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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Der Berfassnugs-Entwurf, den die drei Könige bieten, ist nicht die Haupt¬
saale. Ueberhaupt kommt eine Verfassung nicht dadurch zu Stande, daß man sie
zu Papier bringt. Die Verfassuiigeu sind die Formen, die sich dem eigentlichen
Inhalt des Staats anpassen u"d ans diesen kommt es an.

Es liegt uns daran, in einem Staate Bürger zu sein, der eine selbstständige
Politik zu verfolgen berechtigt und der durch seine Natur genöthigt ist, die Ent¬
wickelung der Freiheit zu begünstigen. Der deutsche Bund konnte beides nicht,
nicht allein wegen des Übeln Willens der Fürsten, sondern seiner Natur nach.
Zivei wesentlich divergirende Interessen konnten sich nur in einem Streben ver¬
einigen: ängstlich jede Bewegung zu unterdrücken, weil jede Bewegung die Hohl¬
heit und Nichtigkeit ihres Bündnisses an den Tag legen mußte.

Eben so wenig konnte Preußen eine selbstständige Politik verfolgen, weil es
mit allen Theilen seines Organismus an andere Körper verwachsen war, über die
es nicht gebot. Es konnte auch die sreie, vernünftige Entwickelung seines eigenen
Staatslebens nicht fördern, weil es keine staatliche Totalität war. Das ist der
eigentliche Grund, warum die constitutionellen Bestrebungen so lange scheiterten.
Die kleinen Staaten forderten zwar einen ziemlich umfangreichen Liberalismus
zu Tage, aber er war illusorisch, weil ihre eigene Unabhängigkeit und Selbst-
ständigkeit eine Illusion war, und weil in dem engen Kreise ihres politischen
Wirkens jeder große staatsmännische Blick verloren ging. Eben darum war trotz
der freien Institutionen in den kleinern Staaten das preußische Staatswesen in
seinen großen Zügen ein gesunderes.

Da es sich nun gezeigt hat, daß die deutsche Nation nicht fähig ist, aus sich
heraus sich als Staat zu constituiren, ohne daß in der Aufräumung der Hinder¬
nisse die Gefahr eines vollständigen Ruins eintrete, so bleibt für uns nichts anders
übrig, als den unnatürlichen Bundeskörper zu zerschneiden, und die kleinen Staaten
so an Preußen anzuschließen, daß die Gesammtheit zunächst dem Ausland gegen¬
über als eine Einheit erscheint.

Dieser Idee -- sie war der eigentliche Kern des Gagern'sche" Programms --
widersetzt sich der natürliche Egoismus der kleinen Fürsten. In gewöhnlichen Ver¬
hältnissen war er nicht zu überwinden; durch einen kühnen Griff, nnter dem Bei¬
stand der Nation, ihn zu brechen, hatte die Krone Preußen nicht den Muth. So
blieb nur ein, freilich nicht ganz lauteres Mittel, den Egoismus der Fürsten
selbst für das neue Werk zu gewinnen. Es ist das Preußen, wenigstens zum
Theil, aber auch nur für den Augenblick gelungen, indem es mit seinen großen
Kräften die wankenden Throne gestützt, und dadurch in eine gewisse Abhängigkeit
gebracht hat. Schon jetzt, nachdem die Ordnung für's erste wieder hergestellt ist,
scheint es so, als ob die Fürsten gern wieder zurücktreten, als ob sie die
Einheit Deutschlands zum Borwand nehmen möchten, um durch das Hineinziehen
Oestreichs Preußens Hegemonie zu Paralysiren. In der beständigen Kollision


Der Berfassnugs-Entwurf, den die drei Könige bieten, ist nicht die Haupt¬
saale. Ueberhaupt kommt eine Verfassung nicht dadurch zu Stande, daß man sie
zu Papier bringt. Die Verfassuiigeu sind die Formen, die sich dem eigentlichen
Inhalt des Staats anpassen u»d ans diesen kommt es an.

Es liegt uns daran, in einem Staate Bürger zu sein, der eine selbstständige
Politik zu verfolgen berechtigt und der durch seine Natur genöthigt ist, die Ent¬
wickelung der Freiheit zu begünstigen. Der deutsche Bund konnte beides nicht,
nicht allein wegen des Übeln Willens der Fürsten, sondern seiner Natur nach.
Zivei wesentlich divergirende Interessen konnten sich nur in einem Streben ver¬
einigen: ängstlich jede Bewegung zu unterdrücken, weil jede Bewegung die Hohl¬
heit und Nichtigkeit ihres Bündnisses an den Tag legen mußte.

Eben so wenig konnte Preußen eine selbstständige Politik verfolgen, weil es
mit allen Theilen seines Organismus an andere Körper verwachsen war, über die
es nicht gebot. Es konnte auch die sreie, vernünftige Entwickelung seines eigenen
Staatslebens nicht fördern, weil es keine staatliche Totalität war. Das ist der
eigentliche Grund, warum die constitutionellen Bestrebungen so lange scheiterten.
Die kleinen Staaten forderten zwar einen ziemlich umfangreichen Liberalismus
zu Tage, aber er war illusorisch, weil ihre eigene Unabhängigkeit und Selbst-
ständigkeit eine Illusion war, und weil in dem engen Kreise ihres politischen
Wirkens jeder große staatsmännische Blick verloren ging. Eben darum war trotz
der freien Institutionen in den kleinern Staaten das preußische Staatswesen in
seinen großen Zügen ein gesunderes.

