Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Man erzählte sich in Schlesien seit vielen Jahren, daß der König persönlich die Die Nationalversammlung zu Berlin hatte ein ungeschicktes Jagdgesetz be¬ Man erzählte sich in Schlesien seit vielen Jahren, daß der König persönlich die Die Nationalversammlung zu Berlin hatte ein ungeschicktes Jagdgesetz be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279135"/> <p xml:id="ID_340"> Man erzählte sich in Schlesien seit vielen Jahren, daß der König persönlich die<lb/> Schlesier nicht liebe. Gewiß ein sehr unbegründetes Geschwätz, da in der Individualität<lb/> des schlestschen Volksstammes so viele von den Eigenschaften zu finden sind, welche an<lb/> hohem Ort beliebt machen. Ob Sie eine gewisse Beweglichkci des Charakters unter diese<lb/> Tugenden rechnen wollen, sei Ihnen überlassen, aber sicher sind die Schlesier, wie<lb/> schon der curiose Antiquarius, eine berühmte Geographie vom Jahre 1700 lobend<lb/> erwähnt, mit einer sonderbaren Anlage zur Beredtsamkeit und Phantasie ausge¬<lb/> stattet. — Der schlesische Adel des Grundbesitzes wenigstens hat sich einer<lb/> freundlichen Zuneigung von Seiten des Hofes steif erfreut, er hat viele jüngere<lb/> Söhne als Kammerherrn untergebracht, und hat oft Gelegenheit gehabt, die preu¬<lb/> ßischen Könige anf seinen Schlössern gastfrei zu empfangen. Dies Verhältniß<lb/> wurde von dem großen Grundbesitzer zuweilen ganz naiv und mittelalterlich auf¬<lb/> gefaßt, der von Nendeck z.B. bewirthet seinen Lehnsherrn, den Hohenzollern, und<lb/> stellt ihm dabei seine Clansleute, die Oberförster und Unterförstcr, Hüttenbeam-<lb/> ten ze. in seiner Hausnniform mit vielem Selbstgefühl vor und der gute König<lb/> freut sich herzlich über den Wohlstand und die mannhafte Equipirung seines Va¬<lb/> salle». Aber dasselbe Verhältniß hat auch seine ernste und für Preußen verhäng-<lb/> nißvolle Bedeutung. Als der König z. B. im vorigen Jahre den alten conser-<lb/> vativen Weg verließ und die Demokraten und allerlei anderes „Gesindel" in seiner<lb/> Nähe zu dulden anfing, empörten sich alle jüngern Söhne unserer aristokratischen<lb/> Familien heftig gegen seine Person und sein Regiment, die Offiziere strichen flu¬<lb/> chend ihre Schnurrbärte und schworen, daß es mit diesem völlig nicht so fort<lb/> gehn könne, und die Landjunker schlugen mit der Reitpeitsche an die Stiefeln und<lb/> prophezeite» den Untergang der Welt, der vornehme Adel jedoch verstand und<lb/> übersah die Lage seines Königs und wußte den Weg zu seinem Herzen zu finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_341" next="#ID_342"> Die Nationalversammlung zu Berlin hatte ein ungeschicktes Jagdgesetz be¬<lb/> rathen, welches die großen Grundbesitzer um so tiefer verletzte, da es ihr Licb-<lb/> lingspnvilegium aufhob und in gemeine Hände gab, der König verweigerte die<lb/> Bestätigung der Bill, welche er in ehrenwerther Gewissenhaftigkeit für einen rohen<lb/> Eingnff in Priratrechte hielt. Die Differenz zwischen König und Nationalver¬<lb/> sammlung durste damals «och nicht zur Krisis führen, noch war die Versammlung<lb/> uicht reif zum Fall. Da ging Grus Uvrk von Wartenburg mit mehreren Andern<lb/> als Deputirter der großen Grundbesitzer nach Berlin, erklärte dem König, sein<lb/> Adel sei bereit, der Revolution dies Opfer zu bringen und bitte selbst die Maje¬<lb/> stät das Gesetz zu bestätigen. Der König reichte gerührt dem Grafen die Hand<lb/> und erklärte, er wolle dies thun, mit dem Vorbehalt, daß er selbst später den<lb/> großen Grundbesitzer ans seiner Privatchatulle entschädige. Nur uuter der Be¬<lb/> dingung erlaube ihm sein Gewissen eine solche Ungerechtigkeit zu sauctivuireu.<lb/> Da faßten die Herren vom Adel unter sich den Beschluß, ihrerseits diese Entsclä-<lb/> digung nicht anzunehmen. So erhielten der Adel und dieM-jestät schon im von-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0109]
