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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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"Die Revolution brachte uns in ihrem weiteren Verlauf die Verfassung vom
5. Dezember. Sie war octroyirt, aber das Volk hatte darauf geantwortet: wir
wollen, daß hiermit die Revolution geschlossen sei. Wir waren in die Reihe der
konstitutionellen Staaten eingetreten. Ich wurde zum Volksvertreter gewählt und
nahm die Wahl an, mit dem freudigen Gefühl, daß eine Basis für die wahre
Freiheit gewonnen sei, mit der freudigen Hoffnung, daß bei einer feinden Ver¬
fassung ein Herrschen der Willkür nicht zu fürchten bleibe.

"Auch hier nehme ich keine" Anstand, die Frage mit Nein zu beantworten:
ob ich mich über den raschen Sprung aus dem absoluten Polizeistaat in eine
so liberale Verfassung, wie die vom 5. December 1848 ist, gefreut habe?

"Ich habe es schmerzlich beklagt und werde es stets beklagen, daß man den
Weg der Reform verlassen und dadurch, bei dem Eintreten äußerer Ereignisse,
eine Revolution heraufbeschworen hat.

"Sie hat uns in politischen und sozialen Zuständen überfallen, die, wie ich
fürchte, der baldigen festen Gestaltung eines Staatslebens mit freien Institutionen
und einer festen starken Negierung wenig förderlich sind. Ich fürchte, es wird,
ehe es dahin kommt, viel materielles Wohl zertreten werden, manches geistige
Gut eine Zeit lang entbehrt werden. Noch manche anarchische Bestrebung wird
erst mit Gewalt unterdrückt werden müssen, ehe die wahre Freiheit aus dem
Kampfe hervorgeht. Aber ich halte es auch eben so entschieden für eine praktisch
ganz müßige Betrachtung, was das Wünschenswerthe gewesen wäre.

"Wir hatten nun einmal diesen Sprung gemacht, das ist eine vollendete That¬
sache. Der Standpunkt muß festgehalten werden. Die Verfassung vom 5. De¬
zember 1848 liegt uns vor; was sie bietet, muß man nun auch eine volle Wahr¬
heit sein lassen. Ich unterscheide mich wesentlich von denen, die mit mir einen
ruhigen Entwicklungsgang ans dem Wege der Reform gewünscht hätten, und des¬
halb es für die Aufgabe der Kammern halten mögen, die Verfassung in der Art
zu revidiren, daß wir anf einen Standpunkt zurückgeführt werden, den wir ans
dem Wege der Reform hätten einnehmen können. Ich halte ein solches Streben
für verderblich.

"Ich bezweifle nicht, daß ein solcher Standpunkt das Volk befriedigt hätte,
wenn wir auf dem Wege der Reform dazu gelangt wären. Aber wir können doch
nun einmal nicht wegleugnen, daß wir eine Revolution gehabt haben, wenn ich
auch den Straßenkampf in Berlin mir als einen beklagenswerthen Akt in dem
großen weltgeschichtlichen Ereignis; ansehe.

"Und Freiheiten, die ein Volk durch eine Revolution erlangt hat, läßt es
sich nur durch eine neue Revolution nehmen, selbst wenn sie anch für den größten
Theil desselben nur eingebildete wären. Nur die Schranken gegen den Mißbrauch
und zum Schutz der wahren Freiheit läßt es sich willig gefallen, deren Noth¬
wendigkeit es erkannt hat.


„Die Revolution brachte uns in ihrem weiteren Verlauf die Verfassung vom
5. Dezember. Sie war octroyirt, aber das Volk hatte darauf geantwortet: wir
wollen, daß hiermit die Revolution geschlossen sei. Wir waren in die Reihe der
konstitutionellen Staaten eingetreten. Ich wurde zum Volksvertreter gewählt und
nahm die Wahl an, mit dem freudigen Gefühl, daß eine Basis für die wahre
Freiheit gewonnen sei, mit der freudigen Hoffnung, daß bei einer feinden Ver¬
fassung ein Herrschen der Willkür nicht zu fürchten bleibe.

„Auch hier nehme ich keine» Anstand, die Frage mit Nein zu beantworten:
ob ich mich über den raschen Sprung aus dem absoluten Polizeistaat in eine
so liberale Verfassung, wie die vom 5. December 1848 ist, gefreut habe?

„Ich habe es schmerzlich beklagt und werde es stets beklagen, daß man den
Weg der Reform verlassen und dadurch, bei dem Eintreten äußerer Ereignisse,
eine Revolution heraufbeschworen hat.

„Sie hat uns in politischen und sozialen Zuständen überfallen, die, wie ich
fürchte, der baldigen festen Gestaltung eines Staatslebens mit freien Institutionen
und einer festen starken Negierung wenig förderlich sind. Ich fürchte, es wird,
ehe es dahin kommt, viel materielles Wohl zertreten werden, manches geistige
Gut eine Zeit lang entbehrt werden. Noch manche anarchische Bestrebung wird
erst mit Gewalt unterdrückt werden müssen, ehe die wahre Freiheit aus dem
Kampfe hervorgeht. Aber ich halte es auch eben so entschieden für eine praktisch
ganz müßige Betrachtung, was das Wünschenswerthe gewesen wäre.

