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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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gezogen. Und doch war es dieser Antrag, dessen vorläufige Durchführung in der
rohen Form des Vorparlaments der deutschen Bewegung die charakteristische Rich¬
tung gab, und es war der Aufstand in Schleswig-Holstein, der sie zu einer be¬
stimmten Haltung nach Außen hin veranlaßte.

Ruge fand ein Mittel, diese Widersprüche auszugleichen Er hat es zwar
nie bestimmt ausgesprochen, vielleicht uicht einmal bestimmt gedacht, aber seine
ganze Stellung in Frankfurt hat es deutlich gezeigt: er betrachtete das Vorparlament,
den Funfzigerausschuß und die Nationalversammlung nicht als die rechtliche Ver¬
tretung der deutschen Nation, sondern als den Centralausschuß der humanen,
d. h. demokratischen Partei, der die Bewegungen derselben leiten und mit ihrer
vereinten Kraft die Fürsten niederdrücken sollte. Die Nationalversammlung sollte
planmäßig, auf geordnete Weise dieselben Zwecke verfolgen, welche Hecker mit
seinen Freischaaren aufrichtiger aber zugleich planloser verfochten hatte.

Den hauptsächlichsten Eindruck von der Revolution aber erhielt Ruge, der,
wie alle an Abstractionen gewöhnte Naturen, allzuleicht dnrch eine vereinzelte un¬
mittelbare Erscheinung gewonnen und bestimmt wird, in Berlin. Es herrschte
damals ein Zustand von Ungebundenheit und zugleich in den Wünschen und An¬
forderungen ein Uebermaß, wie es nur bei diesem leicht beweglichen Völkchen und
in einem Augenblick des Rausches, erregt durch den unbegreiflichen Sieg über
eine furchtbare Militärmacht, zu begreifen war. Gar zu leicht war man versucht,
was eigentlich ein Zeichen der vollkommenen Schwäche und Haltungslosigkeit war,
dieses wüste Auseinandergehen der Parteien, dieses Vorherrschen einer augenblick¬
lichen Stimmung, dieses fortwährend wechselnde Hereinbrechen der einen oder der
andern Leidenschaft, für Kraft zu nehmen. Viele sind noch nicht einmal dnrch die
Novembertage eines Bessern belehrt.

Deu Anfang der Reform machten also begeisterte Schilderungen von der un¬
eingeschränkten Freiheit und Vernunft in Berlin. Wäre das Blatt sofort in Berlin
erschienen, so hätte es innerhalb der damals noch in der Bildung begriffenen Par¬
teien eine bestimmte Stellung genommen, aber Ruge'ö Privatverhältnisse knüpften
es an Leipzig, und so traten die eigentlich leitenden Artikel, von Oppenheim und
den übrigen Radicalen geschrieben, verspätet und in der ungenügenden Form von
Correspondenzen auf.

Da Ruge bald mit seiner Wahl nach Frankfurt beschäftigt, später von seiner
Thätigkeit als Parlamentsmitglied absorbirt war, so hatte das Blatt keine eigent¬
liche Redaction. Es hatte nur das einzige P'inzip, überall, wo eine Bewegung
gegen das Gouvernement ausbrach, dieselbe zu vertreten, ohne Rücksicht auf die
Principien, aus denen sie hervorging. Daß man für die Italiener, die Ungarn
und daher gegen Oestreich auftrat, stimmte mit den sonstigen Tendenzen, daß
man sich aber auch für die Czechen und namentlich für den panslavistischcn Kongreß
in der Pfingstwoche begeisterte, hatte lediglich seinen Grund in den Sympathien


gezogen. Und doch war es dieser Antrag, dessen vorläufige Durchführung in der
rohen Form des Vorparlaments der deutschen Bewegung die charakteristische Rich¬
tung gab, und es war der Aufstand in Schleswig-Holstein, der sie zu einer be¬
stimmten Haltung nach Außen hin veranlaßte.

Ruge fand ein Mittel, diese Widersprüche auszugleichen Er hat es zwar
nie bestimmt ausgesprochen, vielleicht uicht einmal bestimmt gedacht, aber seine
ganze Stellung in Frankfurt hat es deutlich gezeigt: er betrachtete das Vorparlament,
den Funfzigerausschuß und die Nationalversammlung nicht als die rechtliche Ver¬
tretung der deutschen Nation, sondern als den Centralausschuß der humanen,
d. h. demokratischen Partei, der die Bewegungen derselben leiten und mit ihrer
vereinten Kraft die Fürsten niederdrücken sollte. Die Nationalversammlung sollte
planmäßig, auf geordnete Weise dieselben Zwecke verfolgen, welche Hecker mit
seinen Freischaaren aufrichtiger aber zugleich planloser verfochten hatte.

Den hauptsächlichsten Eindruck von der Revolution aber erhielt Ruge, der,
wie alle an Abstractionen gewöhnte Naturen, allzuleicht dnrch eine vereinzelte un¬
mittelbare Erscheinung gewonnen und bestimmt wird, in Berlin. Es herrschte
damals ein Zustand von Ungebundenheit und zugleich in den Wünschen und An¬
forderungen ein Uebermaß, wie es nur bei diesem leicht beweglichen Völkchen und
in einem Augenblick des Rausches, erregt durch den unbegreiflichen Sieg über
eine furchtbare Militärmacht, zu begreifen war. Gar zu leicht war man versucht,
was eigentlich ein Zeichen der vollkommenen Schwäche und Haltungslosigkeit war,
dieses wüste Auseinandergehen der Parteien, dieses Vorherrschen einer augenblick¬
lichen Stimmung, dieses fortwährend wechselnde Hereinbrechen der einen oder der
andern Leidenschaft, für Kraft zu nehmen. Viele sind noch nicht einmal dnrch die
Novembertage eines Bessern belehrt.

