Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.ränität in's Ange. -- Ich habe gegen den Ausdruck, eine der schlechtesten Er¬ Zweitens ist das provisorische Wahlgesetz ein schlechtes, vornämlich deshalb, Was werden Sie thun, wenn die Regierungen auf ihren Antrag, das Wahl¬ ränität in's Ange. — Ich habe gegen den Ausdruck, eine der schlechtesten Er¬ Zweitens ist das provisorische Wahlgesetz ein schlechtes, vornämlich deshalb, Was werden Sie thun, wenn die Regierungen auf ihren Antrag, das Wahl¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/278989"/> <p xml:id="ID_1553" prev="#ID_1552"> ränität in's Ange. — Ich habe gegen den Ausdruck, eine der schlechtesten Er¬<lb/> rungenschaften unserer Revolution, oft genug angekämpft. Jede Souveränität,<lb/> d. h. jede unbedingte Gewalt, ist verderblich und unhaltbar, möge sie den Fürsten<lb/> oder dem Voll vindicirt werden. In politischen Dingen gedeiht nur die bedingte<lb/> Gewalt. — Allerdings gebe ich zu, daß der Berliner Entwurf in zwei wichtigen<lb/> Bestimmungen auch dem vernünftigen Begriff von dem Recht deö Volks wider¬<lb/> spricht. Einmal, indem er in dem Fürstencollegium der Centralgewalt die ver¬<lb/> einigte Macht der dynastischen Interessen zur Seite stellt, und es so der letzter«<lb/> leichter macht, sich dem Willen des Volks zu entziehen. Aber ohne dieses Zuge¬<lb/> ständnis waren die großen Regierungen nicht zu gewinnen, und — die Groß-<lb/> deutschen bieten ungleich weniger. Ist die Volksvertretung wirklich ein Ausdruck<lb/> von dem Verstand der Nation, so wird der mit dem Fürstencolleginm umgebene<lb/> Neichsvorstand ihr so wenig Widerstand leisten können, als der alleinstehende<lb/> Erbkaiser, der doch selbst nach dem Frankfurter Entwurf mit einem dynastischen<lb/> Staatenhaus zu unterhandeln hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1554"> Zweitens ist das provisorische Wahlgesetz ein schlechtes, vornämlich deshalb,<lb/> weil es so complicirr ist, daß es nie populär werde», daß es den untern Volks¬<lb/> schichten nie einen klaren Begriff von ihrer Stellung geben, ihnen also anch nie<lb/> ein lebendiges Interesse an den Wahlverhandlungen einflößen werde. Sie haben<lb/> ganz recht, meine Herren, wenn sie der Versammlung zu Gotha empfehlen, auf<lb/> eine Modifikation desselben bei den Regierungen hinzuwirken — natürlich nicht in<lb/> der Art, daß der Frankfurter Entwurf an die Stelle treten soll, denn nach diesem<lb/> würde nur er den gegenwärtigen Umständen ein Reichstag hervorgehen,<lb/> dessen „souveräner Unverstand" Ihnen selbst, meine Herren, Gelegenheit zu scharfen<lb/> Adressen geben würde. Verstehn Sie mich recht! ich halte das Frankfurter Wahl¬<lb/> gesetz für das Ziel, auf welches wir hinzusteuern haben, zu welchem wir gelangen<lb/> werden, wenn wir auf naturgemäße, gesetzliche Weise weiter schreiten. Ich glaube<lb/> aber nicht, daß wir in diesem Augenblick dazu reif siud. DaS Beispiel der säch¬<lb/> sischen Kammern liegt zu nahe, als daß ich Sie daran zu erinnern nöthig hätte.<lb/> Die Wahlen würden so ausfallen, daß sie nicht die Bildung der Nation, sondern<lb/> die mittlere Proportionale zwischen der Bildung aller Einzelnen ausdrücken würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1555" next="#ID_1556"> Was werden Sie thun, wenn die Regierungen auf ihren Antrag, das Wahl¬<lb/> gesetz zu modificiren, uicht eingehen? — Nach meiner Ansicht ist die erste wesent¬<lb/> liche Anforderung, die mau an eine Volksvertretung zu stellen hat, diejenige, daß<lb/> sie aus liberalen und gebildeten Männer» besteht, daß Staatsmänner von einem<lb/> großen »»d freien Blick sich in ihr geltend machen könne», und daß sie mit Ernst<lb/> und Gewissenhaftigkeit ihren Beruf, das wahre Interesse des Volkes bei der Re¬<lb/> gierung geltend zu machen, auffaßt und durchführt; die zweite, daß sie populär<lb/> ist. — Ob wenigstens die erste Anforderung durch das octroyiren Wahlgesetz zu<lb/> erreichen ist, kann freilich nicht von vornherein entschieden werden; ich habe</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0479]