„Wir hatten nun einmal diesen Sprung gemacht, das ist eine vollendete That¬
sache. Der Standpunkt muß festgehalten werden. Die Verfassung vom 5. De¬
zember 1848 liegt uns vor; was sie bietet, muß man nun auch eine volle Wahr¬
heit sein lassen. Ich unterscheide mich wesentlich von denen, die mit mir einen
ruhigen Entwicklungsgang ans dem Wege der Reform gewünscht hätten, und des¬
halb es für die Aufgabe der Kammern halten mögen, die Verfassung in der Art
zu revidiren, daß wir anf einen Standpunkt zurückgeführt werden, den wir ans
dem Wege der Reform hätten einnehmen können. Ich halte ein solches Streben
für verderblich.

„Ich bezweifle nicht, daß ein solcher Standpunkt das Volk befriedigt hätte,
wenn wir auf dem Wege der Reform dazu gelangt wären. Aber wir können doch
nun einmal nicht wegleugnen, daß wir eine Revolution gehabt haben, wenn ich
auch den Straßenkampf in Berlin mir als einen beklagenswerthen Akt in dem
großen weltgeschichtlichen Ereignis; ansehe.

„Und Freiheiten, die ein Volk durch eine Revolution erlangt hat, läßt es
sich nur durch eine neue Revolution nehmen, selbst wenn sie anch für den größten
Theil desselben nur eingebildete wären. Nur die Schranken gegen den Mißbrauch
und zum Schutz der wahren Freiheit läßt es sich willig gefallen, deren Noth¬
wendigkeit es erkannt hat.


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[0487] „Die Revolution brachte uns in ihrem weiteren Verlauf die Verfassung vom 5. Dezember. Sie war octroyirt, aber das Volk hatte darauf geantwortet: wir wollen, daß hiermit die Revolution geschlossen sei. Wir waren in die Reihe der konstitutionellen Staaten eingetreten. Ich wurde zum Volksvertreter gewählt und nahm die Wahl an, mit dem freudigen Gefühl, daß eine Basis für die wahre Freiheit gewonnen sei, mit der freudigen Hoffnung, daß bei einer feinden Ver¬ fassung ein Herrschen der Willkür nicht zu fürchten bleibe. „Auch hier nehme ich keine» Anstand, die Frage mit Nein zu beantworten: ob ich mich über den raschen Sprung aus dem absoluten Polizeistaat in eine so liberale Verfassung, wie die vom 5. December 1848 ist, gefreut habe? „Ich habe es schmerzlich beklagt und werde es stets beklagen, daß man den Weg der Reform verlassen und dadurch, bei dem Eintreten äußerer Ereignisse, eine Revolution heraufbeschworen hat. „Sie hat uns in politischen und sozialen Zuständen überfallen, die, wie ich fürchte, der baldigen festen Gestaltung eines Staatslebens mit freien Institutionen und einer festen starken Negierung wenig förderlich sind. Ich fürchte, es wird, ehe es dahin kommt, viel materielles Wohl zertreten werden, manches geistige Gut eine Zeit lang entbehrt werden. Noch manche anarchische Bestrebung wird erst mit Gewalt unterdrückt werden müssen, ehe die wahre Freiheit aus dem Kampfe hervorgeht. Aber ich halte es auch eben so entschieden für eine praktisch ganz müßige Betrachtung, was das Wünschenswerthe gewesen wäre. „Wir hatten nun einmal diesen Sprung gemacht, das ist eine vollendete That¬ sache. Der Standpunkt muß festgehalten werden. Die Verfassung vom 5. De¬ zember 1848 liegt uns vor; was sie bietet, muß man nun auch eine volle Wahr¬ heit sein lassen. Ich unterscheide mich wesentlich von denen, die mit mir einen ruhigen Entwicklungsgang ans dem Wege der Reform gewünscht hätten, und des¬ halb es für die Aufgabe der Kammern halten mögen, die Verfassung in der Art zu revidiren, daß wir anf einen Standpunkt zurückgeführt werden, den wir ans dem Wege der Reform hätten einnehmen können. Ich halte ein solches Streben für verderblich. „Ich bezweifle nicht, daß ein solcher Standpunkt das Volk befriedigt hätte, wenn wir auf dem Wege der Reform dazu gelangt wären. Aber wir können doch nun einmal nicht wegleugnen, daß wir eine Revolution gehabt haben, wenn ich auch den Straßenkampf in Berlin mir als einen beklagenswerthen Akt in dem großen weltgeschichtlichen Ereignis; ansehe. „Und Freiheiten, die ein Volk durch eine Revolution erlangt hat, läßt es sich nur durch eine neue Revolution nehmen, selbst wenn sie anch für den größten Theil desselben nur eingebildete wären. Nur die Schranken gegen den Mißbrauch und zum Schutz der wahren Freiheit läßt es sich willig gefallen, deren Noth¬ wendigkeit es erkannt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/487>, abgerufen am 15.01.2025.