Deu Anfang der Reform machten also begeisterte Schilderungen von der un¬
eingeschränkten Freiheit und Vernunft in Berlin. Wäre das Blatt sofort in Berlin
erschienen, so hätte es innerhalb der damals noch in der Bildung begriffenen Par¬
teien eine bestimmte Stellung genommen, aber Ruge'ö Privatverhältnisse knüpften
es an Leipzig, und so traten die eigentlich leitenden Artikel, von Oppenheim und
den übrigen Radicalen geschrieben, verspätet und in der ungenügenden Form von
Correspondenzen auf.

Da Ruge bald mit seiner Wahl nach Frankfurt beschäftigt, später von seiner
Thätigkeit als Parlamentsmitglied absorbirt war, so hatte das Blatt keine eigent¬
liche Redaction. Es hatte nur das einzige P'inzip, überall, wo eine Bewegung
gegen das Gouvernement ausbrach, dieselbe zu vertreten, ohne Rücksicht auf die
Principien, aus denen sie hervorging. Daß man für die Italiener, die Ungarn
und daher gegen Oestreich auftrat, stimmte mit den sonstigen Tendenzen, daß
man sich aber auch für die Czechen und namentlich für den panslavistischcn Kongreß
in der Pfingstwoche begeisterte, hatte lediglich seinen Grund in den Sympathien


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[0482] gezogen. Und doch war es dieser Antrag, dessen vorläufige Durchführung in der rohen Form des Vorparlaments der deutschen Bewegung die charakteristische Rich¬ tung gab, und es war der Aufstand in Schleswig-Holstein, der sie zu einer be¬ stimmten Haltung nach Außen hin veranlaßte. Ruge fand ein Mittel, diese Widersprüche auszugleichen Er hat es zwar nie bestimmt ausgesprochen, vielleicht uicht einmal bestimmt gedacht, aber seine ganze Stellung in Frankfurt hat es deutlich gezeigt: er betrachtete das Vorparlament, den Funfzigerausschuß und die Nationalversammlung nicht als die rechtliche Ver¬ tretung der deutschen Nation, sondern als den Centralausschuß der humanen, d. h. demokratischen Partei, der die Bewegungen derselben leiten und mit ihrer vereinten Kraft die Fürsten niederdrücken sollte. Die Nationalversammlung sollte planmäßig, auf geordnete Weise dieselben Zwecke verfolgen, welche Hecker mit seinen Freischaaren aufrichtiger aber zugleich planloser verfochten hatte. Den hauptsächlichsten Eindruck von der Revolution aber erhielt Ruge, der, wie alle an Abstractionen gewöhnte Naturen, allzuleicht dnrch eine vereinzelte un¬ mittelbare Erscheinung gewonnen und bestimmt wird, in Berlin. Es herrschte damals ein Zustand von Ungebundenheit und zugleich in den Wünschen und An¬ forderungen ein Uebermaß, wie es nur bei diesem leicht beweglichen Völkchen und in einem Augenblick des Rausches, erregt durch den unbegreiflichen Sieg über eine furchtbare Militärmacht, zu begreifen war. Gar zu leicht war man versucht, was eigentlich ein Zeichen der vollkommenen Schwäche und Haltungslosigkeit war, dieses wüste Auseinandergehen der Parteien, dieses Vorherrschen einer augenblick¬ lichen Stimmung, dieses fortwährend wechselnde Hereinbrechen der einen oder der andern Leidenschaft, für Kraft zu nehmen. Viele sind noch nicht einmal dnrch die Novembertage eines Bessern belehrt. Deu Anfang der Reform machten also begeisterte Schilderungen von der un¬ eingeschränkten Freiheit und Vernunft in Berlin. Wäre das Blatt sofort in Berlin erschienen, so hätte es innerhalb der damals noch in der Bildung begriffenen Par¬ teien eine bestimmte Stellung genommen, aber Ruge'ö Privatverhältnisse knüpften es an Leipzig, und so traten die eigentlich leitenden Artikel, von Oppenheim und den übrigen Radicalen geschrieben, verspätet und in der ungenügenden Form von Correspondenzen auf. Da Ruge bald mit seiner Wahl nach Frankfurt beschäftigt, später von seiner Thätigkeit als Parlamentsmitglied absorbirt war, so hatte das Blatt keine eigent¬ liche Redaction. Es hatte nur das einzige P'inzip, überall, wo eine Bewegung gegen das Gouvernement ausbrach, dieselbe zu vertreten, ohne Rücksicht auf die Principien, aus denen sie hervorging. Daß man für die Italiener, die Ungarn und daher gegen Oestreich auftrat, stimmte mit den sonstigen Tendenzen, daß man sich aber auch für die Czechen und namentlich für den panslavistischcn Kongreß in der Pfingstwoche begeisterte, hatte lediglich seinen Grund in den Sympathien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/482>, abgerufen am 15.01.2025.