Man erzählte sich in Schlesien seit vielen Jahren, daß der König persönlich die
Schlesier nicht liebe. Gewiß ein sehr unbegründetes Geschwätz, da in der Individualität
des schlestschen Volksstammes so viele von den Eigenschaften zu finden sind, welche an
hohem Ort beliebt machen. Ob Sie eine gewisse Beweglichkci des Charakters unter diese
Tugenden rechnen wollen, sei Ihnen überlassen, aber sicher sind die Schlesier, wie
schon der curiose Antiquarius, eine berühmte Geographie vom Jahre 1700 lobend
erwähnt, mit einer sonderbaren Anlage zur Beredtsamkeit und Phantasie ausge¬
stattet. — Der schlesische Adel des Grundbesitzes wenigstens hat sich einer
freundlichen Zuneigung von Seiten des Hofes steif erfreut, er hat viele jüngere
Söhne als Kammerherrn untergebracht, und hat oft Gelegenheit gehabt, die preu¬
ßischen Könige anf seinen Schlössern gastfrei zu empfangen. Dies Verhältniß
wurde von dem großen Grundbesitzer zuweilen ganz naiv und mittelalterlich auf¬
gefaßt, der von Nendeck z.B. bewirthet seinen Lehnsherrn, den Hohenzollern, und
stellt ihm dabei seine Clansleute, die Oberförster und Unterförstcr, Hüttenbeam-
ten ze. in seiner Hausnniform mit vielem Selbstgefühl vor und der gute König
freut sich herzlich über den Wohlstand und die mannhafte Equipirung seines Va¬
salle». Aber dasselbe Verhältniß hat auch seine ernste und für Preußen verhäng-
nißvolle Bedeutung. Als der König z. B. im vorigen Jahre den alten conser-
vativen Weg verließ und die Demokraten und allerlei anderes „Gesindel" in seiner
Nähe zu dulden anfing, empörten sich alle jüngern Söhne unserer aristokratischen
Familien heftig gegen seine Person und sein Regiment, die Offiziere strichen flu¬
chend ihre Schnurrbärte und schworen, daß es mit diesem völlig nicht so fort
gehn könne, und die Landjunker schlugen mit der Reitpeitsche an die Stiefeln und
prophezeite» den Untergang der Welt, der vornehme Adel jedoch verstand und
übersah die Lage seines Königs und wußte den Weg zu seinem Herzen zu finden.
Die Nationalversammlung zu Berlin hatte ein ungeschicktes Jagdgesetz be¬
rathen, welches die großen Grundbesitzer um so tiefer verletzte, da es ihr Licb-
lingspnvilegium aufhob und in gemeine Hände gab, der König verweigerte die
Bestätigung der Bill, welche er in ehrenwerther Gewissenhaftigkeit für einen rohen
Eingnff in Priratrechte hielt. Die Differenz zwischen König und Nationalver¬
sammlung durste damals «och nicht zur Krisis führen, noch war die Versammlung
uicht reif zum Fall. Da ging Grus Uvrk von Wartenburg mit mehreren Andern
als Deputirter der großen Grundbesitzer nach Berlin, erklärte dem König, sein
Adel sei bereit, der Revolution dies Opfer zu bringen und bitte selbst die Maje¬
stät das Gesetz zu bestätigen. Der König reichte gerührt dem Grafen die Hand
und erklärte, er wolle dies thun, mit dem Vorbehalt, daß er selbst später den
großen Grundbesitzer ans seiner Privatchatulle entschädige. Nur uuter der Be¬
dingung erlaube ihm sein Gewissen eine solche Ungerechtigkeit zu sauctivuireu.
Da faßten die Herren vom Adel unter sich den Beschluß, ihrerseits diese Entsclä-
digung nicht anzunehmen. So erhielten der Adel und dieM-jestät schon im von-
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