Da es sich nun gezeigt hat, daß die deutsche Nation nicht fähig ist, aus sich
heraus sich als Staat zu constituiren, ohne daß in der Aufräumung der Hinder¬
nisse die Gefahr eines vollständigen Ruins eintrete, so bleibt für uns nichts anders
übrig, als den unnatürlichen Bundeskörper zu zerschneiden, und die kleinen Staaten
so an Preußen anzuschließen, daß die Gesammtheit zunächst dem Ausland gegen¬
über als eine Einheit erscheint.

Dieser Idee — sie war der eigentliche Kern des Gagern'sche» Programms —
widersetzt sich der natürliche Egoismus der kleinen Fürsten. In gewöhnlichen Ver¬
hältnissen war er nicht zu überwinden; durch einen kühnen Griff, nnter dem Bei¬
stand der Nation, ihn zu brechen, hatte die Krone Preußen nicht den Muth. So
blieb nur ein, freilich nicht ganz lauteres Mittel, den Egoismus der Fürsten
selbst für das neue Werk zu gewinnen. Es ist das Preußen, wenigstens zum
Theil, aber auch nur für den Augenblick gelungen, indem es mit seinen großen
Kräften die wankenden Throne gestützt, und dadurch in eine gewisse Abhängigkeit
gebracht hat. Schon jetzt, nachdem die Ordnung für's erste wieder hergestellt ist,
scheint es so, als ob die Fürsten gern wieder zurücktreten, als ob sie die
Einheit Deutschlands zum Borwand nehmen möchten, um durch das Hineinziehen
Oestreichs Preußens Hegemonie zu Paralysiren. In der beständigen Kollision


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[0106] Der Berfassnugs-Entwurf, den die drei Könige bieten, ist nicht die Haupt¬ saale. Ueberhaupt kommt eine Verfassung nicht dadurch zu Stande, daß man sie zu Papier bringt. Die Verfassuiigeu sind die Formen, die sich dem eigentlichen Inhalt des Staats anpassen u»d ans diesen kommt es an. Es liegt uns daran, in einem Staate Bürger zu sein, der eine selbstständige Politik zu verfolgen berechtigt und der durch seine Natur genöthigt ist, die Ent¬ wickelung der Freiheit zu begünstigen. Der deutsche Bund konnte beides nicht, nicht allein wegen des Übeln Willens der Fürsten, sondern seiner Natur nach. Zivei wesentlich divergirende Interessen konnten sich nur in einem Streben ver¬ einigen: ängstlich jede Bewegung zu unterdrücken, weil jede Bewegung die Hohl¬ heit und Nichtigkeit ihres Bündnisses an den Tag legen mußte. Eben so wenig konnte Preußen eine selbstständige Politik verfolgen, weil es mit allen Theilen seines Organismus an andere Körper verwachsen war, über die es nicht gebot. Es konnte auch die sreie, vernünftige Entwickelung seines eigenen Staatslebens nicht fördern, weil es keine staatliche Totalität war. Das ist der eigentliche Grund, warum die constitutionellen Bestrebungen so lange scheiterten. Die kleinen Staaten forderten zwar einen ziemlich umfangreichen Liberalismus zu Tage, aber er war illusorisch, weil ihre eigene Unabhängigkeit und Selbst- ständigkeit eine Illusion war, und weil in dem engen Kreise ihres politischen Wirkens jeder große staatsmännische Blick verloren ging. Eben darum war trotz der freien Institutionen in den kleinern Staaten das preußische Staatswesen in seinen großen Zügen ein gesunderes. Da es sich nun gezeigt hat, daß die deutsche Nation nicht fähig ist, aus sich heraus sich als Staat zu constituiren, ohne daß in der Aufräumung der Hinder¬ nisse die Gefahr eines vollständigen Ruins eintrete, so bleibt für uns nichts anders übrig, als den unnatürlichen Bundeskörper zu zerschneiden, und die kleinen Staaten so an Preußen anzuschließen, daß die Gesammtheit zunächst dem Ausland gegen¬ über als eine Einheit erscheint. Dieser Idee — sie war der eigentliche Kern des Gagern'sche» Programms — widersetzt sich der natürliche Egoismus der kleinen Fürsten. In gewöhnlichen Ver¬ hältnissen war er nicht zu überwinden; durch einen kühnen Griff, nnter dem Bei¬ stand der Nation, ihn zu brechen, hatte die Krone Preußen nicht den Muth. So blieb nur ein, freilich nicht ganz lauteres Mittel, den Egoismus der Fürsten selbst für das neue Werk zu gewinnen. Es ist das Preußen, wenigstens zum Theil, aber auch nur für den Augenblick gelungen, indem es mit seinen großen Kräften die wankenden Throne gestützt, und dadurch in eine gewisse Abhängigkeit gebracht hat. Schon jetzt, nachdem die Ordnung für's erste wieder hergestellt ist, scheint es so, als ob die Fürsten gern wieder zurücktreten, als ob sie die Einheit Deutschlands zum Borwand nehmen möchten, um durch das Hineinziehen Oestreichs Preußens Hegemonie zu Paralysiren. In der beständigen Kollision

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/106>, abgerufen am 10.02.2025.