung klang mir die Stimme so bekannt, daß ich augenblicklich meinen Namen ausrief. „Gott sei Dank;" schallte die Antwort und aus der Furche erhob sich ein lieber Freund und Kamerad, „wahrhaftig, ich hielt dich für einen Rothrock, es ist mir heute alles roth vor den Augen." Wir setzten unsere Flucht gemeinschaftlich fort. Es dauerte einige Zeit lang, bis wir auf der anderen Seite des Feldes durch die dichte Hecke, ge¬ langten. Wir befanden uns auf einem Weg, den wir zu verfolgen beschlossen. Aber nur wenige Schritte hatten wir zurückgelegt, als gerade vor uns ein Schuß Grenzboten. in. is49. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/121>, abgerufen am 05.02.2025.