ränität in's Ange. — Ich habe gegen den Ausdruck, eine der schlechtesten Er¬
rungenschaften unserer Revolution, oft genug angekämpft. Jede Souveränität,
d. h. jede unbedingte Gewalt, ist verderblich und unhaltbar, möge sie den Fürsten
oder dem Voll vindicirt werden. In politischen Dingen gedeiht nur die bedingte
Gewalt. — Allerdings gebe ich zu, daß der Berliner Entwurf in zwei wichtigen
Bestimmungen auch dem vernünftigen Begriff von dem Recht deö Volks wider¬
spricht. Einmal, indem er in dem Fürstencollegium der Centralgewalt die ver¬
einigte Macht der dynastischen Interessen zur Seite stellt, und es so der letzter«
leichter macht, sich dem Willen des Volks zu entziehen. Aber ohne dieses Zuge¬
ständnis waren die großen Regierungen nicht zu gewinnen, und — die Groß-
deutschen bieten ungleich weniger. Ist die Volksvertretung wirklich ein Ausdruck
von dem Verstand der Nation, so wird der mit dem Fürstencolleginm umgebene
Neichsvorstand ihr so wenig Widerstand leisten können, als der alleinstehende
Erbkaiser, der doch selbst nach dem Frankfurter Entwurf mit einem dynastischen
Staatenhaus zu unterhandeln hatte.
Zweitens ist das provisorische Wahlgesetz ein schlechtes, vornämlich deshalb,
weil es so complicirr ist, daß es nie populär werde», daß es den untern Volks¬
schichten nie einen klaren Begriff von ihrer Stellung geben, ihnen also anch nie
ein lebendiges Interesse an den Wahlverhandlungen einflößen werde. Sie haben
ganz recht, meine Herren, wenn sie der Versammlung zu Gotha empfehlen, auf
eine Modifikation desselben bei den Regierungen hinzuwirken — natürlich nicht in
der Art, daß der Frankfurter Entwurf an die Stelle treten soll, denn nach diesem
würde nur er den gegenwärtigen Umständen ein Reichstag hervorgehen,
dessen „souveräner Unverstand" Ihnen selbst, meine Herren, Gelegenheit zu scharfen
Adressen geben würde. Verstehn Sie mich recht! ich halte das Frankfurter Wahl¬
gesetz für das Ziel, auf welches wir hinzusteuern haben, zu welchem wir gelangen
werden, wenn wir auf naturgemäße, gesetzliche Weise weiter schreiten. Ich glaube
aber nicht, daß wir in diesem Augenblick dazu reif siud. DaS Beispiel der säch¬
sischen Kammern liegt zu nahe, als daß ich Sie daran zu erinnern nöthig hätte.
Die Wahlen würden so ausfallen, daß sie nicht die Bildung der Nation, sondern
die mittlere Proportionale zwischen der Bildung aller Einzelnen ausdrücken würden.
Was werden Sie thun, wenn die Regierungen auf ihren Antrag, das Wahl¬
gesetz zu modificiren, uicht eingehen? — Nach meiner Ansicht ist die erste wesent¬
liche Anforderung, die mau an eine Volksvertretung zu stellen hat, diejenige, daß
sie aus liberalen und gebildeten Männer» besteht, daß Staatsmänner von einem
großen »»d freien Blick sich in ihr geltend machen könne», und daß sie mit Ernst
und Gewissenhaftigkeit ihren Beruf, das wahre Interesse des Volkes bei der Re¬
gierung geltend zu machen, auffaßt und durchführt; die zweite, daß sie populär
ist. — Ob wenigstens die erste Anforderung durch das octroyiren Wahlgesetz zu
erreichen ist, kann freilich nicht von vornherein entschieden werden; ich habe
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